Sr. M. Barbara Lehner über ihre Beziehung zur heiligen Elisabeth
Ausgabe: 2007/17, Lehner, Barmherzigkeit, Glaube, Weltgebetstag, Weltgebetstag der geistlichen Berufe, Scheuer, Elisabeth, Gottes Gnade, Elisabeth von Thüringen, Werke der Barmherzigkeit, Liebesdienste, Gesellschaft
25.04.2007
Die heilige Elisabeth in den Werken der Barmherzigkeit. Dieser textile Wandschmuck der Künstlerin Sr. M. Ludgera aus dem Kloster Reute (BRD) hängt im Eingangsbereich des Krankenhauses der Elisabethinen in Linz.
Zum Jubiläumsjahr ist ein neuer Film über die große Heilige mit dem Titel „Elisabeth von Thüringen – Rebellin und Heilige“ erschienen. Auch wenn die beiden Bezeichnungen so gegensätzlich erscheinen, treffen sie genau das, was mich an der Person Elisabeth so anspricht. Ich verehre sie als Rebellin und Heilige. Sie war keine Rebellin im Sinne einer politischen Aufrührerin oder lautstarker Gegnerin der gesellschaftlichen Normen. Dennoch trat sie der Ungerechtigkeit und der sozialen Not ihrer Zeit unübersehbar entgegen. Ungeachtet des Widerstandes, dem sie sich ausgesetzt sah, folgte sie als selbstbestimmte Frau bedingungslos ihrem inneren Ruf.
Kritisch handeln. Selbstbestimmtheit heißt heute wie damals, sich eine kritische Haltung gegenüber gesellschaftlichen Trends zu bewahren, den Mut aufzubringen, nein zu sagen zu Entwicklungen, die dem Wohl der Menschen nicht förderlich sind, und bereit zu sein, die eigene Meinung zu sagen, auch wenn es die bequeme Harmonie stört und Konflikte zur Folge hat.
Adresse Gottes. Nicht das Nein zum Irdischen, sondern das bedingungslose Ja zu Gott und den Menschen hat sie zur großen Heiligen gemacht. Elisabeth war eine besonders empfängliche Adressantin für das Wort Jesu „Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“(Mt 25, 40) Praktisch hat sie das umgesetzt in der Ausübung der Werke der Barmherzigkeit: Durstige tränken, Hungrige speisen, Gefangene erlösen, Nackte bekleiden, Kranke besuchen, Fremde beherbergen und Tote begraben.
Blick auf den Menschen. In der Ausführung dieser Liebesdienste muss sie bemerkt haben, was es für einen Menschen bedeutet, in seinen Grundbedürfnissen wahr- und ernstgenommen zu werden. Bei einem Fest, das sie auf der Wartburg für die Armen gegeben hat, formulierte sie angesichts der Freude dieser Menschen ihren Dienerinnen gegenüber den Satz: „Ich sage euch, wir müssen die Menschen froh machen.“ Diesen Satz sehe ich als ihr bleibendes Vermächtnis an mich ganz persönlich und an alle Ordensgemeinschaften, die ihren Namen tragen. Gerade unser Krankenhaus ist ein Ort, durch dessen Tür täglich viel Not ein- und ausgetragen wird. Hier lebe und wirke ich, hier begegnen mir viele Möglichkeiten, die Menschen froh zu machen. Einem Menschen, der einem besonders viel bedeutet, sagt man gerne „Gut, dass es dich gibt.“ Ich möchte der heiligen Elisabeth zusprechen: „Wie gut, dass es dich gibt, als Rebellin und Heilige.“
- Sr. M. Barbara Lehner ist Generalvikarin des Konvents der Elisabethinen in Linz und Direktorin der Schule für Gesundheits- und Krankenpflege.
Stichwort
1207 wird Elisabeth als Tochter des ungarischen Königs Andreas und seiner Gattin Gertrud auf Schloss Sárospatak geboren. Mit vier Jahren wird sie mit dem Sohn des Thüringer Landgrafen Hermann verlobt und verlässt ihre Heimat, um auf der Wartburg aufzuwachsen. Mit 14 Jahren heiratet sie und bekommt drei Kinder. Mit ihrem Mann Ludwig verbindet sie eine lebhaft-zärtliche Liebe. Umso größer ist ihr Schock, als Ludwig am 11. September 1227 am Beginn eines Kreuzzugs in Italien stirbt. Elisabeth wird von der Wartburg vertrieben und gründet in Marburg ein Spital, in dem sie bis zur Erschöpfung selber die mittellosen Kranken pflegte. Elisabeth verbindet ihre tiefe Gottesliebe mit einer großen Liebe zu den Armen. Sie folgt damit ihrem Vorbild Franziskus. Am 17. November 1231 stirbt sie; bereits vier Jahre später wird sie heiliggesprochen.
