Gewalt an Frauen ist in Kolumbien weit verbreitet. „Vamos Mujer“ bietet Programme und Beratungen zum Schutz vor Gewalt und macht Mut, sich für den Frieden stark zu machen. Unterstützt wird die Organisation von der „Aktion Familienfasttag“ der Katholischen Frauenbewegung Österreichs.
Ausgabe: 2018/08
20.02.2018 - Susanne Huber
Im Rhythmus schlagen junge Frauen die Trommeln und singen dazu. Bunt, laut und sichtbar treten die Kolumbianerinnen regelmäßig gegen Gewalt an Frauen, gegen den Krieg und für den Frieden ein – in Aktionen, Kampagnen und friedlichen Protestmärschen vor staatlichen Institutionen, an öffentlichen Plätzen oder über die Medien. „Gewalt ist nichts Natürliches. Gewalt ist nichts Gottgegebenes. Man kann sich dagegen stellen, sich dagegen wehren. Wir nennen das die Entnaturalisierung von Gewalt“, sagt Ana Maria Berrio Ramirez. Sie arbeitet seit 16 Jahren bei der kolumbianischen Frauenorganisation „Vamos Mujer“ („Vorwärts, Frauen“).
Gewalt trotz Friedensaufbau
Obwohl der Bürgerkrieg, der mehr als 50 Jahre im Land herrschte und 2016 mit der Unterzeichnung eines Friedensvertrages zwischen der kolumbianischen Regierung und der Guerillagruppe FARC beendet wurde, ist der Friede in Kolumbien noch nicht eingekehrt. Mit dem Aufbau des Friedens sehe „Vamos Mujer“ sehr wohl eine Beruhigung in der Zivilgesellschaft, meint Ana Maria Berrio Ramirez. Aber es bestehen nach wie vor Gewaltformen – „im Speziellen die Gewalt gegenüber Mädchen und Frauen. Das sind Vergewaltigungen bis hin zu Frauenmorden.“ In diesen Fällen sind die Täter nicht Männer aus bewaffneten Gruppen, sondern aus der nächsten Verwandtschaft oder Umgebung.
Kriegerische Mentalität
Die Gewalt an Frauen existiert allerdings nicht nur aus den patriarchalen Strukturen des so genannten „Machismo“ heraus. Oft steht sie auch in Verbindung mit der politischen Gewalt im Land. „Durch den Bürgerkrieg entwickelte sich eine kriegerische Mentalität. Die Menschen sind es gewohnt, Probleme sofort mit Gewalt zu lösen; das ist die erste Reaktion. Das zieht sich durch die ganze Gesellschaft, vom familiären, privaten Bereich bis in die politische Ebene. Gewalt als schnelle Lösung ist eine Haltung, die man über Jahrzehnte gelernt hat“, erklärt Ana Maria Berrio Ramirez.
Unabhängigkeit fördern
Schon seit 39 Jahren ist die Organisation „Vamos Mujer“ für Frauen tätig – sowohl in der Metropole Medellín mit 2,5 Millionen Einwohnern als auch in ländlichen Regionen des Departements Antioquia. „Wir begleiten insgesamt 700 Frauen, Frauengruppen und -organisationen auf ihren Weg in eine selbstständige, wirtschaftliche und finanzielle Unabhängigkeit. Außerdem unterstützen wir sie dabei, ihre Rechte zu erkennen und ihre Handlungsräume tatsächlich zu nützen. Wir setzen uns aktiv für den Frieden ein und wir erarbeiten mit den Frauen Wege für ein Leben frei von Gewalt“, berichtet die 51-jährige Kolumbianerin. „Vamos Mujer“ bietet unter anderem persönliche Begleitung in Workshops. Selbstbewusstseinsbildung ist dabei ein Hauptthema. „Frauen sollen sich erkennen, selbstständig handeln und ihre Selbstliebe stärken. So können sie ihre Stimme erheben und für ihre Träume, für ihr Leben eintreten“, sagt die Projektpartnerin der Katholischen Frauenbewegung Österreichs.
