Darüber, wie Menschen ihre Ehe beispielhaft gelebt haben, sagt uns die Bibel wenig. Dennoch ist sie eine Schatztruhe für das Leben zu zweit.
Ich kann mich an so manche Predigt erinnern, wo uns Eheleuten die Heilige Familie als Vorbild für die Gestaltung unserer Beziehungen vor Augen gestellt wurde. Dabei berichtet uns die Bibel über das Zusammenleben von Maria und Josef bzw. über ihr Familienleben im Alltag kaum etwas. Und das wenige, was gesagt wird (Josef als Stiefvater, Jesus als 12-Jähriger im Tempel …) gibt für die konkrete Ehegestaltung im täglichen Leben wenig her.
Andererseits aber finde ich immer wieder Stellen in der Heiligen Schrift, die mir für mein Ehe- und Familienleben bedeutsam werden, obgleich in ihnen nicht ausdrücklich von und über Ehe und Familie gesprochen wird. So etwa können wir aus dem wertschätzenden Umgang Jesu mit den Menschen auch für unsere Beziehungen Grundlegendes lernen.
Der Fragende
Im Folgenden möchte ich auf einige Bibelstellen hinweisen, die mir in Bezug auf Ehe und Familie wichtig geworden sind (und ich entdecke auch immer wieder die eine oder andere neue, die mir in bestimmten Situationen eine hilfreiche Richtung aufzeigt): Bei Lukas 18, 41 fragt Jesus den Blinden: „Was soll ich dir tun?“ Und im Johannesevangelium (5, 6) richtet Jeusus an einen Mann, der schon 38 Jahre krank war, die Frage: „Willst du gesund werden?“ So dumme Fragen, könnte man sagen. Natürlich will jeder Mensch sehend und geheilt werden. Jesus weiß es anscheinend besser. Er fragt, weil es möglicherweise Gründe gibt, die die Situation für den anderen ganz anders ausschauen lassen.
Wie oft wissen wir ganz genau, was der Partner/die Partnerin tun soll, was für ihn oder sie richtig und gut ist. Dabei kommen wir gar nicht auf die Idee, den anderen ernst zu nehmen, zu fragen, ob er oder sie das wirklich will – wie bei dem berühmten Witz von der Frühstücksemmel: da kommt das Paar erst bei der Silberhochzeit drauf, dass jeder dem anderen immer die Semmelhälfte, die er lieber selbst gegessen hätte, überlassen hat. Der andere hätte aber lieber die andere Hälfte gehabt. Beide glaubten zu wissen, was für den anderen besser ist, und haben den anderen nie gefragt, was er/sie will. Aus Liebe haben sie einander genötigt, höflich die ungeliebte Semmelseite zu essen.
„Du sollst Dir kein Bildnis machen“ – auch nicht von dem Menschen, den du am besten kennst und dem du am nächsten bist. Du sollst ihm die Möglichkeit zur Veränderung lassen und erkennen, dass niemand, auch nicht aus Liebe, festgelegt werden darf.
Über das Ausreißen
Zum Gleichnis vom Unkraut (Mt 13, 24–30): Was einem am Partner alles nicht passt, will man dauernd ausreißen. Und dabei geht oft auch viel Gutes kaputt. Wäre es nicht sinnvoller, dem Rat Jesu zu folgen und lieber den Weizen zu pflegen? Das, was man am Partner gern hat, auch immer wieder zeigen, sagen und bestärken. Dann kann das Unkraut vielleicht auch irgendeinmal zum Heizmaterial werden.
Auch die Art, wie Jesus dem Zöllner begegnet (Lk 19, 1 – 10) ist bemerkenswert. Wie oft merken wir, wenn wir selbst mit einer bestimmten Eigenschaft von uns Schwierigkeiten haben, wie schwer es uns fällt, uns zu ändern. Da hilft es nichts, wenn auch andere sagen, man sollte sich doch ändern. Gerade dadurch wird man eher noch mehr festgelegt. Jesus sagt zum Zöllner: „Ich will bei dir zu Gast sein.“ Und erst durch dieses Zeichen der Wertschätzung kann der Zöllner erkennen, was er falsch macht. Wenn wir uns nicht mehr dauernd verteidigen müssen, weil uns jemand sagt, dass wir als Person wertvoll sind, werden wir frei und unser Selbstwert wird stark genug, dass wir Dinge an uns in Frage stellen und ändern können. Geglückte Beziehungen zwischen Partnern, aber auch in der Erziehung hängen ja weitgehend davon ab, ob es gelingt, sich gegenseitig zu zeigen, dass man einander ein Schatz ist, ob man einander wertschätzend begegnet.
Blindheit fällt ab
So könnte man noch viele Stellen in der Bibel finden und es geht einem oft so, wie den Jüngern auf dem Weg nach Emmaus: Es brennt einem das Herz in Freude, Leid, Angst oder Schmerz und unsere Augen sind gehalten. Seine Worte können da hilfreich sein und uns, die wir auch ein Stück weit Blinde sind, füreinander sehend werden lassen. Vielleicht können diese Beispiele Sie anregen, „Ihre“ Bibelstellen zu finden, die für Sie gerade in der einen oder anderen Situation hilfreich sind.
Berufen
Dr. Luitgard Derschmidt ist die Autorin der vierteiligen Reihe zum Thema „Berufung – aus der Sicht von Ehe und Familie“. Sie arbeitet seit 25 Jahren in der Ehe- und Elternbildung. Sie ist Präsidentin der Kath. Aktion in Salzburg und Bildungsreferentin des Forums „Beziehung, Ehe und Familie“ der Kath. Aktion Österreichs.