Für den Bonner Bildungswissenschafter Volker Ladenthin steht außer Diskussion: Religiöse Bildung gehört in Kindergarten und Schule. Im Gespräch mit der KirchenZeitung erklärt er warum.
Gesellschaftlich wird der Religionsunterricht immer wieder in Frage gestellt, vor Wahlen gehört das schon zum Ritual. Doch es scheint, dass sich die Betroffenen selbst, die Kinder und Jugendlichen, davon nicht sonderlich berühren lassen. Die ganz große Mehrheit geht recht selbstverständlich in „Reli“? Warum? Volker Ladenthin: Ich halte Religion für ein Grundbedürfnis des Menschen. Die Schülerinnen und Schüler spüren das. Die Fragen: Woher komme ich, wohin gehe ich? Was ist der Sinn meines Lebens? – Wo diese Fragen angegangen werden – und das ist im Religionsunterricht–, ist das Interesse groß. Und ein Zweites macht Religion anziehend: die Geschichten der Bibel. Diese Geschichten haben einen Rest, der ein Rätsel bleibt und gerade dadurch fasziniert. Ein Beispiel aus dem Lukasevangelium: Warum handelt der barmherzige Vater so? Ich weiß keine Antwort. Die Differenz zwischen meiner Welterfahrung und dem, was erzählt wird, schafft ein Spannungsverhältnis, das sich nicht auflösen lässt. In diesen Geschichten liegt ein Mehrwert, diese Geschichten der Bibel helfen uns, mit Lebensfragen umzugehen, denen wir nicht entkommen können. Glaube ereignet sich in Geschichten, ist Aneignung von erzählten Geschichten.
Der Religionsunterricht hat also in der Schule seinen Platz? Ladenthin: Religiosität ist universal und mit dem Menschsein mitgegeben. Deshalb ist Religion bildungsrelevant. Man kann den Religionsunterricht abschaffen, aber nicht die religiösen Fragen. Man wird sie dann eben woanders beantworten. Als Pädagoge fordere ich aber die Institutionalisierung der religiösen Frage. Institutionalisierung heißt hier konkret Unterrichtsfach, weil das am besten gewährleistet, dass die religiösen Fragen bestmöglich beantwortet werden. Ich plädiere daher für den Religionsunterricht.
Im Blick auf den erstarkenden Islam im Land kommt der Religionsunterricht auch als Vehikel ins Gespräch, das helfen soll, die europäisch-abendländischen Werte zu verteidigen. Sehen Sie die Tendenz, den Religionsunterricht für gesellschaftspolitische Ziele zu gebrauchen? Ladenthin: Ja, diese Tendenz sehe ich. Aber das ist eine grobe Verengung des Christentums, das sich gerade nicht auf eine Kultur reduzieren lässt, sondern in allen Kulturen zu Hause ist. Geschichtlich betrachtet ist klar, dass Europa nicht ohne Christentum denkbar ist. Wer das weiter so haben möchte, muss aber nicht aufrufen, irgendwelche Werte gegen irgendjemanden zu verteidigen. Man braucht das Christentum nur zu leben. Der Glaube darf nicht als Ideologie missbraucht werden. Unsere Kultur zeigt sich darin, wie wir leben und miteinander umgehen: im Alltag, auf die Schule bezogen im Deutschunterricht, im Mathematikunterricht. Kultur braucht man nicht ideologisch zu überfachten und dann noch Religion darüberzustülpen.
Was kann der Religionsunterricht leisten? Manche klagen, dass die Kinder nach der Pflichtschule, nach neun Jahren Religionsunterricht, nichts über ihren Glauben wissen, nicht einmal das Glaubensbekenntnis auswendig können. Ladenthin: Da sitzt man einem Irrtum auf. Wir dürfen nicht Äußerlichkeiten messen. Religionslehrer/innen müssen Kinder an die Fragen nach dem Sinn des Lebens, der eigenen Endlichkeit und dem guten Handeln heranführen. Religion ist ein Verhältnis, kein Ding. Aber natürlich muss der Unterricht auch helfen, seine Konfession innerhalb einer aufgeklärten Gesellschaft reflektieren zu lernen.
Wenn der Religionsunterricht in Frage steht
„Religiöse Bildung im Kreuzfeuer“ – unter diesem Motto stand ein Themenabend, zu dem das Linzer Forum Religionspädagogik am 11. April 2016 an die Pädagogische Hochschule der Diözese Linz geladen hatte. Der volle Hörsaal – 120 Besucher/innen waren gekommen – zeigte, wie sehr die Frage bewegt: Religiöse Bildung in Kindergarten und Schule ist nicht mehr selbstverständlich. Der Bonner Erziehungswissenschafter Volker Ladenthin sowie der Wiener Philosophieprofessor Hans Schelkshorn zeigten Anspruch und Bedeutung religiöser Bildung in öffentlichen Bildungseinrichtungen auf. Schelkshorn fordert mit Verweis auf die seit dem 18. Jahrhundert entstandene Krise religiöser Bildung und mit Bezug auf die Philosophiegeschichte einen kritisch-aufgeklärten Religionsunterricht: Dieser arbeite zum einen gegen die Entfremdung der Schüler/innen von der eigenen Religion, zum anderen aber auch gegen den Missbrauch von Religionen für fundamentalistische Zwecke.