09.11.1999 - Kirchenzeitung der Diözese Linz, Johann W. Mödlhammer
Die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ gilt als Meilenstein in der Ökumene. Darin bestätigen Katholiken und Lutheraner, dass sich ihre Theologien ergänzen statt ausschließen.
Zentrale Frage der Rechtfertigungslehre ist, ob der Mensch durch eigene Leistung vor Gott „gerecht“ werden kann oder allein durch Gottes Gnade. Und: wie es dabei mit seiner Verantwortung und Mitwirkung steht. Darüber hinaus gibt es aber eine Reihe weiterer Fragen, was in der gnadenhaften Gerechtmachung des Menschen durch Gott eigentlich geschieht: Geschieht Rechtfertigung „durch Glauben allein“ oder bedarf der rechtfertigende Glaube der „Formung“ durch die Liebe? Sind die in der Kraft der Gnade vollbrachten guten Werke vor Gott ein „Verdienst“, oder sind sie eben nur Früchte des Glaubens, die seine Echtheit erweisen?
Theologengezänk?
Zu meinen, dass es sich dabei nur um Theologengezänk handle, ist zu oberflächlich. Im Grunde geht es um Fragen mit existentiellem Hintergrund, deren Beantwortung sich auf das Leben einer Glaubensgemeinschaft auswirkt. Dies muss nicht in der Weise geschehen, dass sich die unterschiedlich geprägten Positionen gegenseitig als häretisch ausschließen. In vielen Fällen können sie sich ergänzen und zur Korrektur gewisser Einseitigkeiten beitragen. Besonders dann, wenn anerkannt wird, dass die eigene Formulierung zwar einen wesentlichen Aspekt in den Blick nimmt, aber nicht das Ganze.
Gerade so verfährt die am 31. Oktober in Augsburg unterzeichnete Gemeinsame Erklärung: berechtigte, jedoch in der Kontroverse einseitig betonte Gesichtspunkte werden als sich ergänzend erkannt, zumindest dem Anliegen nach. So z. B. hinsichtlich der lutherischen Beschreibung der Situation des Christen als „zugleich Gerechter und Sünder“.
Sich gegenseitig ergänzen
Luthers Anliegen war, dass die Christen Sünde und Buße ernst nehmen. Das richtete sich gegen eine in Missbräuche verfallene Werk- und Ablassfrömmigkeit. Ihr gegenüber hat er schon 1517 in seiner ersten Ablassthese formuliert: „Wenn unser Herr und Meister Jesus Christus sagt, ,Tut Buße‘, so will er, dass das ganze Leben seiner Gläubigen auf Erden eine stete Buße sein soll.“ Das Ringen gegen die Sünde ist ein lebenslanges, wir sind in diesem Sinne nie nur „gerecht“. Das weiß auch die katholische Kirche; auch die Heiligen beten das Confiteor („Ich bekenne“). Dennoch war es ihr Anliegen gegenüber Luther, dass in Taufe und Rechtfertigung die Sünde nicht nur „zugedeckt“ wird, sondern dass echte Heilung und Heiligung geschieht. Beide Anliegen schließen sich nicht aus. Darum heißt es in der Gemeinsamen Erklärung (Artikel 28): „Wir bekennen gemeinsam, dass der Heilige Geist in der Taufe den Menschen mit Christus vereint, rechtfertigt und ihn wirklich erneuert. Und doch bleibt der Gerechtfertigte zeitlebens und unablässig auf die bedingungslos rechtfertigende Gnade Gottes angewiesen. Auch der Gerechtfertigte muss wie im Vaterunser täglich Gott um Vergebung bitten, er ist immer wieder zu Umkehr und Buße aufgerufen, und ihm wird immer wieder die Vergebung gewährt.“
Wenn die heutige Welt weithin weder Sünde noch Heiligung und Heilung kennt oder kennen will, so hätte sie sowohl von Luther als auch vom Konzil von Trient her Wesentliches zu entdecken. Katholische und lutherische Christen sind dabei zum gemeinsamen Zeugnis berufen.
Heilsgewissheit
Wir Menschen müssen unser Tun verantworten – vor uns selber, vor Mitmenschen, und letztlich (oder erstlich) vor Gott. Wir können uns aber nicht selbst den Sinn unseres gebrochenen und auch mit Schuld belasteten Lebens geben; wir können ihn nur empfangen und so „gerecht“ werden. Als Christen bekennen wir, dass dies durch Gottes Erbarmen geschieht, das wir im Glauben ergreifen und aus dem wir zu leben versuchen. In diesem Sinne können wir des Heiles (des von Gott Angenommen-Seins) gewiss sein.
Die Reformatoren haben diese Gewissheit in besonderer Weise betont. In der nun unterzeichneten „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ heißt es dazu (Artikel 35–36): „In der Anfechtung soll der Gläubige nicht auf sich, sondern ganz auf Christus blicken und ihm allein vertrauen. Katholiken können das Anliegen der Reformatoren teilen, den Glauben auf die objektive Wirklichkeit der Verheißung Christi zu gründen, von der eigenen Erfahrung abzusehen und allein auf Christi Vergebungswort zu vertrauen (vgl. Mt 16, 19; 18, 18). Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil sagen Katholiken: Glauben heißt, sich selbst ganz Gott anvertrauen, der uns aus der Finsternis der Sünde und des Todes befreit und zum ewigen Leben erweckt. Man kann nicht in diesem Sinn an Gott glauben und zugleich dessen Verheißungswort für nicht verläßlich halten. Keiner darf an Gottes Barmherzigkeit und an Christi Verdienst zweifeln. Aber jeder kann in Sorge um sein Heil sein, wenn er auf seine eigenen Schwächen und Mängel schaut. In allem Wissen um sein eigenes Versagen darf der Glaubende dessen gewiss sein, dass Gott sein Heil will.“