„Einsatz für Lebensfragen“ ist für Rudolf Anschober die Überschrift über grüne Politik
Zwei Drittel der Landtags-Legislaturperiode sind um. 2003 wird wieder gewählt. Für uns ist das Anlass, außerhalb der Wahlkampfzeit Spitzenvertreter der vier im oö. Landtag vertretenen Parteien zum Interview zu bitten. Den Anfang machte Rudolf Anschober von den GRÜNEN.
Allen vier Gesprächspartnern leg(t)en wir die gleichen Fragen vor, was einen Vergleich erleichtert. Die Interviews mit den Repräsentanten von FPÖ, SPÖ und ÖVP werden in den folgenden drei Ausgaben – jeweils auch auf Seite 4 – wieder gegeben. Die Langfassung der Interviews stellen wir ins Internet: www.kirchenzeitung.at
KIZ: Nennen Sie die drei Schlagworte, wofür die GRÜNEN stehen und erklären Sie, warum Ihre Partei für Christen attraktiv sein könnte.
Anschober: Die Überschrift ist für mich, die GRÜNEN engagieren sich für Lebensfragen. Zu nennen sind die Temelin-Frage, die soziale Gerechtigkeit und die Lebensqualität im weitesten Sinn, das bedeutet Vorrang des Menschen vor wirtschaftlichen Interessen. Für Christen können wir attraktiv sein, weil es bei uns genauso wie bei fortschrittlichen Christen sehr stark um diese Lebensfragen geht. Unsere Themenstellungen sind da sehr ähnlich, etwa wenn sich die Caritas für Gerechtigkeit einsetzt. Manche kirchliche Kritik an der Politik der Regierung, die Richtung Menschenfeindlichkeit geht, ist beinahe ident mit unserer. Naturschutz kann als Verantwortung für die Schöpfung beschrieben werden. Insgesamt geht es darum, dass der Mensch im Mittelpunkt steht, seine Würde.
KIZ: Was verdankt Ihrer Meinung nach Oberösterreich den GRÜNEN?
Anschober: Dass es erstmals im Landtag eine konstruktive Opposition gibt. Dass es eine zielgerichtete und konstruktive Anti-Temelin-Politik gibt. Dass es in Oberösterreich erstmals in der Landespolitik eine Stimme für schwache Bevölkerungsgruppen gibt, für Menschen, die nicht auf die Sonnenseite des Lebens gefallen sind.
KIZ: Eine Reihe politischer Fragen bewegen Kirche und Christen besonders. Die Ladenöffnungszeiten sind ein Beispiel, ebenso der umfassende Schutz des Lebens, die soziale Gerechtigkeit mit besonderem Blick auf das Nord-Süd-Verhältnis, der schonende Umgang mit der Schöpfung und der Widerstand gegen jede Form von Ausgrenzung. Sehen Sie hier Anknüpfungspunkte für gemeinsame Bemühungen?
Anschober: Anknüpfungspunkte gibt es in sehr, sehr vielen Bereichen. Der gemeinsame Grundsatz ist, den Menschen in seiner Lebenssituation in den Mittelpunkt zu stellen, mit seinen Stärken und Schwächen. Das ist wichtiger als reine Wirtschaftsinteressen, etwa beim Thema Ladenöffnungszeiten und Sonntagsruhe. Ebenso sind der Respekt vor der jeweiligen Lebenssituation der Menschen und die Toleranz dieser gegenüber Anknüpfungspunkte. Wir haben uns zum Beispiel in den letzten zwei Jahren (und hier besonders Landtagsabgeordnete Doris Eisenriegler) sehr stark zum Thema menschenwürdiges Altern Politik gemacht. Alte und behinderte Menschen, Jugendliche und Ausländer zählen nicht zum politischen Mainstream und werden oft von der Politik vergessen, sie haben in der Gesellschaft nur einen Randplatz. Für sie setzen wir uns ein.
KIZ: Ist das politisch klug, sich um Randgruppen zu kümmern. Damit sind ja keine Mehrheiten zu erreichen?
