Ausgabe: 2009/02, Kirchschläger, Reformdialog, Dr. Walter Kirchschläger, Luzern, Gehschule, Reform, Kirche, Amt, Mahlgemeinschaft, Solidarität, Charisma
08.01.2009 - Hans Baumgartner
Ämter und Dienste in der Kirche. Damit befasst sich in den kommenden Tagen die Österreichische Pastoraltagung. Dahinter steht die Frage um die Zukunft der Kirche. Das ist längst kein akademisches Thema mehr, es brennt jedem Pfarrgemeinderat unter den Nägeln. Priester- und Laieninitiativen formulieren dazu ihre Sorgen. Jede Kirchenreform, aber auch deren Verweigerung, muss sich an den Anfängen orientieren. Das betonte der Theologe Walter Kirchschläger beim „Reformdialog 2008“.
Jede Debatte über die Zukunft der Kirche müsse auf allen Ebenen Maß an den Anfängen nehmen, ist der Bibelwissenschaftler Walter Kirchschläger überzeugt. „Dort, gleichsam im Laboratorium der ersten Generation, ist abzulesen, was eine Gemeinschaft zur Kirche macht, was sie unabdingbar braucht, um zu leben.“ Nicht, weil die ersten Generationen so vollkommene Christinnen und Christen gewesen wären, mache deren Zeugnis auch für heute zur bleibenden Richtschnur, sondern deren unmittelbare Verbindung zum Jesusgeschehen. „Die ersten Generationen konnten gar nicht anders, als aus den Erfahrungen der Jesusgemeinschaft zu lernen. Denn einen anderen Gestaltungsrahmen hatten sie nicht“, betont Kirchschläger.
Mahlgemeinschaft. Eine wesentliche Erfahrung der ersten Christen war das Mahlverhalten Jesu. Er hatte keine Berührungsängste und keine Voreingenommenheiten. Seine Tischgemeinschaft war keine „Belohnung für die Guten“, an seinem Tisch durften auch Zöllner, Sünderinnen und Sünder sitzen, wenn sie in seiner Nähe sein und sein Wort vom Reich Gottes hören wollten. „Kirche“, so Walter Kirchschläger, „kann daher nur glaubwürdig sein, wenn sie die Voraussetzungslosigkeit des Heiles Gottes selbst konsequent lebt – abhängig lediglich davon, ob der einzelne Mensch sich selbst Gott zuwenden will.“ Das gelte auch für die Teilnahme am Herrenmahl (Kommunion), verweist Kirchschläger auf das Jesuswort: Nicht die Gesunden, sondern die Kranken bedürfen des Arztes. „Die Texte über das Herrenmahlverständnis im Neuen Testament legen anstelle der Frage nach der Würdigkeit eher die jeweils neue Auseinandersetzung darüber nahe, ob ich willens und bereit bin, tatsächlich mit diesem Jesus von Nazareth konkrete Mahlgemeinschaft und damit personale Gemeinschaft einzugehen – mit diesem Jesus, der auf Grund seines Lebens, seines Todes und seiner Auferstehung eine sehr ausgeprägte Geschichte der Solidarität, der Selbstlosigkeit, Gottbezogenheit, ja Gottunmittelbarkeit hat“, betont Kirchschläger.
Solidarität. Am Beispiel Jesu und dem Leben der frühen Kirche ist uneingeschränkte Solidarität abzulesen, meint Kirchschläger. Das Eintreten für Arme, an den Rand Gedrängte, Benachteiligte und Rechtlose sei daher mehr als eine ethische Forderung, darin werde vielmehr das Menschenbild, das Jesus von seinem und unserem Gott vermittelt, sichtbar. Für die Glaubwürdigkeit der Kirche sei es daher von besonderer Bedeutung, wie sie Solidarität lebe – auch im eigenen Bereich. Da sei einerseits tatkräftige Solidarität gegenüber Menschen gefragt, die in und durch die Kirche an den Rand gedrängt werden (wiederverheiratete Geschiedene, Priester ohne Amt oder auch Jugendliche). Es gehe aber auch um eine solidarische Praxis im Umgang miteinander als weltumspannendes Modell von Kirche. Leben wir Kirche als einen Weltkonzern mit einem Macht- und Verwaltungszentrum, oder wird Kirche als ein Geflecht solidarischer Beziehungen zwischen den Menschen vor Ort, zwischen den Gemeinden und zwischen den Ortskirchen und der Weltkirche gelebt? Die gerade angesichts kontroverser Fragen immer wieder eingemahnte Solidarität und Rücksichtnahme gegenüber der Weltkirche sehe anders aus, als das Bild solidarischer Beziehungsnetze, wie sie etwa die Paulusbriefe vermitteln, betont Kirchschläger.
