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Dieses Konzept brachte dem Dom Museum Wien 2020 den österreichischen Museumspreis ein – die höchste staatliche Auszeichnung für Museen im Land. Und das schon drei Jahre, nachdem die Einrichtung von Grund auf runderneuert wurde.
Sie leben nicht nur privat im Zentrum Wiens, Sie schauen von Ihrem Arbeitsplatz im Museum auch direkt auf den Stephansdom. Das ist schon eine besondere Atmosphäre ...
Johanna Schwanberg: Ja, jeden Tag in der Früh gehe ich am Stephansdom vorbei, manchmal gehe ich auch hinein, um mich zu sammeln. Und der Blick auf den Dom von meinem Büro aus – das ist eine außergewöhnliche Beziehung. Ich liebe Wien und ich liebe es, hier mit dem Museum im Herzen der Stadt eine Brückenfunktion einnehmen zu können, indem wir Menschen unterschiedlicher Religionen und Biografien und aus verschiedenen Kulturkreisen miteinander ins Gespräch bringen. Ich denke, das braucht es ganz stark in einer Gesellschaft, in der es immer mehr Spaltungen gibt – ob im politischen, religiösen oder sozialen Bereich. Allein durch die Kunstwerke im Museum werden Dialoge hergestellt.
Welche Aspekte sind für die Themenwahl zu den jeweiligen Ausstellungen für Sie wichtig?
Schwanberg: Wir suchen Themen, die einerseits gegenwärtig Brisanz haben und gleichermaßen auch in der Geschichte der Sakralkunst wichtig sind. Von Ausstellung zu Ausstellung werden die Thematiken so gestaltet, dass sie in sich eine Erzählung ergeben. Wir zeigen Kunstwerke aus ganz unterschiedlichen Epochen, vom frühen Mittelalter bis zur jüngst entstandenen Gegenwartskunst, und wir zeigen sie in unterschiedlichen Medien wie Malerei, Grafik, Video, Skulptur, Textil. Gearbeitet wird dabei mit spannungsreichen Gegenüberstellungen, wo Besucherinnen und Besucher angeregt werden, selbst Bezüge herzustellen. Typisch dafür ist beispielsweise bei der aktuellen Ausstellung „Fragile Schöpfung“, in der es um die Vielfalt der menschlichen Beziehungen zur Natur geht, ein Renaissance-Bild einer Sacra Conversazione, also einer Darstellung der Madonna mit dem Jesuskind und mit Heiligen. Vor diesem Bild steht ein Retro-Kinderwagen des bekannten amerikanischen Gegenwartskünstlers Mark Dion, aus dem echte Pflanzen wachsen. Durch diese Konfrontation entstehen automatisch Bezüge zu Krippe und zum Umgang mit Menschen und Pflanzen.
Wie reagieren die Betrachter auf solche Gegenüberstellungen?
Schwanberg: Aus Rückmeldungen weiß ich, dass manche wegen einer Madonna kommen und sie dann plötzlich fasziniert sind von einem Gegenwartsvideo über einen syrischen Flüchtlingsbuben. Umgekehrt haben wir Leute, die vielleicht nie in ein Dommuseum gehen würden, aber nur wegen der Kinderwagen-Installation von Mark Dion den Weg zu uns gefunden haben. Und plötzlich sind sie nicht nur davon beeindruckt, sondern auch durch den Anblick einer Pietà extrem berührt. Andere schreiben mir, dass sie nie gedacht hätten, dass sie sich einmal für Monstranzen interessieren würden. Das freut mich ungemein, denn es ist genau das, was ich machen will: Leute aus ihrem Schubladendenken herausholen und ihnen die Augen öffnen für andere Bereiche.
Welche Schätze im Museum liegen Ihnen besonders am Herzen?