Anschober: Einerseits glaube ich, dass es Umkehrbewegungen gibt in der gesellschaft, die spürt, dass es wichtig ist, sich auch um solche Themen anzunehmen. Andererseits kann es nicht Hauptaufgabe der GRÜNEN sein, Politik nach Meinungsumfragen zu machen. Uns gibt auch die Zustimmung aus der Bevölkerung Mut, für ein Umdenken in diesen Fragen Druck zu machen. Ich zähle auf die Farbe Grün und das ist die Farbe der Hoffnung!
KIZ: Aber zurück zur Ausgangsfrage, den Anknüpfungspunkten ...
Anschober: In Zusammenhang mit der Nord-Südfrage steht die Globalisierungsdebatte. Die ist uns ganz wichtig. Ich halte es für schade, wie derzeit diese Fragen anhand unerfreulicher Auseinandersetzungen, die ich verurteile, geführt wird. Denn es ist wichtig, dass über die Globalisierung und was sie bedeutet, diskutiert wird. Der Tobin Tax (= geringfügige Umsatzsteuer auf grenzüberschreitende Geldgeschäfte, die viele spekualtive Transaktionen unrentabel machen würde; Anm. d. Red.) und die Entschuldung der armen Länder sind hochrangige politische Ziele. Hierher gehören auch faire Formen einer EU-Öffnung nach Osten. Diese ist wahrscheinlich die einzige Chance, dass es zu nachhaltigen, friedlichen Entwicklungen in den ehemals osteuropäischen Staaten kommt. Hier ist aber zu unterstreichen: ”faire Formen“, das bedeutet, dass nicht wirtschaftliche Interessen im Vordergrund stehen dürfen. Die Internationalisierung der grünen Bewegung schreitet voran. So sind die GRÜNEN im EU-Parlament schon die drittgrößte Kraft. Internationalisierung ist wichtig, um grenzüberschreitend etwas bewegen zu können. Es braucht den Doppelklang – regionale Verankerung und Internationalisierung, gerade auch für die Nord-Süd-Politik.
KIZ: Wie stehen Sie insgesamt zum öffentlichen Wirken und Engagement der Kirche. Was unterstützen Sie, was stört Sie?
Anschober: Ich unterstütze alles, was im Bereich soziale Gerechtigkeit verwirklicht wird. Da sind viele Teile der Kirche gerade in Oberösterreich sehr engagiert. Was mich stört, erschreckt, ja manchmal abschreckt, sind Formen der Intoleranz und sehr unbewegliche, hierarchische Strukturen in der Amtskirche.
KIZ: Wo sehen Sie neue, vielleicht heute noch kaum beachtete Herausforderungen für die Politik?
Anschober: Es ist zwar Thema, in der Öffentlichkeit aber viel zu wenig im Bewusstsein – die EU-Erweiterung und die nachbarschaftlichen Beziehungen. Ein Beispiel ist Temelin und die Beziehung zu Tschechien. Ein zweiter Bereich ist die Frage menschenwürdigen Alterns und Sterbens, das Tabuthema Tod. Was ist notwendig in der Begleitung von schwerkranken und sterbenden Menschen, was muss die gesellschaft an Ressourcen zur Verfügung stellen, um menschenwürdiges Sterben zu ermöglichen. Eine drittes Thema ist ein „kindgerechtes Oberösterreich“. In unserer Gesellschaft erschöpft sich diese politische Herausforderung in der Diskussion um das Wahlalter und in der Frage, ob genug Kinder zur Welt kommen. Ein viertes Thema ist die Existenzsicherung – der Kampf gegen die Armut, der von einem klaren Armutsbegriff ausgehen muss.
KIZ: Sie erwähnten die kindgerechte Gesellschaft. Was ist dazu wichtig?
Anschober: Die stärkere politische Aufmerksamkeit für die Alleinerziehenden zum Beispiel. Das Umgehen-Lernen mit anderen Interessen, mit einer Sprache der Kinder. Wenn ich es schaffe, mich von Kindern belehren zu lassen, ist das sehr bereichernd. Eine kindgemäße Politik würde Auswirkungen für die Architektur, den Umgang mit der Natur, die Gestaltung der Verkehrspolitik haben, diese Bereiche würden ganz anders ausschauen.
