Alles wird aufgerechnet, auch die Schuld, sagt die Esoterik. Wie befreiend ist dagegen ein Gott, zu dem wir „Herr erbarme dich“ sagen dürfen.
„Christentum im Abstieg? Esoterik im Aufwind?“ – Diese Frage stellen sich heute immer mehr Menschen. Und ist es nicht so: Während sich die Kirchen leeren, nimmt das Interesse für esoterische Praktiken, Welt- und Lebensdeutung zu. Besondere Faszination übt dabei der „Karma“-Gedanke aus: Egal, ob es um Krankheit geht, um einen Schicksalsschlag, um den Verlauf des eigenen Lebens, all das – so die Esoterik – hat mit Karma zu tun.
Mit Schuld beladenKarma wird hier verstanden als „Prinzip der gerechten Vergeltung“. Damit ist gemeint: Alles, was im persönlichen Leben geschieht, ist Resultat der vorherigen Handlungen. Das Leben ist demnach bestimmt durch eine strenge „Mechanik“ von Wirkung und Folgewirkung. Freiheit gibt es hier nicht mehr – und eigentlich auch keine Verantwortung: Wenn ich etwas Schlechtes mache, ist das ja erklärbar aus meinen frü- heren Handlungen, nicht aber aus meinem freien Entschluss.Bleibt ein Mensch am Ende seines Lebens noch etwas schuldig („negatives Karma“), muss er das – nach dem „Prinzip der gerechten Vergeltung“ – in seinen nächsten Leben (Wiedergeburten) „aufarbeiten“ bzw. „abarbeiten“. Wie in der Buchhaltung werden also alle Taten aufgezeichnet und am Stichtag beinhart aufgerechnet. Der esoterisch interpretierte Karma-Gedanke wirkt auf den ersten Blick verlockend logisch – genau betrachtet aber bürdet er Menschen, die ohnehin schon großes Leid zu tragen haben, noch eine zusätzliche Last auf: karmische Schuld. Ist es nicht zynisch und belastend, wenn z. B. eine Krebskranke hört, sie sei selbst „schuld“ für ihre Situation, oder wenn bei der Geburt eines behinderten Kindes etwa das „negative Karma“ der Eltern dafür „schuld“ gemacht wird. Erschreckend ist auch, zu welch brutalen Konsequenzen eine „karmisch-esoterische“ Weltsicht führen kann. So schreibt der esoterische Bestseller-Autor Thorwald Dethlefsen: „Weicht ein Mensch trotz aller Korrekturmaßnahmen von seiner Lebensformel ab, so muss er von der Natur zwangsläufig eliminiert werden. Er wird durch eine tödliche Krankheit oder durch einen Unfall aus dem Verkehr gezogen. Denn im Kosmos gibt es nur einen begrenzten Spielraum für Abweichungen.“
Von Schuld befreit
Wie anders ist hier doch das Christentum! Auch Christen kennen Schuld und sehen sie – ausredlos – als Verweigerung Gott und den Menschen gegenüber. Doch die eigene Schuld – so groß sie auch ist – spannt nicht automatisch ein in ein enges und „folgenschweres Verrechnungssystem“. Im Gegenteil: Menschen können und dürfen ihre Schuld „abladen“.
Wenn Christen „Kyrie eleison“, „Herr erbarme dich“ rufen, so drücken sie damit ihr Vertrauen aus, dass Gott größer ist als alle Schuld. Er, der Menschlichkeit ermöglicht und einfordert, nimmt unsere einbekannte Schuld an, „wirft sie hinter seinen Rücken“ (vgl. Jes 38,17) und verzeiht – ohne aufzurechnen, dafür aber mit um so größerer Freude. Das letzte Wort hat also nicht ein „unbarmherziges Gerechtigkeitsprinzip“, sondern jener Gott, der uns in Jesus entgegengekommen ist! Dieser „menschliche“ Gott ermutigt zum Umdenken, neu Orientieren und neu Beginnen – damit Leben reifen und gelingen kann. Wie bereichernd doch der Ruf „Herr erbarme dich“ ist!
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Was bieten wir? Was Menschen bieten können, ist oft ganz beachtlich: Zuwendung, Geduld, Treue, Erfolg – auch Grenzen und Fehler. Beides dürfen wir zum Altar bringen, in Gottes Hände legen.