Kinder zeichnen sie wie selbstverständlich auf ihre Zeichenblöcke: kein Berg ohne Kreuz. Aber wofür stehen diese christlichen Symbole am Berg, die selbst kirchenferne Touristen auf den Gipfeln erwarten? Was bedeuten sie? Und warum werden sie aufgestellt?
Ausgabe: 2016/33, Kreuze zwischen Himmel und Erde, Bergkreuze,
16.08.2016 - Heinz Niederleitner
Der Schweiß klebt an der Schläfe, das T-Shirt ist durchnässt. Die Hitze der Sonne knallt auf den Fels und dieser wirft die Strahlung zurück. Dazwischen sind zwei Wanderer langsam unterwegs nach oben. Der Gipfel des Großen Pyhrgas an der Grenze zwischen Oberösterreich und der Steiermark ist das Ziel. Neben dem Steig geht es steil nach unten, an den Felswänden erinnern da und dort kleine Schilder an verunglückte Bergsteiger. Eine ortskundige Gruppe überholt. „Wie weit ist es noch?“ – „Eine Stunde bis zum Gipfel.“ Weitersteigen! Ein Umkehren wäre an dieser steilen Stelle ohnehin ungünstig. Ein Felsbuckel wird überwunden, dahinter bläst der Wind – Jacke anziehen! Dafür wird nun das Ziel sichtbar: Zum Greifen nahe scheint das Gipfelkreuz, doch in Wirklichkeit ist es noch ein gutes Stück entfernt.
Bitte
Schon 1492 wurden auf dem Mont Aiguille in Frankreich im Rahmen der Erstbesteigung Gipfelkreuze errichtet. Selbstverständlich war das aber in dieser Zeit noch nicht. Die große Zeit des Alpinismus und damit der Gipfelzeichen lag da noch in der Zukunft. Noch waren Berggipfel zumeist entrückte, manchmal auch heilige Orte. Mose empfing die Zehn Gebote auf dem Berg Sinai; Jesus predigte in Galiläa „am Berg“ und wurde auf einem Berg verklärt. Berge vermittelten das Gefühl der Nähe zu Gott. Erste Kreuze auf Bergen – noch gar nicht sosehr auf den Gipfeln selbst – hatten offenbar viel mit dem Gebet zu tun: An diesen Zeichen baten Menschen im 17. Jahrhundert zum Beispiel um Verschonung von der Pest, vom Dreißigjährigen Krieg oder von Naturkatastrophen.
Die Natur ist am Berg unberechenbar: Schien gerade noch die Sonne, ziehen sich nun Wolken rund um den eben erreichten Gipfel des Großen Pyhrgas zusammen. Der Eindruck der Pracht geht zurück, den Bergsteigern wird etwas mulmig. Ihnen wird klar: Wir bleiben hier nur kurz. Ein Schluck aus der Wasserflasche, ein Gipfelfoto und der Eintrag ins Gipfelbuch als „Beweis“: Wir waren hier!
„Eroberung“
Die alpinistische „Eroberung“ der Berge setzte ab dem 18. Jahrhundert ein. „Gipfelsiege“ mussten dokumentiert werden. Menschen ließen Gegenstände am Gipfel zurück – anonyme Spuren, wie der Volkskundler Martin Scharfe schreibt, der den Alpinismus untersucht hat. Dann wurden Namen in den Fels geritzt oder beschriebene Zettel in Flaschen gesteckt. Zur „Eroberung“ des Gebirges gehörte auch die Vermessung. Dafür kamen da und dort Fahnen und „Steinmänner“ auf die Gipfel. Als im Auftrag des damaligen Fürstbischofs von Gurk, Franz Xaver Salm-Reifferscheidt, der Klein- (1799) und der Großglockner (1800) „bezwungen“ wurden, stellten die Expeditionen jeweils ein Kreuz auf dem Gipfel auf. Es war zwar ein religiöses Symbol und doch war es auch ein Zeichen für die Leistungsfähigkeit der Menschen – wie viele andere Kreuze, welche an Gipfelerschließungen im 19. und frühen 20. Jahrhundert erinnern. Mit seiner Alpensinfonie hat Richard Strauss 1914/15 dem Alpinismus auch ein musikalisches Denkmal gesetzt.
Hoffnung
Der Weg ins Tal ist in diesem musikalischen Werk etwa genau so lang wie der Aufstieg. Auch der Abstieg vom Großen Pyhrgas zieht sich hin, die Gelenke müssen Schritt für Schritt das Körpergewicht abfangen. Es wird noch einmal schwierig!
Der Technik- und Fortschrittsgläubigkeit folgte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts der große Rückfall: Zwei Weltkriege verheerten Europa, Waffen und Menschheitsverbrechen vernichteten unzählige Leben. In Zeiten der Entbehrung, Vertreibung und Kriegsgefangenschaft hofften viele Menschen auf eine andere Welt. Es waren Heimkehrer, Friedenssucher, Versöhner und gläubige Menschen, welche nach 1945 die allermeisten Gipfelkreuze setzten. Das Gipfelkreuz auf dem Großen Pyhrgas errichtete 1964 die Katholische Jugend des Dekanats Gallneukirchen, 800 Menschen waren damals bei der Gipfelmesse. 50 Jahre später wurde eine Erinnerungstour durchgeführt, der Gottesdienst musste wegen der Witterung dann aber bei der Bosruckhütte gefeiert werden.
Spiritualität
Dort endet auch die heutige Tour: Die Füße sind nach fünfeinhalb Stunden Bewegung müde, aber die Seele ist verjüngt: Der Berg schafft Abstand zu den im Tal verbliebenen Sorgen des Alltags. Der Ausblick lässt einen kleinen Teil der gewaltigen Schöpfung erahnen, der Himmel ist nahe. Der Berg kann für Menschen heute noch eine spirituelle Erfahrung bieten. Die Beliebtheit von Bergmessen mag auch darin begründet sein. Doch das, was Menschen mit den Gipfeln verbinden, ist vielfältig – wie auch die Gründe, warum heute noch Gipfelkreuze errichtet werden: als Gedenkkreuze an Verstorbene oder aus Dank; weil einfach ein Kreuz auf den Berg „gehört“ oder weil es dem Tourismus dienen kann, ...
Nicht allen gefällt das: Extrembergsteiger Reinhold Messner gilt als Gipfelkreuz-Kritiker. Er will keine „Vereinnahmung“ von Gipfeln durch eine Religion, wie er sagt. Andere erinnern die Kreuze an Zeiten, da der Mensch die Natur „erobern“ und den Berg „besiegen“ wollte. Gleichzeitig hört man von buddhistischen Gebetsfahnen auf Gipfelkreuzen: Ein Zeichen des Pluralismus oder der Esoterik? Am Großen Pyhrgas sind diese Fragen offenbar (noch) nicht angekommen. Er wird am Abend von der tiefstehenden Sonne angestrahlt. Mit dem Fernglas ist das Gipfelkreuz zu erkennen. Es wirkt, als würde es ins Tal schauen und gleichzeitig in den Himmel zeigen.
Ab Sommerende werden wieder viele Bergmessen gefeiert. Bischof Manfred Scheuer zelebriert am 21. August um 10:30 Uhr die Traunsteinmesse beim Heimkehrerkreuz am Traunstein sowie am 4. September um 11:30 Uhr die Dachsteinmesse bei der Simonyhütte.