Sieben Wochen hat P. Georg Sporschill die Leser/innen der KirchenZeitung in der Fastenzeit im „Abenteuer Gottesglaube“ begleitet. Doch das Abenteuer Gottesglaube ist nie abgeschlossen. So erzählt er in dieser Ausgabe über das neue Projekt, das er zusammen mit Ruth Zenkert im siebenbürgischen Romadorf Zichindeal (= Ziegental) begonnen hat.
Ausgabe: 2013/14, Abenteuer Gottesglaube, Siebenbürgen, Roma, P. Georg Sporschill
03.04.2013 - P. Georg Sporschill
Vor einigen Wochen geriet ich in ein abgelegenes rumänisches Dorf, nach Zichindeal. Sachsen haben es vor 800 Jahren aufgebaut, damals hieß es Ziegental. Im 16. Jahrhundert zerstörten die Türken das Dorf, später haben es Rumänen besiedelt. In den letzten Jahren verlassen auch sie mehr und mehr das Dorf, weil es außer der Landwirtschaft keine Arbeit gibt. Geblieben ist die Roma-Bevölkerung mit vielen Kindern. Sie leben in kleinen Hütten zusammengepfercht, oft bis zu zehn Personen. Kaum jemand hat Strom. Das Wasser müsste von weither geholt werden; weil sie über das Feld eines Nachbarn dorthin gingen, verstopfte er den Brunnen. Jetzt im Winter müssen die größeren Kinder noch weiter gehen, um in Plastikkübeln das kalte Nass zu schleppen. Manche sind barfuß unterwegs. Alle sind nass, verfroren und verdreckt. Den Weg im tiefen Schlamm säumen 20 Hütten. Aus allen strömen Leute und Kinder heraus. Voller Erwartung schaut mich die Not aus vielen Augen an.
Im scharfen Geruch der Armut
Ich werde in das erste, zweite und dritte Haus hineingebeten. Um den Lehmofen kauern halbnackte Kinder mit Rotznasen auf durchtränkten Matratzen, ein scharfer, warmer Geruch schlägt mir entgegen. Vielleicht betäubt er sie gegen die Verwahrlosung. Im Blechtopf auf dem aus Lehm und Ziegeln selbst gebauten Ofen sind verkrustete Schichten von altem Essen. Wenn es gut geht, gibt es Mamaliga, die Hauptspeise aus Mais. Und Wasser aus schmutzigen Plastikflaschen. Ich weiß nicht, wo anfangen. Verzweifelt verlasse ich den Ort des Elends mitten in Europa.
Der erste Mitarbeiter
Am nächsten Morgen komme ich, verstärkt durch unsere jungen Leute, wieder nach Ziegental. Unten am ersten Haus empfängt uns Nicu, ein dunkler junger Mann. Er stellt uns seine 16-jährige Frau Maria vor, die ein Kind erwartet. Die beiden haben das kleinste Häuschen, selbst gebaut. Stolz zeigt er es her, hier ist es sauber. Wir haben den ersten Mitarbeiter am Ort entdeckt.
Nicu führt uns zu Milu, dem Vater von acht Kindern, das älteste, Florina, ist 16. Im Hauseingang wohnt der behinderte Onkel. Begeistert hilft er mit, als wir das Haus ausräumen. Wir weißeln den Raum mit Kalk aus. Die Möbel sind nicht mehr zu gebrauchen, sie sind morsch und verfault. Heute noch müssen andere Betten her. Für morgen verspreche ich Bettdecken. Und Florina will bis dahin ihren kleinen Geschwistern das Gesicht gewaschen haben. Tatsächlich strahlen sie am nächsten Tag vor Sauberkeit, auch wenn die kalten Füßlein noch kohlschwarz sind. Die Wäsche müsste gewaschen werden, doch der Berg von schmutzigen Kleidern vor dem Haus ist gefroren.