Amt als Dienst. Ein zentrales Vermächtnis Jesu an seine Jüngerinnen und Jünger sei die Fußwaschung. In ihr liege weitaus mehr als ein ethischer Anspruch; in der als Sklavendienst angesehenen Fußwaschung offenbart sich die „Eigenart unseres Gottes, der sich in seinem Sohn so klein gemacht hat, dass Menschen ihn und seine Botschaft der Zuwendung verstehen können“, sagt Kirchschläger. „Die Fußwaschung umschreibt eine uneingeschränkte Hinwendung zum anderen Menschen“, verweist Kirchschläger auf die zu jeder Zeit neu zu entdeckende kirchliche und gesellschaftliche Brisanz dieses Vermächtnisses. Und wenn Jesus im Rangstreit der Jünger sagt, „bei euch ist es nicht so“ (wie bei den Mächtigen der Welt), dann ziele er genau auf die Haltung des Dienens. Jede Leitung in der Kirche müsse sich daran messen und messen lassen. Im Dienst bestehe ihre Autorität und Glaubwürdigkeit – nicht in Ämtern, Rängen oder Funktionen. „Wie müsste ein Pfarrteam, ein Pfarrgemeinderat, eine Ordensgemeinschaft, aber auch eine Diözese oder die Weltkirche funktionieren, wenn diese Haltung zum Tragen käme“, fragt Kirchschläger. Die angesprochene Haltung sei auch ein zentraler Impuls für die Geschwisterlichkeit in der Kirche. Wie man den Paulusbriefen entnehmen könne, war Geschwisterlichkeit von Anfang an nicht einfach zu leben, denn „Freunde könne man sich aussuchen, Geschwister nicht“, erinnert Kirchschläger an ein bekanntes Wort. „Gott gibt die Familienbeziehung vor, er ruft die Menschen in seine Gemeinschaft. Unsere Aufgabe ist es zu lernen, den anderen als das personale Du der Liebe Gottes zu begreifen.“ Im Umgang miteinander gehe es um eine konkrete Form der Christusbegegnung, betont Kirchschläger und mahnt in diesem Zusammenhang auch den Dialog in der Kirche ein. „Dialog hat etwas mit Menschenwürde, mit dem Bild des Menschen als personales Du zu tun. Dialogverweigerung auch.“
Bedarf und Charisma. Für die Gestaltung und Ausformung der Dienste in frühchristlicher Zeit waren zwei Gesichtspunkte maßgeblich, betont Kirchschläger: Die Notwendigkeiten und Bedürfnisse der konkreten Kirche am Ort und die am Ort vorhandenen Gnadengaben (Charismen). Die frühe Kirche habe dabei eine hohe Flexibilität gezeigt und nach dem Subsidiaritätsprinzip (von der kleinen Einheit ausgehend) gehandelt. Paulus habe seinen Gemeinden keine Einheitsstruktur verpasst, meint Kirchschläger. Für ihn war die Kirche am Ort im Vollsinn Kirche und er sorgte mit dafür, dass diese Hausgemeinschaften von 50 bis 100 Leuten auch als Kirche leben konnten, mit Eucharistie, Verkündigung und Caritas. Für Kirchschläger sind diese überschaubaren Gemeinschaften „auf Dauer die einzige Größe, in der sich die Grundvollzüge der Kirche wirklich entfalten können, in der die anderen Menschen in dieser Kirche als Person, als Du von Gottes und meiner Liebe tatsächlich ernst genommen werden können“. Wenn es daher um die Ämterfrage in der Kirche gehe, um Zulassungsbedingungen etc., dann müsse man die Lebensfähigkeit der Kirchen am Ort zuerst im Blick haben. In der Ämterfrage gebe es heute viele Blockaden, meint Kirchschläger, deshalb sei es um so notwendiger, jene Handlungsmöglichkeiten, die es gibt, zu nutzen, und Frauen und Männer für verschiedene Dienste in den Pfarren auch klar zu beauftragen. Zur Solidarität und Subsidiarität gehöre auch, dass man sich dort, wo es notwendig und vernünftig ist, zu größeren Einheiten vernetzt und sich gegenseitig unterstützt. Die heute vielerorts geplanten Seelsorgeräume folgen allerdings nicht diesem Anliegen, sondern sind eine „eigenartige Antwort“ auf die Personalnot, meint Kirchschläger.
„Die Installation von pastoralen (Groß-)Räumen folgt dem Anliegen, Personalnot auf eigenartige Weise zu beheben, weil der Mut zu anderen Schritten fehlt. Die sakramentale Mitte der Kirche gerät dabei an den Rand.“
ZUR SACHE
Ämter und Dienste
„Ämter und Dienste. Entdeckungen, Spannungen, Veränderungen“. Diesem Thema widmet sich die Österreichische Pastoraltagung 2009, die vom 8. bis 10. Jänner in St. Virgil/Salzburg stattfindet. Erfahrungen und Anliegen aus vielen Bereichen der Praxis kommen dabei ebenso zur Sprache wie Fragen nach der theologischen Grundlegung des Amtes, der Entwicklung von Ämtern in der frühen Kirche, der kirchenrechtlichen Standortbestimmung sowie der pastoralen und praktischen Perspektiven von Ämtern und Diensten im Volk Gottes. Es referieren Ottmar Fuchs, Roman Siebenrock, Thomas Söding, Clemes Sedmak, Wilhelm Rees und Monika Nickel.