Das II. Vatikanische Konzil hat das Verhältnis der Kirche zum Judentum auf eine völlig neue Basis gestellt. Für Ruth Steiner wurde daraus eine Brücke, um zu ihren eigenen Wurzeln zurückzukehren. Am 28. Oktober 1965 verabschiedete das II. Vatikanische Konzil die Erklärung über die nichtchristlichen Religionen (Nostra aetate). Der Anstoß dazu kam von Papst Johannes XXIII., der das Verhältnis zum Judentum auf eine völlig neue Grundlage stellen und dem Antijudaismus in der Kirche ein für alle Mal den Boden entziehen wollte. Was manche als „revolutionäre Wende“ in der Kirchengeschichte bezeichnen (Kardinal Lustiger), wurde für Ruth Steiner zu einer entscheidenden Weggabelung in ihrem Leben und Glauben.
In der Bewährung. Steiner wurde 1944 als Tochter jüdischer Flüchtlinge auf den Philippinen geboren. Nach ihrer Rückkehr besuchte sie in Wien die katholische Neulandschule. Mit 18 Jahren konvertierte sie zum katholischen Glauben. „Vielleicht wäre das anders gekommen, wenn ich in einer religiös praktizierenden Familie aufgewachsen wäre“, meint sie. So aber begann sich Ruth Steiner mit ihren jüdischen Wurzeln erst vor 20 Jahren intensiv zu befassen – und mit der Frage, was das für sie als Christin bedeute. Sie war gerade Generalsekretärin der Katholischen Aktion Österreichs geworden, als im Waldheim-Wahlkampf (1986) mit antisemitischen Untertönen und den berüchtigten gelben Plakaten Stimmung gemacht wurde. „Viele in der KA waren damals geschockt. Und wir entschlossen uns, dagegen öffentlich aufzutreten.“ In der Nationalbibliothek wurde eine christlich-jüdische Besinnungsstunde abgehalten und in den Folgejahren zwei vielbeachtete Symposien unter dem Titel „Schalom für Österreich“. „Diese Veranstaltungen, für die wir manche Anwürfe einstecken mussten, machten erstmals auch in der breiteren Öffentlichkeit deutlich, dass sich Christen und Juden als Geschwister sehen und dass diese Botschaft des Konzils unumkehrbar ist“, meint Ruth Steiner. Die seit drei Jahrzehnten vor allem von Prof. Schubert und Kardinal König im geschützten Kreis aufgebauten christlich-jüdischen Beziehungen zeigten nun in der Stunde der Bewährung ihre Tragfähigkeit. Für Steiner und die KA war das ein Beginn, der über das „Konzert für Österreich“, das „Lichtermeer“ u. a. bis heute fortgeführt wird.
Daheim in zwei Religionen. In diesen Jahren wurde das Konzil für Ruth Steiner immer mehr aber auch zur persönlichen Lehrmeisterin auf einem bis heute spannenden, aber auch schwierigen Weg. „Ich glaube an Jesus, den Erlöser, aber ich fühle mich immer mehr auch im Judentum daheim. Ich gehe am Freitag in die Synagoge und erlebe tief berührt, wie vieles unserer christlichen Gebetskultur aus dem Judentum stammt. Und ich gehe am Sonntag in die Messe und feiere Jesu Tod und Auferstehung. Ich habe nicht zwei Religionen, aber ich bin dankbar, dass ich auch den Glauben unserer ,älteren Brüder‘ (Papst Johannes Paul II.) und meiner Vorfahren kennen lernen darf. Vielleicht kann ich durch meine persönliche Betroffenheit und Sensibilität in meiner Kirche mehr Verständnis für das Judentum schaffen, denn die Unwissenheit über jüdisches Denken und Empfinden ist oft erschreckend groß“, hofft Steiner.
Im Rückblick: Dramatische Wende
Die „Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen“ (Nostra aetate) ist eines jener Dokumente, um die das II. Vatikanische Konzil jahrelang gerungen hat.
Bei einer Gedenkveranstaltung zu 40 Jahre „Nostra aetate“ betonte Kardinal Kasper, die Erklärung leitete eine „dramatische Wende“ in der Beziehung zwischen Kirche und Judentum ein – einerseits durch das entschiedene Nein zu jeder Form des Antisemitismus, andererseits durch das entschiedene Ja zu den jüdischen Wurzeln des Christentums. Christen und Juden haben eine gemeinsame Basis des Glaubens und Betens (10 Gebote, Psalmen etc.)
Die katholische Jüdin Ruth Steiner beschreibt das so: „Wie Jesus glauben ist jüdisch, an Jesus glauben ist christlich.“ Deshalb könne es einen christlich-jüdischen Dialog nur geben, „wenn wir aufhören, die Juden nur als Grundlage, nur als ,Wurzel‘ des Christentums zu sehen. Nur wenn wir auf gleicher Augenhöhe und mit Respekt davor, aus derselben Quelle zu schöpfen, miteinander umgehen, wird der Dialog gelingen“, meint Steiner. „Für uns und für die jüdische Seite muss klar sein: wir wollen die Juden nicht missionieren.“
In Österreich ist die anerkannte Drehscheibe für den Dialog der Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Hier werden nicht nur gemeinsame „Beziehungsfragen“, sondern auch gemeinsame Herausforderungen (Globalisierung etc.) diskutiert. Gegründet wurde der Koordinierungsausschuss bereits 1956.
www. christenundjuden.org
Buchtipp: Ruth Steiner, Daheim in zwei Religionen. Wr. Domverlag (2000), 10,70 Euro.