Siebenundsiebzig Mal
Die 20 Häuser dieser Roma-Siedlung haben eine einzige Hausnummer, siebenundsiebzig. Die Zahl tröstet mich. Siebenundsiebzig Mal soll man eine Verbesserung probieren, sagt Jesus. Direkt gegenüber ist ein freier Garten. Die Besitzer überlassen uns ihren Grund. Dort soll ein Brunnen entstehen, dazu ein Waschhaus mit einem Ofen, auf dem den ganzen Tag Wasser gewärmt werden soll. Am Nachmittag kommt der Bürgermeister. Er stimmt dem Projekt zu. Unser Freund Niculae, ein Holzfäller, darf drei Eichen aus dem Gemeindewald holen. Er wird eine Brücke über den Bach legen. Am Tag darauf balanciert Niculae mit dem Traktor gefährlich nahe am Abgrund, als er die Eichenstämme über den Bach zieht. Die Bewohner graben mit bloßen Händen und einer Schaufel ohne Stiel den Brunnen, sieben Meter sind sie schon in die Tiefe gelangt. Hoffentlich kommt bald Wasser. Mit einer aus Holz zusammengebauten Vorrichtung ziehen sie das kalte Erdreich herauf. Nur die ersten zwei Meter waren gefroren, meint Aurel, der sich als Organisator herausstellt. In das zusammengenagelte Holzgestell, das als Kran dient, hat er die Bretter seines eigenen Bettes eingebaut. Lachend meint Aurel: „Die kommen heute Abend wieder zurück in mein Haus.“
Lernen auf der Baustelle
An diesem Tag ist der Winter milde, es hat nur null Grad. Die Leute wollen das Fundament für das Waschhaus sofort betonieren. Schon graben sie. Kinder haben ein Lagerfeuer gemacht und schauen begeistert den Arbeitern zu. Die Größeren helfen mit. Selten gehen sie in die Schule. Die armen Lehrer sind froh, wenn sie nicht kommen. Wie können Kinder in Hütten ohne Licht lesen und schreiben lernen, mit Eltern, die Analphabeten sind? Heute lernen sie auf der Baustelle. Und leben auf dabei. In einer Woche soll das Wunderwerk funktionieren. In der ersten Zeit wird Ruth mit den Müttern waschen, so wie sie es jahrelang mit den Straßenkindern in Bukarest getan hat.
Ich träume von einem Dorf
Es ist Bewegung nach Zichindeal gekommen. Ich staune, wie viele mitmachen und wie begeistert die Menschen dabei sind. Hoffentlich bleibt es so. Meine Verzweiflung ist verflogen. Ich träume von einem neuen Dorf. Von Kindern, die in die Schule gehen, von Müttern, die nicht versklavt sind, von Vätern, die ihre Familie ernähren können, von jungen Menschen, die wieder ihre Lieder singen, von Heilung. Wasser wird es geben, fließendes und warmes Wasser.
Vor das Waschhaus kommt ein Dorfbrunnen. Wie die Samariterin am Jakobsbrunnen werden dort die Frauen Wasser holen, Wäsche waschen und erzählen. Zur Samariterin gesellte sich Jesus hinzu, unbekannt, und bat sie um Wasser. Er aber gab ihr für den guten Dienst das Wasser, das aus dem Inneren des Menschen strömt, Sinn und Liebe. Jesus öffnete in der Frau eine sprudelnde Quelle, aus der die Wasser des ewigen Lebens flossen. Am späten Abend schaue ich auf den Tag voller Ereignisse und Überraschungen zurück.
Mit Jesus am Brunnen
Erschöpft entkommt mir das Wort: Danke, lieber Gott. Ich bin ganz sicher, dass Jesus am Brunnen vor dem Waschhaus für viele lebendiges Wasser strömen lässt. Wasser, das reinigt, Wasser, das belebt. Und ich verstehe, warum das Wasser in der Bibel das Symbol für Gott ist, der das Leben schenkt und neu erstehen lässt. Wie in Zichindeal und in meinem Leben.
„Wer von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird niemals mehr Durst haben; vielmehr wird das Wasser, das ich ihm gebe, in ihm zur sprudelnden Quelle werden, deren Wasser ewiges Leben schenkt.“ Johannes 4,14
- Voluntariate. Über Möglichkeiten, in dem von P. Sporschill gegründeten Hilfswerk Concordia als Volontär/in mitzuarbeiten, informiert die Homepage http://concordia72.concordia.or.at/ Kontakt: volontariat@concordia.or.at