Es war Morgengottesdienst am Karsamstag und man schrieb den 31. März 1945. Ein Schrei riss die Männer, Frauen und die Kinder, die mit ihren Gedanken gerade weiß Gott wo waren, aus der Andacht. „Wir werden vertrieben!“
Viele aus Filipowa haben ihre Kirche nie wieder gesehen. Nur zwei Stunden gab man den Leuten. Auf Kinderwägen und Schubkarren hatten sie mitgenommen, was sie als das Nötigste empfanden. Sie wurden hinausgetrieben auf eine Weide vor dem Dorf, insgesamt 5.000 Menschen. Familien wurden auseinander gerissen. Müttern nahm man die Kinder weg. Wer arbeitsfähig war, kam in ein Arbeitslager. Wer nicht mehr arbeiten konnte, auch die Kinder, kamen in Todeslager. Allein aus Filipova starben dort 833 Menschen. Für die Bewohner von Filipowa begann an diesem Karsamstag ein jahrelanger Kreuzweg. Viele starben auf diesem Weg.Es war dies die befohlene Räumung von Filipowa. Bereits am 25. November 1944 hat ein Partisanenkommando 212 Männer aus Filipowa erschossen 239 Personen wurden zu Weihnachten 44 in die Sowjetunion deportiert.
Die Geschichte
Die Geschichte von Filipowa war noch jung. Im Jahr 1763 hat Kaiserin Maria Theresia die Besiedelung des südosteuropäischen Donauraumes mit katholischen Deutschen verfügt. Man warb Leute vor allem aus Lothringen, der Rheinpfalz, Baden und Schwaben an. Schon 40 Jahre zuvor waren unter Kaiser Karl VI. Schwaben in dem nach den Türkenkriegen entvölkerten Raum angesiedelt worden. Die Donau-schwaben waren bis zum Zweiten Weltkrieg mit über einer halben Million Menschen die größte deutschsprachige Gruppe in Jugoslawien. 12. März 1945. Der 15-jährigen Georg Wildmann aus Filipowa musste ins Arbeitslager. So war er an jenem Karsamstag nicht zu Hause. Wäre er ein halbes Jahr älter gewesen, er wäre wohl schon unter den Opfern vom 25. November 1944 gewesen. Im Mai 1946 gelang ihm die Flucht aus dem Todeslager Gakowa. Sie führte ihn zunächst heim nach Filipowa, wo er sich den Sommer über versteckt halten konnte.
Die Flucht
Als gegen Ende des Zweiten Weltkriegs die Front immer näher rückte, ergriffen rund 200.000 Donauschwaben aus Jugoslawien die Flucht. Eine geordnete Evakuierung war nur mehr zum Teil möglich. Für 200.000 Deutschsprachige gab es keine Fluchtmöglichkeit mehr. Unvorstellbar sind die Leiden, die auf sie zukamen. Die Partisanen rächten sich an den Deutschen. Erschießungskommandos durchstreiften im Herbst 1944 die Orte und errichteten in aufgelassenen Fabriken Sammellager. Es kam zu zahlreichen Folterungen und Morden mit oft dutzenden, manchmal hunderten Opfern. Auf Kähnen trieben aus zusammengebundenen Menschen bestehende und mit Teer bestrichene lebende Fackeln die Donau hinab. In einzelnen Dörfern wurden die Bewohner in wenigen Häusern zusammengepfercht. Am 24. April 1945 rief der Dorftrommler im Lager Kruschiwil zum Versammlungsplatz. Die Leuten sollten sehen, wie eine Frau und ein 16jähriges Mädchen erschossen wurden, weil sie während der Arbeit im Nachbarort Essen erbettelt hatten. Auch das 6 Jahre alte Kind der Frau musste zusehen, wie seine Mutter erschossen wurde. Zwei Partisanen hatten sich zunächst geweigert zu schießen. Ein dritter tat es.
Zu Volksfeinden gestempelt
Zwischen Herbst 1944 und Frühjahr 1948 fanden 60.000 Donauschwaben den Tod. Die acht Lager für Kinder, Betagte und Kranke waren in Wirklichkeit Vernichtungslager. Es waren dies Dörfer, siebenfach überbelegt und ringsum von Partisanen oder der Volksmiliz bewacht.Die Menschen in den Lagern gingen an Seuchen und Hunger zu Grunde. Kinder bis vier Jahre und Menschen über 55 Jahre hatten kaum eine Überlebenschance. „Man hat sie bewusst sterben lassen – daher ist die Rede vom Völkermord berechtigt“, meint Dr. Wildmann. Bürger deutscher Muttersprache waren in Jugoslawien schon am 21. November 1944 mit dem „AVNOJ-Beschluss“ zu Volksfeinden gestempelt worden. Sie wurden enteignet. Georg Wildmann: „Ab 21. November 1944 gehörte nichts mehr uns, nicht die Betten, in denen wir schliefen, nicht die Räucherschinken in den Speisekammern, nicht die Häuser und Felder; nur wussten wir als Betroffene nichts von dem, was da in Belgrad über uns beschlossen wurde.“ Zu spüren sollten sie es sehr bald bekommen.
