Am Pfingstmontag, den 10. Juni 1946 drangen Bewaffnete in die Missionsstation Fujin ein. Die Männer holten die drei österreichischen Kapuzinermissionare in die Sakristei und eröffneten das Feuer. P. Theophil Ruderstaller aus Ostermiething war sofort tot, der Tiroler P. Antonin Schröcksnadel erlag innerhalb Minuten seinen Verletzungen. Lediglich der schwer verletzte Br. Günther Krabichler konnte in das 150 Kilometer entfernte Hauptkloster Jiamusi fliehen.Das Attentat wurde nie aufgeklärt, die Gebäude wurden von der herrschenden Kommunistischen Partei aber beschlagnahmt, die Christengemeinde zerstreut. Die Kapuziner in Jiamusi mussten wenig später das Land verlassen. So fand die österreichische Kapuzinermission in Nordchina nach nur zwei Jahrzehnten ihr Ende. Dann haben die Kapuziner nichts mehr vom Schicksal ihrer Mission gehört – bis 2004 in der Ordenszentrale in Rom der Brief eines chinesischen Untergrundbischofs eintraf. Joseph Wei berichtete vom Fund der Gräber der beiden österreichischen Märtyrer-Priester und von einer jungen Gemeinde in Fujin. Die Nachricht löste Begeisterung in der Nordtiroler Kapuzinerprovinz aus, doch nachprüfen konnte sie niemand. Bis sich im Mai 2007 Gisela und Gunther Gensch für die KirchenZeitung auf den Weg in die Mandschurei – in den äußersten Nordosten Chinas – machten.
Gräber unter Dornen
Ein KirchenZeitungs-Artikel über die österreichischen Kapuziner-Missionare in China ließ sie nicht mehr los. Die Wahloberösterreicherin Gisela Gensch begab sich auf Spurensuche nach den Missionaren, die 1946 in der Sakristei ihrer Missionsstation Fujin ermordet wurden.
Die Reise Anfang Mai 2007 war mehr als ein Abenteuer: Obwohl Gisela Gensch jährlich mehrere Monate in China lebt, wo ihr Mann Gunther an einer Universität lehrt, konnte sie über ein mögliches christliches Leben in Fujin nichts in Erfahrung bringen. Mit einer großen Portion Gottvertrauen brach das Ehepaar begleitet von zwei chinesischen Priestern an die chinesisch-russische Grenze auf – mehr als 1000 Kilometer von ihrer Stadt Dalian entfernt. Was sie in der heute einige hunderttausend Einwohner zählenden Stadt Fujin erlebten, entpuppte sich dann als Wunder.
Kirche als Parteizentrale. „Nein, eine Kirche gibt es nicht mehr“, sagen die Verantwortlichen für Stadtplanung und für Kirchenfragen von Fujin. Da sind sich die beiden Herren ganz sicher. Als sie Gisela Gensch dann doch auf das einstige Missionsareal führen, steht sie vor einem heruntergekommen Backsteinbau - unzweifelhaft vor dem ehemaligen Gotteshaus. Dass die Herz-Jesu-Kirche nicht der Abbruchbirne zum Opfer gefallen ist, ist eine Ironie der Geschichte: Das Gebäude diente lange Zeit als Parteizentrale der kommunistischen Partei. Und steht darum unter Denkmalschutz. Auch wenn die Halle heute als Lagerhalle für Düngemittel dient. Beim Überschreiten der Schwelle überfällt Gisela Gensch ein seltsames Gefühl: „Es ist Glück und Trauer zugleich: Glück, weil die Kirche noch steht, und Trauer, weil ich mich plötzlich mitten in die schrecklichen Ereignisse des 10. Juni 1946 hineinversetzt fühle. 400 Gläubige haben hier gebetet und gesungen und dann fallen die Schüsse. In der angrenzenden Sakristei sind die Kapuzinermönche zu Märtyrern geworden.“ Trotz des Mülls, der den Boden bedeckt, tauchen in ihrer Vorstellung die Bilder der neoromanischen Kirche auf, wie sie sie von Fotos aus dem Tiroler Kapuzinerarchiv kennt: „Ich stelle mir das große Kreuz und die Bilder über dem Altar vor, den Tabernakel. Heute noch erinnern Löcher im Putz an sie.“ Vom Kirchturm steht noch ein kleiner Teil, leer und im Verfall begriffen ist das Pfarrhaus. Die übrigen Gebäude der Mission wie Schule, Werkstätten und Krankenstation wurden abgerissen.