Die Barmherzigkeit rechnet nicht
Elisabeth sagte über ihre Arbeit: „Wundere dich nicht, dass ich dies tue; nicht ich tue es, sondern die in mir bleibende Gnade Gottes.“
Neben der Suche der Nähe Gottes im Gebet war das Leben der heiligen Elisabeth von ihrem kompromisslosen Einsatz für die Armen geprägt. Christen können dem Evangelium ein Gesicht geben.
Blick für andere. Christen haben von Gott her ein Ansehen. Und von da her können sie andere wahrnehmen, müssen sie das Leid nicht wegblenden. Zur Barmherzigkeit gehört zunächst eine liebende, offene, wahrnehmende und hörende Aufmerksamkeit, welche das Leiden anderer sehen und es sich zu Herzen gehen lässt. Eine solche Aufmerksamkeit setzt ein leidenschaftliches Interesse für den Menschen voraus. Erst durch diese Gesinnung wird der Nächste zum Nächsten. Sonst bleibt auch der äußerlich Nahe fremd und auf Distanz. Barmherzigkeit kann nicht erzwungen werden. Sie äußert sich spontan und frei.
Selbstlos. Die Freiheit der Barmherzigkeit steht auch für die Absichtslosigkeit der Zuwendung. Sie wird pervertiert, wenn sie nicht um ihrer selbst willen geschieht, sondern mit Verzweckung, mit Berechnung, mit Gegenerwartungen und Geschäften (auch im religiösen Sinn) verbunden ist. Barmherzigkeit bleibt in Gesinnung und Tat arm: Der Geber stellt sich selbst nicht in den Mittelpunkt, er zieht nicht die Aufmerksamkeit auf sich, er will sogar zugunsten der Tat übersehen werden und zieht sich zurück. Es geht nicht um eine gönnerische Großzügigkeit, die an der Leine hält und Applaus bzw. Dankbarkeit erwartet. Echte Barmherzigkeit kennt keine Gegenforderungen und schafft keine Abhängigkeiten. An dieser Armut unterscheidet sich letztlich wahre Liebe von „lebensweisem Egoismus“ (K. Rahner). Alles andere wäre für den Empfangenden eine Demütigung.
Die Werke. Was mit leiblichen und geistlichen Werken der Barmherzigkeit gemeint ist, bündelt sich in der Hl. Schrift im Matthäusevangelium, beim Propheten Jesaja und Buch Tobit: Hungrige speisen, Durstige tränken, Nackte bekleiden, Fremde beherbergen, Gefangene erlösen; Kranke besuchen (alle Mt 25, 35f.); Tote begraben (Tob 1, 17). Zu den geistlichen Werken der Barmherzigkeit zählt die Tradition: Sünder zurechtweisen (Jak 5, 20; Mt 18, 15); Unwissende lehren; Zweifelnden recht raten; Betrübte trösten; Unrecht geduldig erleiden; Beleidigern gern verzeihen; für die Lebenden und Toten Gott bitten.
Ein Beispiel. Fürstin Elisabeth kümmerte sich um die Kranken und begleitete die Einsamen. In ihrem Tun kann sie auch Beispiel für uns sein. Blickt man auf die Menschen in unserem Land, so stimmt es mich froh, wie viel in diese Richtung schon geschieht an Nachbarschaftshilfe, an Krankenbesuchen, an Pflege, an Zeit haben, an Katastrophenhilfe …
Ermutigung. Und so möchte ich euch ermutigen: Packen wir die nächste Gelegenheit am Schopf und lindern in unserer unmittelbaren Umgebung Not durch eine kleine Geste der Aufmerksamkeit. Verbleiben wir das nächste Mal am Krankenbett etwas länger als sonst und/oder schenken unseren Kindern etwas mehr Zeit als gewöhnlich und zeigen dadurch, dass sie wirklich ein Geschenk des Himmels sind. Oder vielleicht gelingt es uns einfach jemandem das Gefühl zu geben, wie wichtig es ist, dass er einfach da ist, ohne mit irgendwelchen Leistungen oder Ergebnissen auftrumpfen zu müssen.
Bischof Dr. Manfred Scheuer aus Innsbruck ist auch österreichischer „Caritas-Bischof“