Jene, die in der ersten Flüchtlingswelle ihre Heimat verließen, kamen nach Monaten bettelarm in den obenhin schon von „Ausgebombten“ überfüllten Zufluchtsorten an, 120.000 davon in Österreich, von diesen wieder 40.000 in Oberösterreich. Das wenige, das sie auf die Flucht mitnehmen konnten, haben sie oft verloren – oder es wurde ihnen weggenommen. Als Quartiere standen zunächst oft nur überdachte Erdhöhlen zur Verfügung. In den folgenden Jahren lebten viele in Baracken. In größeren Lagern wurden auch Seelsorgestationen eingerichtet, so in Linz-Niedernhart, St. Martin bei Traun, Ansfelden oder auch in Stadl-Paura. Die Flucht Georg Wildmanns endete knapp vor Weihnachten in einer Baracke am Froschberg in Linz. Läuse waren den Flüchtlingen nicht fremd. Hier machten sie zum ersten Mal auch mit Wanzen Bekanntschaft. In Linz wurde Wildmann schließlich Theologie- und Gymnasialprofessor. Vor allem hat er sich in den letzten Jahrzehnten um die Anliegen der Donauschwaben gekümmert. Lange brachte er es nicht über sich. Erst im Jahr 2003 besuchte er wieder seine frühere Heimat.
Die Wunde bleibt
60 Jahre nach dem Weltkrieg fühlen sich die Donauschwaben oft als Vertriebene zweiter Klasse. Noch immer sind die Beschlüsse nicht aufgehoben, die sie zu Volksfeinden gestempelt haben. Und trotz der Dankbarkeit, dass sie eine neue Heimat gefunden haben, fühlen sich viele von ihnen vergessen. „Uns ist kein Schulbuch bekannt, in dem der Völkermord an den Donauschwaben Jugoslawiens erwähnt wäre“, stellt Dr. Wildmann fest. Dass man darüber wenigstens rede, ist die erste Forderung der Donau-schwaben. So könnte die „Wunde der Vertreibung“ ein Stück weit Heilung erfahren. „Wir erwarten eine moralische Rehabilitierung“, meint Wildmann. Er ist sich bewusst, dass man den postkommunistischen Staaten gegenüber keine überhöhten Erwartungen hegen sollte. Entschädigungs-Forderungen möchte er nicht forcieren.Erinnerungskultur statt Strategie des VergessensIn einer guten „Erinnerungskultur“ sieht Wildmann die bessere Basis für Europa als in einer Strategie des Vergessens. Die Zeit derer, die alles selbst erlebt haben, ist bald vorbei. Viele der jetzt Achtzigjährigen konnten sich emotional nicht in der neuen Heimat einleben. „Hier sind wir zu Hause, aber daheim ist halt immer noch unten!“ Dreißig Jahre hatte auch Dr. Wildmann die bittere Geschichte „einfach verdrängt“. Mit dem Alter steigen die Bilder des Grauens wieder empor.
Zum Thema
Dr. Georg Wildmann hat mit weiteren Autoren die Geschichte und das Schicksal der Donauschwaben, Untersteirer und Gottscheer dokumentiert. Mit vielen Fakten und Übersichten. Georg Wildmann, Hans Sonnleitner, Karl Weber. Verbrechen an den Deutschen in Jugoslawien 1944 – 1948. 3. erw. Auflage, herausgegeben von der Donauschwäbischen Kulturstiftung München 2000. Peter Kaip stammt aus Ernsthausen im deutschsprachigen Banat in Jugoslaweien. Er zählt zu den Überlebenden eines jugoslawischen Vernichtungslagers. Erst im Jahr 2004 hat er seine dramatischen Erinnerungen niedergeschrieben. Peter Kaip, Ich hörte die Totenglocken läuten. Hartmannverlag, erhältlich beim Autor, Heimstätterhof 9, 4035 Haid,Tel. 07229/812 76