Konsumgesellschaft wirkt sich auf Glaubenspraxis aus
Gemeinsames Hirtenwort der Bischöfe zum "Jahr des Glaubens", Einleitung: Die Bischöfe sehen den wachsenden Wohlstand der Menschen als einen Grund für den Abschied von der Kirche.
Am Beginn eines „Jahres des Glaubens“, das Papst Benedikt XVI. im Gedenken an das vor fünfzig Jahren eröffnete II. Vatikanische Konzil proklamiert hat, schreiben wir Ihnen diesen Brief. Dieses Jahr ist eine Einladung zur Belebung und Vertiefung unseres christlichen Glaubens. Die Seele dieses Glaubens ist die christliche Liebe: Liebe zu Gott und zu den Menschen. „Ich glaube dir, ich glaube an dich“ – das gehört zum Besten, das wir Menschen zueinander sagen können. Und diese Rede vollendet sich, wenn auch noch gesagt wird oder jedenfalls gemeint ist: „Ich liebe dich“. Ungemein vertieft gilt dies auch für unsere Beziehung zu Gott sowohl als einzelne Christen wie als Kirche im Ganzen.
Glaube schenkt sich durch Freude
Der Glaube zeigt sich am überzeugendsten durch die Freude, die er schenkt. Im Blick auf den Glauben heißt es im Ersten Petrusbrief: „Deshalb seid ihr voll Freude, obwohl ihr jetzt vielleicht kurze Zeit unter mancherlei Prüfungen leiden müsst. Dadurch soll sich euer Glaube bewähren, und es wird sich zeigen, dass er wertvoller ist als Gold, das im Feuer geprägt wurde und doch vergänglich ist. So wird eurem Glauben Lob, Herrlichkeit und Ehre zuteil bei der Offenbarung Jesu Christi. Ihn habt ihr nicht gesehen, und dennoch liebt ihr ihn; ihr seht ihn auch jetzt nicht, aber ihr glaubt an ihn und jubelt in unsagbarer von himmlischer Herrlichkeit verklärter Freude, da ihr das Ziel des Glaubens erreichen werdet: Euer Heil“ (1 Petr 1,6–9). Wie schön wäre es, wenn wir, katholische Christen in diesem Land, sagen könnten: Diese Worte treffen auf uns zu! Ja, es gibt diese Momente „unsagbarer Freude“, die der gelebte Glaube schenkt. Sie sind „wertvoller als Gold“, denn sie stärken in uns die Gewissheit, dass wir im Glauben auf dem richtigen Weg sind. Und sie bezeugen anderen Menschen, dass der Glaube an Jesus Christus und die Liebe zu ihm dem Leben vollen Sinn gibt.
Glaube auf die Probe gestellt
Aber da gibt es „mancherlei Prüfungen“, unter denen wir leiden müssen: persönliche, familiäre, berufliche, gesellschaftliche und auch kirchliche. Sie können die Freude am Glauben auf die Probe stellen, ihm den Schwung rauben, die Strahlkraft dämpfen. Heute wird viel von der Krise gesprochen, von der Eurokrise bis zur Kirchenkrise, von Ehe- und Beziehungskrisen bis zu Glaubenskrisen: „Dadurch soll sich euer Glaube bewähren“, sagt der 1. Petrusbrief.
Jahr des Glaubens
Um die Bewahrung, die Bewährung, die Erneuerung, die Freude des Glaubens geht es uns, liebe Schwestern und Brüder, in diesem Hirtenwort zum „Jahr des Glaubens“, das unser Heiliger Vater, Papst Benedikt XVI., zum 11. Oktober dieses Jahres ausgerufen hat und das bis zum 24. November, dem Christkönigssonntag des Jahres 2013, dauern soll. Anlass zu diesem „Jahr des Glaubens“ ist der fünfzigste Jahrestag der Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils am 11. Oktober 1962, und auch das zwanzigjährige Jubiläum der Veröffentlichung des Katechismus der Katholischen Kirche (KKK), den der selige Papst Johannes Paul II. am 11. Oktober 1992 promulgiert hat, um „allen Gläubigen die Kraft und die Schönheit des Glaubens vor Augen zu führen“ (Benedikt XVI., Porta fidei, Nr. 4.).
Um die Kraft und die Schönheit des Glaubens geht es also in diesem „Jahr des Glaubens“. Ist es dem großen Konzil gelungen, dies „der Welt“ und uns selber, den Gläubigen, vor Augen zu führen? Wie sind die fünfzig Jahre seit dem Konzilsbeginn verlaufen? Wie wurden sie von Euch, den Gläubigen, erlebt? In diesem halben Jahrhundert hat sich viel verändert, in der Welt wie in der Kirche. Für die jüngere Generation, auch unter uns Bischöfen, ist das Konzil Geschichte. Nur die Älteren unter uns haben direkte Erinnerungen an die gewaltige Aufbruchsstimmung, die damals, zu Beginn des Konzils, herrschte. Viele der „Konzilsgeneration“ bedauern, dass, so empfinden sie es, der Aufschwung ausblieb, die vielversprechenden Ansätze später eingebremst wurden. Die Deutung der Entwicklung nach dem Konzil ist bis heute umstritten. War sie ein Aufbruch, war sie ein Niedergang? Und was hat den Aufbruch gehemmt, den Niedergang bewirkt? Oder gibt es Botschaften des Konzils, die wir zu wenig gehört haben, wie zum Beispiel den Ruf aller zur Heiligkeit?
Konflikt der Interpretationen
Der Konflikt der Interpretationen, die Spannungen zwischen den verschiedenen Richtungen und Strömungen in der Kirche der letzten fünfzig Jahre haben immer wieder bis an den Rand von Spaltungen geführt, die innere Einheit der Katholischen Kirche auf Zerreißproben gestellt. So ist das Bild, das die Katholische Kirche in der Nachkonzilszeit der Welt geboten hat, oft ein nicht sehr anziehendes, meist weit entfernt von dem, was das Konzil als Vision von der Kirche der heutigen Welt zeigen wollte. Da wir in einer mediengeprägten Zeit leben, kam erschwerend dazu, dass all die innerkirchlichen Konflikte im medialen Vergrößerungsglas noch viel größere Ausmaße annahmen. Die Missbrauchsskandale, die schwere Ärgernisse darstellen, haben die Glaubwürdigkeit der Kirche erschüttert. Zugleich ist nicht zu übersehen, dass sich die Lebensweise in unserem Land stark verändert hat. Ein nie gekannter Wohlstand vieler, die Konsumgesellschaft mit ihren Begleiterscheinungen haben sich auch auf die Glaubenspraxis in unserem Land ausgewirkt. Unsere Pfarren sind mit ganz neuen Gegebenheiten konfrontiert. Wir haben oft noch nicht den Weg gefunden dieser neuen Situation angemessen zu begegnen. Wen wundert es, dass es in unserer Gemeinschaft viel Resignation und Frustration gibt, dass viele sich von der Kirche verabschiedet haben, und dass dieser meist lautlose Auszug aus der traditionellen Mehrheitskirche in unserem Land fast unvermindert anhält. So manche fragen sich besorgt: Wie wird es um die Katholische Kirche in Österreich stehen, wenn einmal des Hundertjahrjubiläums des Konzils gedacht werden wird?