Hass und Falschmeldungen: Internetforen als „Müllkübel“
Ob Hasspostings oder Falschinformationen, spätestens mit dem US-Wahlkampf sind die Probleme der Diskussionsforen und Sozialen Medien im Internet sichtbar geworden. Diese Medien werden zwar auch oft im positiven Sinne genutzt. Die missbräuchliche Verwendung hat aber politische und gesellschaftliche Folgen. Der Kommunikationswissenschaftler Rudolf Renger regt angesichts dessen an, die Betreiber der Plattformen in die Verantwortung zu nehmen.
Ausgabe: 2017/01
03.01.2017 - Heinz Niederleitner
Im Zug: Zwei junge Menschen, vermutlich Studenten, unterhalten sich. Sie: „Wenn ich ein Kind bekomme und Dich bitte, Taufpate zu werden, trittst Du dann wieder in die Kirche ein?“ – Er: „Da musst Du für mich den Kirchenbeitrag der vergangenen Jahre nachzahlen.“ – Sie: „Muss man wirklich nachzahlen für die Zeit, in der man ausgetreten war?“ – Er: „Ja, was glaubst Du denn?“ – Zunächst die Richtigstellung: Für die Zeit, in der man ausgetreten war, muss man nicht nachzahlen. Das ist nur ein Gerücht, das man gelegentlich hört und in Internetforen findet – obwohl offizielle Websites das klarstellen.
Einfach Gerüchten glauben und sie weiterverbreiten, egal ob sie stimmen: Das ist mit den sogenannten „Sozialen Medien“ (social media, siehe Kasten) leicht geworden. In der Flüchtlingskrise kursierte die Handy-Geschichte, wonach Hilfsorganisationen Flüchtlingen Handys samt Gebühren bezahlen. Trotz vieler Richtigstellungen taucht das immer wieder auf. Und im Dezember kamen Menschen auf die Finanzämter, weil in Plattformen behauptet worden war, es sei zu wenig Familienbeihilfe ausbezahlt worden.
Gefühle
„Postfaktisch“ nennt man dieses Phänomen. Der Begriff wurde zum Wort des Jahres 2016 gekürt: Fakten sind nicht mehr wichtig, es geht um Gefühle – und nicht um die guten: Hasspostings sind ein weitverbreitetes Phänomen. In der vermeintlichen Anonymität des Internets glauben Menschen, man könne unflätige Beschimpfungen oder Rassismus verbreiten. „Das Internet hat sich nicht nur zu einem gigantischen Archiv des Wissens und der Informationen für das Alltagsleben, sondern in mancher Hinsicht leider auch zu einem großen Müllkübel entwickelt“, sagt Rudolf Renger, Professor am Fachbereich Kommunikationswissenschaft der Universität Salzburg. Dabei war das Internet einst das Hoffnungsmedium, wo jeder gleichberechtigt zur Diskussion beitragen kann. „Man ist mit großer Naivität davon ausgegangen, dass sich alle Web-User einer gewissen Ethik verpflichtet fühlen. Das ist offensichtlich nicht der Fall“, sagt Renger.
„In den klassischen Medien kontrollieren Journalisten als ‚Schleusenwächter‘ (Gatekeeper), welche Informationen im Medium Platz finden. Gute Journalisten prüfen das verantwortungsbewusst, professionell und an ethischen Standards orientiert. Dafür wurden ja die Journalisten-Kodizes mit ihren Leitlinien entwickelt“, sagt der Journalismus-Experte. „In den ,Sozialen Medien‘ im Internet gibt es diese Kontrolle nicht.“
Vertrauensverlust
Während im Internet die Schleusen für Falschmeldungen und Hass geöffnet sind, muss der Schleusenwärter Journalismus harte Angriffe im Internet einstecken: „Lügenpresse“ heiß es dann. „Dass der professionelle Journalismus so stark an Vertrauen verliert, hat damit zu tun, dass die jüngere Generation und die Anhängerschaft populistischer Bewegungen immer weniger oder gar keine klassischen Medien mehr nutzen“, sagt Renger. „Das wird dann missbraucht: Donald Trump ist von den professionellen Redaktionen kritisch behandelt worden. Aber er selbst setzt via Twitter immer wieder zu Rundumschlägen an. Er oder auch populistische Bewegungen wie Pegida in Deutschland brauchen keinen Journalismus mehr, um ihre Anhänger zu erreichen. Vor allem junge Internet-User scheinen nicht mehr zwischen Informationen aus Facebook oder etablierten Medien unterscheiden zu können. Also können gezielt Falschmeldungen gestreut werden.“
Fünfte Macht
Damit gerät aber ein wichtiger Bestandteil der Demokratie in Bedrängnis: Die Kontrolle der Mächtigen durch die Medien, die sogenannte Vierte Macht (neben Exekutive, Legislative und Judikative). Bei allen Problemen, die es im Journalismus auch gibt, ist klar: Ohne ihn hätte es die Aufdeckung vieler Skandale nicht gegeben. „Mittlerweile spricht man schon von der Fünften Macht der ‚Sozialen Medien‘ und diese Macht wird eben häufig leider auch missbraucht“, sagt Rudolf Renger.
