Prophetinnen und Propheten: Menschen in einer „ver-rückten“ Welt
Ausgabe: 2002/01, Bedenktext, Traum, Visionen
02.01.2002 - Kirchenzeitung der Diözese Linz
Visionen trauen und Hoffnung haben, handeln, am Kommen einer neuen Welt mitarbeiten – sich weder von „Vernunft“ noch Realität abhalten lassen.
Eine Welt ohne Kriege, Seuchen, Hunger und Ausbeutung. Eine Zeit, in der die Menschen solidarisch miteinander leben, in der das Lachen kein Ende nimmt. Der Traum von einer gerechten Welt wird wahr und eine tolerante und friedliche Zeit wird anbrechen. Es wird einmal . . . Vernünftige Stimmen stören diesen Traum: Es ist sinnlos, von einer gerechten Welt zu träumen! Die Wirklichkeit spricht eine andere Sprache. Menschen werden immer Kriege führen. Trau keinem außer dir selbst . . . Totschlagargumente einer Sprache ohne Visionen, Ernüchterung am Leben klingt durch. Veränderungen scheinen nur im Kleinen möglich zu sein.
Traum gegen Realität?
ProphetInnen sind sowohl RealistInnen als auch TräumerInnen. Mit einem scharfen Blick für die Gegenwart üben sie harte Kritik an bestehenden Ungerechtigkeiten. Sie sagen den Untergang der Verhältnisse voraus, wenn alles so bleibt wie es ist. Die nähere Zukunft ist alles andere als rosig. Ein Entkommen ist nur möglich, wenn die Verhältnisse entsprechend der Weisungen Gottes verändert werden und Gerechtigkeit einzieht. Geschieht dies nicht, wird die herrschende Ordnung zusammenbrechen. Doch nach diesem Zusammenbruch wird eine Heilszeit anbrechen. Mit Gottes Hilfe wird der Traum vom umfassenden Frieden wahr werden. Ist dies nun ein Traum von Menschen, die sich der Realität verweigern? Oder der Traum jener, die wissen, dass um Gottes Willen eine neue Zeit anbrechen wird?
Gerechtigkeit wird sein
Wie das Neue geschehen wird, bleibt offen: mit oder ohne Beteiligung der Menschen oder eines Messias, für Israel oder für die gesamte damals bekannte Welt. Auf alle Fälle ist Gott die Ursache der neuen Zeit. Denn wie Gott sich in der Vergangenheit als befreiend erwiesen hat, so wird er sich in Zukunft erweisen. Bei Ezechiel 36, 26–28 schenkt Gott Israel ein neues Herz und einen neuen Geist als Gabe für ein gutes Leben nach den Weisungen Gottes im Land der Väter.Jesaja 25, 6–9 vergleicht die neue Heilszeit mit einem Festmahl für alle Völker. Feinste Speisen und erlesenste Weine werden serviert. Gott wird von jedem Gesicht die Tränen abwischen und Israel heimführen.
Das Neue erweist sich bei Micha 4, 1–5 als Zeit, in der Israel den Weisungen Gottes folgt und Friede einkehrt. Andere Völker kommen, um von Israel den Frieden zu lernen. „Dann schmieden sie Pflugscharen aus ihren Schwertern und Winzermesser aus ihren Lanzen. Man zieht nicht mehr das Schwert, Volk gegen Volk, und übt nicht mehr für den Krieg.“ Jeder sitzt unter seinem Weinstock, niemand schreckt ihn auf. Ein Zusammenleben der Völker mit ihren je eigenen Göttern rundet dieses Bild ab.
Vertrauter sind uns, besonders in der Weihnachtszeit, Texte von einem Kind als messianischem Herrscher. „Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns geschenkt. Die Herrschaft liegt auf seinen Schultern; man nennt ihn: Wunderbarer Ratgeber, Starker Gott, Vater in Ewigkeit, Fürst des Friedens.“ (Jes 9, 5) Er wird auf dem davidischen Thron Platz nehmen und sein Reich durch Recht und Gerechtigkeit festigen. „Dann wohnt der Wolf beim Lamm, der Panther liegt beim Böcklein. Kalb und Löwe weiden zusammen, ein kleiner Knabe kann sie hüten.“ (Jes 11, 6) Kraftvolle Bilder einer neuen Zeit . . . Das Wissen um eine gerechte Welt und das Vertrauen auf Gott machen in einer trostlosen oder ernüchternden Gegenwart Hoffnung auf anderes. Sie ermutigen, entgegen den Einsprüchen der Vernünftigkeit, Visionen zu haben, zu handeln und am Kommen einer neuen Welt mitzu-arbeiten.
BedenkText
Erfüllt von der Erkenntnis Gottes
Doch aus dem Baumstumpf Isais wächst ein Reis hervor . . . Der Geist des Herrn lässt sich nieder auf ihm . . . Er richtet nicht nach dem Augenschein, und nicht nach dem Hörensagen entscheidet er, sondern er richtet die Hilflosen gerecht und entscheidet für die Armen des Landes, wie es recht ist. Er schlägt den Gewalttätigen mit dem Stock seines Wortes und tötet den Schuldigen mit dem Hauch seines Mundes. Gerechtigkeit ist der Gürtel um seine Hüften, Treue der Gürtel um seinen Leib. Dann wohnt der Wolf beim Lamm, der Panther liegt beim Böcklein. Kalb und Löwe weiden zusammen, ein kleiner Knabe kann sie hüten. Kuh und Bärin freunden sich an, ihre Jungen liegen beieinander. Der Löwe frisst Stroh wie das Rind. Der Säugling spielt vor dem Schlupfloch einer Natter, das Kind streckt seine Hand in die Höhle der Schlange. Man tut nichts Böses mehr und begeht kein Verbrechen auf meinem ganzen heiligen Berg; denn das Land ist erfüllt von der Erkenntnis des Herrn, so wie das Meer mit Wasser gefüllt ist.