Lange war mir nicht klar, welcher Aspekt des Erzmärtyrers nachahmenswert für mich sein könnte. Mit Schaudern denke ich an die Gesellschaft, in der er lebte und die ihn umbrachte. Oft fragte ich mich, warum er nicht vorsichtiger zu seinen erst kritischen und schließlich wütenden Zuhörern gesprochen hatte. Stephanus musste gewusst haben, dass hier die Steine sehr rasch und niedrig fliegen. In seiner letzten Rede rekapitulierte er die Heilsgeschichte Israels, um mit dem kolossalen Vorwurf an seine Zuhörer und Richter zu schließen: Sie und ihre Vorfahren seien Verräter und Mörder an den Propheten und am Messias. Man sagt, die Wahrheit sei den Menschen zumutbar, aber auch: Wer die Wahrheit nicht erträgt – schlägt.Mir ist ein anderer Aspekt meines Namenspatrons sehr sympathisch: Seine Bereitschaft, sich dort zu engagieren, wo die Apostel zunächst denken, es halte sie vom Wesentlichen – dem Beten und Predigen – ab, nämlich der konkreten Sorge um notleidende Mitmenschen. Stephanus macht deutlich: Diakonie und Verkündigung sind nicht zu trennen.
Stephan Haigermoser ist Jugendleiter im STUWE in Linz.