Verantwortung
„Das Problem ist, wie man die ‚Sozialen Medien‘, hinter denen große Internetkonzerne stehen, dazu bringt, sich demokratiepolitischen Verpflichtungen zu unterwerfen und Verantwortung für den Inhalt zu übernehmen. Derzeit ziehen sie sich ja oft auf das Argument zurück, dass sie nur die technischen Möglichkeiten anbieten, aber nichts mit dem Inhalt zu tun haben. Hier bildet sich derzeit gerade ein Netzwerk, das diese Verantwortung einfordern will: Über das EU-Parlament, das deutsche Justizministerium und Österreichs Medienminister Drozda“, erklärt der Wissenschaftler.
Zwar gibt es schon Filter in den ‚Sozialen Medien‘. Nur greifen sie zum Teil spät und die Gewichtung der Werte ist eigenartig: Oben-ohne-Bilder verschwinden schnell, Gewaltdarstellungen bleiben lange im Netz. Vor Weihnachten hat Facebook ein Meldesystem für „fake news“ angekündigt. Wie effektiv das sein wird, bleibt abzuwarten.
Als positives Beispiel nennt Renger etwa die Community Manager großer Konzerne: Das sind professionelle Prüfer von Postings. Allerdings müsse das finanziert werden und es brauche die Bereitschaft der Internetkonzerne: Denn Einschränkungen bedeuten ein Minus bei den Finanzen. Die Konzerne seien börsennotiert und deshalb stark finanzwirtschaftlich orientiert. „Wir sehen durch die ‚Sozialen Medien‘ eine Entwicklung weg von Glaubwürdigkeit, Objektivität und Wahrhaftigkeit. Das wird ersetzt durch Gier nach Aufmerksamkeit, Skandalisierung, Emotionalisierung, Personalisierung und Verkaufbarkeit. ‚Gute‘ fake news haben mehr Reichweite als Tatsachen.“
Meinungsfreiheit
Ein Argument von Social-Media-Betreibern, warum sie nicht gerne in Inhalte eingreifen würden, ist die Meinungsfreiheit, immerhin ein Menschenrecht. Renger differenziert: „Ist das Meinungsfreiheit, wenn ich jeden beschimpfen kann, wie ich will? Für mich ist das nicht Meinungsfreiheit. Denn die hat auch etwas mit Moral und ethischen Grundeinstellungen zu tun, die derzeit stark wegbrechen.“
Damit ist auch das zweite große Problem der ‚Sozialen Netzwerke‘ angesprochen: das der Gefühlsebene. Hier greifen zum Teil schon Social Bots ein: Computerprogramme, die als menschliche Poster auftreten und Stimmungen beeinflussen. Hinter Postings müssen gar keine Menschen mehr stehen.
Einsamkeit
Doch schon bei den „echten“ Hasspostern reichen die Probleme weit: „Wir brauchen uns nichts vormachen: Es gibt die Phänomene der Internetsucht und sehr viel Einsamkeit in unserer Gesellschaft – auch innerhalb von Familien. Die meisten Hassposter sind Männer, die viel Zeit haben und ihr halbes Leben im Internet verbringen“, sagt Renger. Womit bei aller Technikorientierung richtig bleibt, dass man auch bei den Menschen ansetzen muss. «
Zur Sache
„Soziale Medien“
Als „social media“ werden Plattformen im Internet bezeichnet, die den Austausch zwischen einzelnen und/oder mehreren Nutzern (Usern) ermöglichen. Alle User sind theoretisch gleichgestellt: Jeder kann sowohl Sender als auch Empfänger sein. Einen einzelnen Beitrag nennt man „Posting“. Bekannte Plattformen sind Facebook, WhatsApp, Twitter oder Instagram.
„Fake news“
Als „gefälschte Neuigkeiten“ werden bewusst platzierte Falschmeldungen in „Sozialen Medien“ bezeichnet. Die Gründe für dieses Vorgehen reichen von politischer Beeinflussung über wirtschaftliche Verkaufsinteressen bis zu (politischer) Satire, die aber für die Zielgruppe als solche erkennbar ist. Laut einer Studie des Pew-Instituts vom Februar 2016 beziehen 62 Prozent der erwachsenen US-Amerikaner Nachrichten aus den „Sozialen Medien“. Einer der am weitest verbreiteten „fake news“ im US-Wahlkampf war die falsche Nachricht, der Papst würde Donald Trump unterstützen.
Chancen
Die Kirche betont neben den Gefahren in den „Sozialen Medien“ stets, dass man sie auch positiv nutzen kann. 32 Millionen Menschen verfolgen beispielsweise die Kurzmeldungen, die Papst Franziskus über seinen Twitter-Account versendet. In den sozialen Netzwerken versuchen kirchliche Einrichtungen, vor allem Jugendliche zu erreichen.