Kreative Ausdrucksformen
Darüber hinaus wird mit rund 50 Mädchen in Gruppen gearbeitet. „Wir versuchen mit verschiedenen künstlerischen und kreativen Ausdrucksformen wie Tanz, Malerei oder Theater die Mädchen zu erreichen, damit sie einen Weg finden, um ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Sie bemalen T-Shirts mit ihren eigenen Botschaften oder Bitten. Sie singen eigene Lieder. In Theaterstücken werden z. B. gängige Märchen der Brüder Grimm neu interpretiert“, erzählt die Kolumbianerin. So wird im „Rotkäppchen“ die Großmutter zur Beschützerin. „Die Botschaft ist: Wir müssen schützende Räume für die Mädchen und jungen Frauen schaffen und ihnen aufzeigen, wie sie sich vor Gewalt schützen können. Alleine sind sie dazu noch nicht imstande.“
Vertrauen aufbauen
Wie so viele andere Frauen in Kolumbien wünscht sich Ana Maria Berrio Ramirez, dass die Friedensarbeit fortgeführt wird und meint, „es ist schon einiges geschehen, aber noch sehr fragil.“ In Kolumbien finden am 27. Mai Präsidentschaftswahlen statt. Juan Manuel Santos, der seit 2010 Präsident ist und die letzten acht Jahre den Friedensprozess begleitete – er erhielt dafür 2016 den Friedensnobelpreis – kann rechtlich nicht wiedergewählt werden. „Es ist ganz wichtig, diesen Weg der Versöhnung weiterzugehen, damit wir wieder Vertrauen gewinnen können. Nicht nur durch die familiäre, sondern auch durch die alltägliche Gewalt in Kolumbien ist großes Misstrauen vorhanden“, erklärt die Kolumbianerin. „Du gehst auf die Straße und hast die Tasche fest im Griff. Und wenn dich jemand anspricht, bist du sehr vorsichtig und denkst, was könnte der andere wollen. Dieses Misstrauen müssen wir abbauen.“
Gärten der Hoffnung
Versöhnung sei ein Prozess der helfe, emotionale Verfeindungen zu überwinden und zu vergeben, sagt die Mitarbeiterin von „Vamos Mujer“. So könne die Heilung einer gespaltenen Gesellschaft geschehen und gegenseitiges Vertrauen aufgebaut werden. Das gelinge hervorragend beim Arbeiten in der Natur. Konkret berät und begleitet Ana Maria Berrio Ramirez Frauengruppen auf dem Land bei ihrer landwirtschaftlichen Produktion. „Ich liebe das Landleben seit meiner Kindheit, wo ich immer wieder Zeit auf dem Bauernhof meiner Großmutter verbracht habe. Ich finde die Verbindung Land und Leben sehr förderlich. Die Bäuerinnen schöpfen Hoffnung aus der Umwelt, indem sie Kaffee, Mais, Bohnen, Obst und Zuckerrohr anbauen und mit anderen Frauen gemeinsam verarbeiten und vermarkten. So entstehen Gärten der Hoffnung.“
Gemeinschaft
Ihre Stärke schöpft die Kolumbianerin aus der Arbeit mit den Frauen und aus der Arbeit mit ihren Mitstreiterinnen bei „Vamos Mujer“. „Wir haben eine wunderbare Gemeinschaft, wo uns Zuversicht und Vertrauen in einer sehr harten Realität begleiten. Bei Vergewaltigungen an kleine Mädchen bis hin zur Ermordung von Frauen hilft das gemeinsame Weinen und Trauern; und diese Mystik und Spiritualität, die wir in der Gemeinschaft erleben. Was mit Frauen passiert, bewegt und motiviert uns, eine Veränderung in der Gesellschaft zu bewirken.“ «
Zur Sache
60 Jahre Aktion „Familienfasttag“
In diesem Jahr feiert die „Aktion Familienfasttag“ der Katholischen Frauenbewegung Österreichs (kfb) ihren 60. Geburtstag. Die entwicklungspolitische Initiative, die besonders durch ihre „Suppenessen“ bekannt ist, unterstützt mit jährlichen Spenden von rund 2,4 Millionen Euro mehr als 100 Projektpartner in Afrika, Asien und Lateinamerika. Man setze sich dabei ein „gegen Gewalt an Frauen und Mädchen, für die Durchsetzung von Frauen- und Menschenrechten sowie für einen Systemwandel hin zu gerechten Strukturen, in denen Frauen gleichberechtigt und ermächtigt aktiv sind“, erklärte die kfb-Vorsitzende Veronika Pernsteiner in einer Aussendung. Gefeiert wird das Jubiläum erst zu Jahresende (9. bis 11. November) mit einem Symposium zum Thema „Frauen verändern die Welt!? Wann führt Empowerment von Frauen zu einer sozialen, ökonomischen und ökologischen Transformation?“ im Salzburger Bildungshaus St. Virgil.
Die Frauenbewegung stellt 2018 Hilfsprojekte in Kolumbien zum Thema „Friedensaktiv. Frauen für eine gerechte Welt“ ins Zentrum ihres Engagements. Der traditionelle „Familienfasttag“ findet dieses Jahr am 23. Februar statt.
- Infos unter: www.teilen.at