Gespalten mag Österreich nicht sein, polarisiert ist das Land aber sicher, wie der Ausgang der Bundespräsidenten-Stichwahl gezeigt hat. Das hat nicht nur damit zu tun, dass nur zwei Kandidaten zur Wahl standen. Kommentar von Heinz Niederleitner.
Es hat auch mit der Erscheinung zu tun, dass offenbar nicht wenige Menschen ihre Stimme in der Absicht abgegeben haben, um einen Kandidaten zu verhindern, wie am Wahlabend zu hören war. Das ist an sich nichts Unrechtes. Zu denken geben sollte es uns trotzdem. Denn es geht in diesem Fall gerade nicht um die Frage, wer der bessere Bundespräsident ist, sondern es steht die Verhinderung eines Kandidaten im Vordergrund, den andere Wähler/innen unbedingt im Amt sehen wollten.
Man kann sich zwar unter Umständen über eine „Politisierung“ der Gesellschaft freuen. Die Frage ist nur: Ist das jetzt wirklich der richtige Anlass? Alexander Van der Bellen wird viel mit dem Versuch beschäftigt sein, jene knappe Hälfte der Wähler/innen, die ihn nicht gewählt hat, von sich zu überzeugen. Denn nach wie vor ist das Amt des Bundespräsidenten ja mit dem Anspruch moralischer Autorität verknüpft. Das setzt ein gewisses Maß an Vertrauen voraus. Dass ihm die Hälfte der Wähler dieses Vertrauen bei der Wahl nicht ausgesprochen hat, muss Van der Bellen bald wettmachen, wenn er selbst Brücken in der Gesellschaft bauen will. Letzteres wäre ein wichtiger Dienst für das Land.