Sr. Christine Martin begleitet Häftlinge in US-amerikanischen Todeszellen: „Die Hinrichtung und den Tod mitzuerleben ist ein furchtbarer Kreuzweg.“
Leiden, Tod und Auferstehung Jesu hatten für mich als franziskanische Ordensfrau schon immer eine große Bedeutung. Viel konkreter sind sie für mich jedoch geworden, seit ich mich für Menschen im Todestrakt einsetze. Im März und April vergangenen Jahres, als Christen die Fasten- und Osterzeit feierlich begingen, haben die Texte in den Gottesdiensten genau meine Lebenserfahrung beschrieben, die ich mit meinem Freund Mose Young durchlebte. Am 25. April 2001 sollte er hingerichtet werden. Ihn bis zu jenem Tag zu begleiten, gab mir ein neues Verständnis für die Worte, die der Prophet Jesaja vorausgesagt hatte: „Er wurde verachtet und von den Menschen gemieden, ein Mann voller Schmerzen, mit Krankheit vertraut. Wie einer, vor dem man das Gesicht verhüllt, war er verachtet“ (Jes 53, 3). Dieses Verachtet- und Gemiedensein ist eine treffende Beschreibung für Personen in den Todeszellen der USA.
Tiefes Vertrauen in Gott
Seit sechs Jahren stand ich mit Mose Young in Briefkontakt und besuchte ihn zeitweise in Potosi (Missouri). Er hatte eine tiefe Beziehung zu Gott. Seine Einstellung und sein Gebet ermöglichten es ihm, mit dem Psalmisten zu rufen: „Herr, ich suche Zuflucht bei dir, lass mich doch nicht scheitern. In deine Hände lege ich voll Vertrauen meinen Geist“ (Ps 31). Während der qualvollen Wochen des Wartens und Hoffens auf einen Aufschub oder die Umwandlung des Todesurteils klammerte ich mich an das Gebet Jesu in der Todesangst: „Herr, wenn es dein Wille ist, lass diesen Kelch vorübergehen.“Das Abgeschnittensein von der Gesellschaft, der Verlust der Unterstützung durch Familie und Freunde leiten bei viele im Todestrakt eine intensive Bekehrung ein. Die religiöse Zugehörigkeit ist dabei nicht ausschlaggebend – viele sind Nichtchristen. Sie erleben dennoch die Gnade, ihr Leben in Gottes Hände legen zu dürfen. Für mich ist diese Erfahrung ein starkes Argument gegen die Todesstrafe: gestehen wir es der Macht Gottes zu, das Gewissen eines Mörders zu erleuchten und seine Reue und Umkehr zu bewirken.Mose hielt das US-Rechtssystem für brüchig und voreingenommen. Während seiner Zeit im Gefängnis wollte er für eine Reform und die Abschaffung der Todesstrafe kämpfen. Gleichzeitig aber sagte er: „Ich kann den Weg, den Gott für mich bestimmt hat, annehmen, sei es Leben oder Tod. Ich weiß, dass ich immer auf dem von Gott gewollten Weg bleiben muss, denn das ist der einzige Weg, der mich heimführt.“ Seit meiner Begegnung mit Mose denke ich oft an meinen eigenen Weg, den Gott mich führen will. Paulus sagt: „Alle haben gesündigt und die Herrlichkeit Gottes verloren. Ohne es verdient zu haben, werden sie gerecht, dank seiner Gnade“ (Röm 3, 23–24). Jesus hat uns dieses Geschenk der Erlösung gebracht. Nun sind wir verpflichtet, uns zu verschenken. Mose sagte meiner Mitschwester und mir, dass er unser Mitgehen und unsere Unterstützung als ein Zeichen der Liebe Gottes betrachte. Umgekehrt empfanden wir seine Ergebenheit in Gottes Willen, seine Sorge um Mitgefangene sowie seine Weigerung zu hassen, sich zu wehren oder jene zu beschuldigen, die herzlos und grausam mit ihm umgingen, als ein Geschenk an uns.
Hinrichtungstisch
Die Hinrichtung und den Tod des 45-Jährigen mitzuerleben war ein furchtbarer Weg des Kreuzes und eine wirklich tiefe Erfahrung von Tod und Auferstehung. „Er wurde misshandelt und niedergedrückt, aber er tat seinen Mund nicht auf, wie ein Lamm, das man zum Schlachten führt“ (Jes 53, 7). Durch ein Fenster, nur wenige Meter entfernt, konnte ich Mose auf dem Hinrichtungstisch liegen sehen. Mit seiner Hand gab er ein Zeichen des Friedens, trotz der Nadel in seinem Arm und der ihn fesselnden Riemen. Sein Gesicht war ruhig, vertrauend und sogar zuversichtlich. Er konnte meine Mitschwester und mich durch das Glas sehen, und er lächelte uns zu. Als ihm die tödliche Injektion verabreicht wurde, konnten wir ihre Auswirkung direkt sehen. Wir spürten den Augenblick seines Todes. Uns wurde die Gnade zuteil, in fast greifbarer Weise die Begegnung mit seinem Gott zu erahnen. Tief in uns fühlten wir die Freude dieser Begegnung.
Einziger Weg, der heimführt
Ich bete, dass Gott unsere Herzen für eine echte Bereitschaft öffnet, jene „Wegweiser“ zu überprüfen, die uns Richtung geben: das Evangelium des Lebens, die Lehre der Kirche und die Inspirationen, die uns im Gebet zuteil werden. So können wir an jenen Punkt gelangen, an dem wir Gottes Willen akzeptieren können. Wir werden nicht immer wissen, wohin Gott uns führen wird, noch welche Hindernisse auf diesem Weg liegen werden. Aber wir werden nicht in die Irre gehen, wenn wir Gott gestatten uns zu führen, und wenn wir anderen entlang dieses Weges die Hände reichen. Im Vertrauen auf Gottes Liebe müssen wir unseren Weg gehen, denn es ist der einzige, der uns