Der Heilige mit seinen großen Augen. Unvergleichbar ist die Maltechnik von St. Prokulus. Sie setzt die Gegenstände lediglich an, wie die Hände bezeugen, die sichtlich am Seil vorbeigreifen. Fotos: Baumgartner, Prokulus.org (2).
St. Prokulus in Naturns am Beginn des Vinschgaus gehört zu den Juwelen kirchlicher Baukunst in Südtirol. Die Geschichte dieser außergewöhnlichen Kirche reicht in die erste Hälfte des 7. Jahrhunderts zurück. Besondere Beachtung gebührt den frühmittelalterlichen Wandmalereien im Inneren der Kirche.
„Wenn ich durch die Kirche führe“, sagt Maria Koch, „so geht es mir nicht zuerst um Wissensvermittlung, sondern um die Weitergabe des Glaubens. Die Kirche erzählt eine Geschichte des Lebens und Glaubens der Menschen. Wer sich in das frühe Mittelalter hineindenkt, in dem die Menschen in Holzhütten lebten, weder schreiben noch lesen konnten, dem wird deutlich, wie diese farbenreichen Bilder gewirkt haben. Ihre Aufgabe war es, die christliche Botschaft zu verkünden.“
Lange Zeit auch wegen seines Turmes als romanisches Bauwerk eingestuft, wurde durch das Entdecken der Fresken sowie intensive Forschung klar: der Erstbau der Kirche reicht vor die karolingische Zeit (um 630) zurück. Jedoch die historisch wie künstlerisch äußerst wertvollen Wandmalereien geben Rätsel auf. Gesichert ist, dass sie sowohl Einflüsse aus dem Norden über St. Gallen nach irischem Vorbild aufweisen als auch aus dem Süden, über Ravenna, aus dem syrischen und byzantinischen Raum. Der Ort lag an der Via Claudia Augusta, einer Römerstraße, die Süd und Nord verband.
Wer ist es? Die bekannteste Szene ist wohl der Heilige auf der Schaukel. Forscher sind sich uneinig, wer dargestellt wird. Paulus aus Tarsus, der sich über die Stadtmauer abseilt, oder Proculus, der aus Verona ebenfalls über eine Mauer geflohen ist? Oder Lucius aus Chur? Der Vinschgau war Teil dieser Diözese und es heißt, dass Lucius seine Heimat verlassen hat, um das Evangelium zu verkünden. Rechts daneben wahrscheinlich eine Gruppe von Heiligen und links fünf Frauen, die Gaben zum Altar bringen. Nicht weniger auffallend und rätselhaft die Tierprozession in Richtung Altar. Zwei Personen führen einen Hund und zwölf Kühe, deren erste vier Hörner trägt. Ist es eine Bitt- oder Dankprozession der Tiere? Dafür spricht, dass Prokulus als Patron der Viehwirtschaft verehrt wurde. Oder handelt es sich um die symbolische Darstellung der zwölf Apostel, mit Christus, der sie anführt? Dies würde die Gliederung der zwölf Tiere, in je vier Dreiergruppen mit sich wiederholender Farbgebung erklären. Denn die Zahlensymbolik im frühen Mittelalter spielte eine wichtige Rolle. Und die beiden Anführer? Sind es der Stifter und sein Diener oder doch vielleicht die heiligen Firmus und Rusticus, die mit Proculus in Zusammenhang gebracht werden?
Lebensziel. Frau Koch verweist noch auf eine eigene Szene, die sich im oberen Bereich der Kirche befindet, der um 1400 dem ursprünglichen Bau zugefügt wurde. Sie zeigen die Lebensstadien der Heiligen Drei Könige – allesamt mit weißer Hautfarbe dargestellt. Als Knaben wird ihnen schon die Geburt geweissagt. Die zweite Szene zeigt sie als Ritter in den besten Lebensjahren dem Stern folgend. Im dritten Bild knien sie als alte weise Männer und huldigen Jesus in der Krippe. Sie haben ihr Lebensziel erreicht. „Wahrscheinlich geht es uns nicht anders“, fügt Maria Koch hinzu. „Auch in unserem Leben sind wir Suchende. Wir sind auf dem Weg mit einem Ziel, das wir erst am Ende finden werden.“
Geöffnet sind die Prokulus-Kirche und das Museum täglich, außer Montag, von 9.30 bis 12.00 und von 14.30 bis 17.30 Uhr. Führungen in der Kirche werden jeweils um 10.00 und 15.00 Uhr angeboten. www.prokulus.org
Ausgangspunkt für Entdeckungen
„Vom siebten bis zum 21. Jahrhundert spannt sich der Bogen der Zeitreise für jene, die bei uns die Verbindung von Kirche und Kunst entdecken wollen“, weiß Lukas Hafner. „In Naturns, nur zwölf Kilometer von Meran entfernt, finden Sie Fresken, die zu den ältesten im deutschsprachigen Raum zählen. Oder die Pfarrkirche Niederlana. Dort finden Sie den größten Altar des Alpenraumes. In der Meraner Werkstatt von Hans Schnatterpeck Anfang des 16. Jahrhunderts entstanden, misst er über 14 Meter!“ Und dann, so meint Lukas Hafner, „gibt es in unserer Nähe noch die Pfarrkirche von Algund. Mit ihrem markanten spitzen Turm gilt sie als gutes Beispiel zeitgemäßer Architektur.“
Einzigartiges Zeugnis ist aber auch das von Lukas Hafner in Meran geführte „Filipinum“, dessen Wurzeln in das Jahr 1875 reichen. Dominik Filip, Rektor des Knabenseminars in Königgrätz, wie Meran Teil Österreich-Ungarns, suchte im aufstrebenden Kurort Heilung für sein Lungenleiden. Nach auffallender Besserung fasste Monsignore Filip den Plan – in einer Zeit ohne Krankenversicherung für Priester – erkrankten Mitbrüdern die Kur in Meran zu ermöglichen. Daraus entstand das nach ihm benannte Filipinum, das heute der Diözese Bozen-Brixen gehört.
Aus dem einstigen Sanatorium für Priester in der Jugendstil-Villa wurde ein „modernes Haus, das allen offen steht, die Erholung in christlich geprägter Atmosphäre suchen“, charakterisiert Lukas Hafner das Flair des Hauses: „Fern vom Verkehr und doch nahe dem Zentrum von Meran, inmitten eines 3000 Quadratmeter großen Gartens.“