Schwanberg: Ich liebe viele Kunstschätze hier im Museum. Dazu zählt die Grabhülle Rudolphs des IV., genannt der Stifter. Das ist ein orientalischer Gold-Seide-Stoff mit arabischer Schrift aus dem Iran/Irak des beginnenden 14. Jahrhunderts, mit dem Rudolph später im Stephansdom begraben wurde. Ein unglaublich bedeutsames Objekt, viele Wissenschaftler interessieren sich dafür. Spannend daran finde ich die Frage nach dem Kulturtransfer: Wie kommt ein Stoff, der einem Sultan gehört hat, nach Europa? Wie findet er auf den Körper Rudolphs des Stifters, dem Erbauer des gotischen Stephansdoms und Gründer der Universität? Was heißt das für den Dialog zwischen den Kulturen? Faszinierend finde ich auch eine Skulptur der Maria Magdalena aus dem 17. Jahrhundert, die mir besonders ans Herz gewachsen ist in ihrer Androgynität, einer Mischung aus Härte und Weiche, männlich und weiblich. Sie zeigt ein starkes Frauenbild auf, das sich nicht in stereotype Geschlechterklischees stecken lässt. Es gibt auch Arbeiten der Moderne, die ich besonders mag, darunter eine Engels-Zeichnung von Maria Lassnig, die Monsignore Otto Mauer gewidmet ist. Sie wirft mit nur wenigen Strichen ein ganz modernes Engelbild auf.
Gibt es außer der Kunst noch etwas, wofür Sie brennen?
Schwanberg: Für mich ist es eines der schönsten Dinge im Leben, sich mit Kunst und Kultur zu beschäftigen. Das Schwierige daran ist manchmal, dass dieses Interesse natürlich auch in die Freizeit miteinfließt und einen großen Stellenwert einnimmt. Was ich an meinem Beruf besonders schätze ist, dass ich im Dom Museum Wien mit Künstlerinnen und Künstlern als auch mit den Kunstwerken arbeiten kann. Da es sich um ein kleines Museum handelt, bin ich in alle Bereiche eingebunden. Die Auseinandersetzung mit Kunst fasziniert mich seit meiner Kindheit.
Gab es da einen Auslöser?
Schwanberg: Ja, mein Vater ist Bildhauer. Schon als Kind bin ich mit meinen Eltern immer wieder in Museen und Kirchen gegangen. Das war für mich total spannend. Kunst befasst sich mit der ganzen Bandbreite des Lebens – das reicht von den heitersten Seiten bis zu den dramatischsten und oft auch nicht erklärbaren Dingen, die in der Kunst vermittelt werden.
Schaffen Sie selber auch Kunstwerke?
Schwanberg: Nein, obwohl ich neben Kunst- und Literaturwissenschaft auch Malerei und Kunsterziehung an der Universität für angewandte Kunst in Wien studiert habe, wo ich mittlerweile Kunstgeschichte unterrichte. Meine praktische Ausbildung sehe ich als großes Geschenk für meine Museumstätigkeit, aber für mich ist seit mittlerweile 30 Jahren klar, dass ich auf der theoretischen und vermittelnden Seite über Kunst und mit Künstlerinnen und Künstlern arbeiten möchte. Da kommt meine Kreativität zum Ausdruck – im Schreiben darüber, im Verwalten, Betreuen und Organisieren von Ausstellungen und im Unterrichten.
Wie würden Sie sich selber beschreiben?
Schwanberg: Ich habe viel Energie, bin sehr umtriebig, kreativ. Auch wenn ich Konflikte nicht scheue, so bin ich schon eher ein Mensch, der versucht, Verbindungen herzustellen zwischen Dingen oder Menschen, wo es oft schwierig erscheint. Ich glaube, das ist eine Eigenschaft, die man hier im Museum gut brauchen kann, weil es zum Teil sehr unterschiedliche Welten sind, die da zusammenkommen. Aber das reizt mich sehr.
Arbeiten Sie schon an der nächsten Ausstellung?
Schwanberg: Ja, wir widmen uns ab 4. November bis Ende August 2022 dem Thema Arm und Reich – eine Ausstellung über ökonomische Ungleichheiten. Nach der Umweltausstellung, die noch bis 3. Oktober läuft, und jetzt in der Pandemie mit all den wirtschaftlichen Folgen und sozialen Fragen, ist es für uns das Thema der Stunde, dem wir uns gerade als Museum in kirchlicher Trägerschaft stellen wollen.
Infos: www.dommuseum.at
Die Schnittstelle von künstlerischer Praxis, Wissenschaft und Vermittlung hat Johanna Schwanberg (54) immer schon interessiert. So studierte sie an der Universität Wien Germanistik und Kunstgeschichte und an der Universität für angewandte Kunst Malerei und Kunsterziehung. Viele Jahre lehrte sie u. a am Fachbereich Kunstwissenschaft der Katholischen Privat-Universität Linz und war Kuratorin in verschiedenen Museen. Die gebürtige Wienerin und Mutter von zwei Kindern ist seit 2013 Direktorin des Dom Museum Wien und unterrichtet seit 2011 Kunstgeschichte an der Universität für angewandte Kunst.
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