KIZ: Und wer ist arm? Fragen wir konkreter: Wann ist eine Familie mit einem Kind arm, wann ein etwa 40jähriger alleinstehender Arbeitnehmer, angenommen mit Wohnsitz in Linz.
Anschober: Arm ist jeder Mensch, der sich Sorgen machen muss, aufgrund seiner materiellen Situation, den in der Gesellschaft herkömmlichen Mindeststandard nicht abdecken zu können. Es geraten immer mehr Menschen in die Armutsfalle. Die Verschlechterung bei der Situation der Arbeitslosen wirkt sich hier aus. 7.000,– bis 8.000,– Schilling Einkommen im Monat reichen zum Führen eines normalen Lebens nicht aus. Falls GRÜNE in Regierungsverantwortung kommen, ist es ein ganz wichtiges Ziel, die Grundsicherung in Österreich durchzusetzen.
KIZ: Im Allgemeinen sind politische Parteien nicht zimperlich, wenn sie politische Gegner kritisieren. Wir laden Sie ein, es umgekehrt zu machen: Was finden Sie gut, ja lobenswert an Politikerinnen und Politikern anderer Parteien?
Anschober: In der FPÖ möchte ich am ehesten über Landtagspräsident Bodingbauer sagen, dass er anständig ist. Bei den Sozialdemokraten schätze ich, dass man in sozialpolitischen Fragen relativ oft Allianzen schließen kann. Da gibt es etliche Personen, die gute Arbeit leisten. Etwa Landtagsabgeordneter Christian Makor von der SPÖ Bezirk Ried, Landtagsabgeordneter Arnold Schenner, Leiter des Arbeitsmarktservice Gmunden, Landtagspräsidentin Gerda Weichsler... In der ÖVP schätze ich diejenigen, von denen ich das Gefühl habe, da ist noch christlich-soziale Wurzel da. Dazu zählen Klubobmann Josef Stockinger, Minister Wilhelm Molterer und Landtagspräsidentin Angela Orthner.Insgesamt ist das politische Klima in Oberösterreich weitgehend fair und gut. Ich bin von Wien, als ich im Parlament war, Anderes gewöhnt.
KIZ: Wenn Sie auf die politische Arbeit der letzten vier Jahre Ihrer Partei in Oberösterreich zurückblicken, was ist da gut gelungen? Wo sehen Sie Fehler?
Anschober: Besonders gut gelungen ist uns, dass wir in einigen dieser am Beginn des Gespräches erwähnten Lebensfragen viel durchsetzen konnten. Das ist für eine Drei-Personen-Opposition im Landtag nicht leicht, nicht normal. Aber es hat viel mit unserer konstruktiven Oppositionspolitik zu tun. Gut gelungen ist auch die regionale und personelle Verbreiterung der GRÜNEN. Im Rückblick kritisch sehe ich, dass wir zu wenig kantig waren; vielleicht haben wir auch zu wenig auf eigenes Profil geachtet.
KIZ: Was werden die GRÜNEN bei der Landtagswahl 2003 erreichen?
Anschober: Ich gehe davon aus, dass die GRÜNEN wachsen. Seit der Landtagswahl 1997 haben wir bei jeder Wahl zugelegt. So ist unser Ziel weiterhin, stärker zu werden. Auf Landesebene erwarte ich, dass auch die ÖVP zulegt und der Stern der FPÖ verblassen wird. So ist es auch Sinne eines Gleichgewichts im Landtag gut, wenn wir zulegen, gerade im Hinblick darauf, dass die ÖVP zunehmend eine Wirtschafts-Partei ist.
Rudolf Anschober
Anschober stammt aus Schwanenstadt. Dort kam er 1960 zur Welt. Seine ersten politischen Wirkfelder waren in der Anti-Temelin-Bewegung. 1990 zog er als grüner Mandatar in den Nationalrat ein und wechselte 1997 in den oö. Landtag. Hier ist er Klubobmann und wichtigster Repräsentant der GRÜNEN.