Von Gestrüpp überwuchert. Wo sind nun die Gräber der Martyrer, um die laut Bischof Joseph Wei neues christliches Leben wächst? Hier muss mit dem Untergrundbischof die Phantasie durchgegangen sein. Dass man im Zuge von Bauarbeiten 1997 auf die Gebeine der beiden Kapuziner gestoßen ist, stimmt, aber von Grab oder einer christlichen Andachtsstätte keine Spur. Die Gruppe um das Ehepaar Gensch wird in einen von Dornen verwucherten Hinterhof geführt. Man holt einen Anrainer. Dieser zeigt mit einer Schaufel auf die Stelle, wo P. Antonin Schröcksnadel und P. Theophil Ruderstaller begraben liegen. Nach den Bauarbeiten, so erzählt der Anrainer, wurden die Gebeine hier wieder bestattet.
Ein erstes Gebet aus Europa. „Ich komme mir plötzlich wie eine Zeugin vor. Alles will ich dokumentieren. Ich will es für Dich, P. Antonin, für Dich, P. Theophil“, erzählt Gisela Gensch bewegt. Sie lässt einen Blumenstrauß kaufen und hält mit den beiden Priestern, die sie begleiten, eine Totenandacht. Das erste Gedenken aus der Heimat nach 61 Jahren. Die Priester beten, während sie den Blumenstrauß aus weißen Lilien, Pfingstrosen und Glockenblumen zwischen Dornen und Abfällen niederlegt: „Wir entfernen uns still, während ich meine Tränen trocknen muss. Vielleicht wird einer der beiden einheimischen Priester einmal Pfarrer von Fujin, kommt es mir in den Sinn, und es entsteht hier wirklich neues Leben.“
Der Same ist aufgegangen. Von der einst blühenden Gemeinde der Kapuziner sind gerade einmal dreißig alte Katholiken übrig. Die kleine Schar wird von der 150 Kilometer entfernten Stadt Jiamusi mitbetreut. Dort war auch die Hauptstation der österreichischen Kapuzinermission. Von der einst ausgedehnten Anlage fand das Ehepaar Gensch nur mehr ein kleines zerfallenes Häuschen, aber dort blüht das kirchliche Leben. Die neu erbaute Kirche platzt aus allen Nähten, sodass eine zweite gebaut werden muss, für die es bereits eine staatliche Baugenehmigung gibt.
ZUR SACHE
Verwirrung
Wie es zu den Angaben von Bischof Joseph Wei über das neuen Leben an den Gräbern kommen konnte, hängt mit der verworrenen kirchlichen Situation in China zusammen: Bischof Wei gehört der mit Rom verbundenen katholischen Untergrundkirche an, die teilweise immer noch Repressalien ausgesetzt ist. Der Bischof war deswegen vermutlich nie vor Ort in Fujin, obwohl es zu seiner „Diözese“ gehört. Die Gläubigen in Fujin und Jiamusi werden von der patriotischen staatstreuen Kirche betreut. In dieser Region Chinas steht die patriotische Kirche aber in Einheit mit dem Papst. Von den 1,3 Mrd Bewohnern Chinas sind rund 15 Millionen Katholiken. Die Kirche nimmt seit 15 Jahren aber einen unübersehbaren Aufschwung.
Gislea Gensch hat über ihre Begegnungen in Jiamusi und Fujin (und in weiteren Orten Chinas) einen Bericht mit Fotos verfasst. Die Broschüre (80 Seiten und 145 Farbbilder) ist um 14,90 Euro (zzgl. Porto) zu beziehen bei: Gisela Gensch, Piberschlag 6, 4184 Helfenberg; E-mail: Gi.Gensch@arcor.de
DIE AUGENZEUGIN
Meine kleine Rose
Als Krönung ihrer Erkundungsreise trifft das Ehepaar Gensch eine Zeugin der Sonderklasse: Frau Gao Tong Qin.Sie war die Tochter der Köchin der Missionsstation und hat als Elfjährige den Mordanschlag miterlebt. Gisela Gensch hat zum Gespräch ein Foto der Kapuziner mitgebracht. Außer sich vor Freude beginnt Gao Tong Qin zu erzählen. Sie sprudelt über vor Geschichten aus dem Alltag der Mission: Sie nennt die Mönche mit ihren chinesischen Namen. Bruder Lu – P. Theophil – sprach ausgezeichnet Chinesisch und hatte ein besonders Geschick, Rosenkranzperlen zu schnitzen, erzählt sie. She Ke fang – Bruder Antonin – führte ihre Mutter in die österreichische Küche ein. In die Schule der Mission seien hauptsächlich Kinder aus den ärmsten Familien gegangen, auch in der Krankenstation sind fast nur Arme behandelt worden. Ebenso gab es eine Armenausspeisung. „Die Mönche nannten mich immer women xiaode piao tang – unsrere hübsche kleine Rose. Als sie tot waren, ist für mich eine Welt zusammengebrochen. Da mein leiblicher Vater vor meiner Geburt gestorben ist, waren sie wie meine Väter.“ Gao Tong Qin greift mit Tränen in den Augen zu dem Foto und streichelt zärtlich die Gesichter „ihrer Väter“.