
Eine Hausgeburt wünschte sich Larissa Dauchner bereits für ihr erstes Kind vor drei Jahren. Doch es hat nicht sein wollen, Lucian kam schließlich durch einen Kaiserschnitt zur Welt. So froh sie über ihr gesundes Baby auch war, wünschte sie sich doch für das zweite Kind eine natürliche Geburt. Während der Schwangerschaft machte sie sich auf die Suche nach Möglichkeiten, um sich aktiv darauf vorzubereiten, und stieß auf die Methode der Bindungsanalyse (siehe Infokasten links).
Solange ein Kind im Mutterbauch ist, kann die Mutter es zwar hin und wieder spüren, sie sieht die Umrisse des Kindes beim Ultraschall oder sogar dessen (leicht monströs wirkendes) Aussehen beim 3D-Ultraschall. Angehörige beobachten vielleicht, wie der Bauch wackelt, wenn sich das Kind bewegt. Und doch: Wer da drinnensteckt, bleibt ein Geheimnis. Nicht nur die Augenfarbe ist auch beim besten Ultraschall unsichtbar. Welche Persönlichkeit heranwächst, kann nur Thema von Mutmaßungen sein („So lebhaft!“ oder „Komplett ruhig!“), entzieht sich aber der Neugier der Eltern und Angehörigen. Dadurch ist es manchmal schwer zu fassen, dass es wirklich ein eigenständiger Mensch ist, der im Bauch heranreift. In herausfordernden Lebenssituationen oder nach einer früheren schwierigen Geburt oder Fehlgeburt können zusätzlich Schwangerschaftsängste überhandnehmen.
In solchen Situationen ist es hilfreich, sich Unterstützung zu suchen, sagt die Schwangerenberaterin Christine Loidl. „Wenn für eine schwangere Frau ganz klar ist: Da ist ja ein Baby in mir!, dann geht sie mit sich selber sorgsamer um.“ Christine Loidl hat als Schwangerenberaterin der „aktion leben“ eine Zusatzausbildung in vorgeburtlicher Beziehungsförderung (bzw. Bindungsanalyse) gemacht. Sich Zeit zu nehmen, um zum Kind bereits vor der Geburt eine Beziehung aufzubauen, ändert für Mutter bzw. Eltern und Kind einiges, ist ihre Erfahrung. Die Schwangerschaft wird als weniger belastend wahrgenommen, das Miteinander von Eltern und Kind rückt in den Vordergrund. Das verändert auch die Situation des Kindes nachweislich. Extremer Stress in der Schwangerschaft kann etwa die kindliche Gehirnentwicklung beeinflussen, hat Claudia Buß nachgewiesen, Universitätsprofessorin für Medizinische Psychologie an der Charité Berlin. Das Einfühlungsvermögen, das die Mutter durch den Prozess der Bindungsanalyse entwickelt, erleichtert einerseits die Zusammenarbeit mit dem Kind während der Geburt und andererseits die Kommunikation mit dem Säugling in der ersten Zeit nach der Geburt.
Das hat auch Larissa Dauchner erlebt. Sie ging ab der 18. Woche ihrer zweiten Schwangerschaft wöchentlich zur Bindungsanalyse bei Christine Loidl. Die Rolle der Beraterin ist dabei, die Beziehungsgestaltung so zu begleiten, dass sich die Mutter darauf einlassen kann, erklärt Christine Loidl. „Die Mutter erlebt ihr Kind dadurch als eigenes Individuum, während das Kind erfährt: ‚Mama interessiert sich für mich!‘ Das weckt freudige Gefühle, die wertvolle biochemische Komponenten haben.“
Die Methode wurde ursprünglich entwickelt, ohne den Vater einzubeziehen. Bei Christine Loidl kann der Vater an den Sitzungen teilnehmen, entweder hin und wieder oder jedes Mal. „Es ist aber anders für ihn, weil es ja nicht in seinem Körper stattfindet.“ Die Mutter macht in den Sitzungen, nachdem sie zur Ruhe und zu sich gekommen ist, Gedankenreisen zum Baby in ihrem Körper. Dabei können Bilder und Gefühle entstehen, die überwältigend sind, erinnert sich Larissa Dauchner an ihre Sitzungen mit Christine Loidl. „Ich habe dabei wahnsinnig viel über meinen Körper und über mein Baby gelernt.“
Immer wieder sei aber auch die Angst vor der Geburt hochgekommen, erzählt Larissa Dauchner. Entlastet hat sie die Methode, in Gedanken den Weg der Geburt durchzugehen und mit dem Kind in ihrem Bauch darüber zu reden.
Als eines Nachts die Wehen einsetzten, machte sie es wieder so. „Ich bin in Gedanken zu meinem Kind gereist und habe zu ihm gesagt: Wir gehen da als Team durch! Und so war es dann auch.“ Es war eine problemlose Hausgeburt. „Die Hebamme beobachtete, dass Aurelian sofort zu weinen aufhörte, nachdem sie ihn mir gereicht hatte. Und sie meinte, das wäre typisch für Kinder, die durch die Bindungsanalyse bereits vertraut sind mit der Mutter.“ Larissa Dauchner würde diese Begleitung jeder schwangeren Frau wünschen. „Die Bindungsanalyse sollte verpflichtend sein im Mutter-Kind-Pass“, findet sie. Und: „Ich bin dafür, dass die Bindungsanalyse in die Welt geht!“
An die fünf Sitzungen begleitet Christine Loidl jede Woche, ebenso wie ihre Kolleginnen bei „aktion leben“. Die Nachfrage ist groß. „Zu uns kommen viele Frauen, die aus verschiedensten Gründen sehr verunsichert sind“, schildert die Schwangerenberaterin. „Durch die vorgeburtliche Beziehungsförderung entwickeln sie Selbstvertrauen in ihre mütterlichen Fähigkeiten.“ Es würde ihnen dadurch gut gelingen, die Verbindung zu ihrem Kind während der Geburt aufrechtzuhalten – selbst wenn ein Kaiserschnitt nötig sein sollte.
Bindungsanalyse vertieft die Beziehung von Mutter und Kind vor der Geburt. Die Methode eignet sich für jede schwangere Frau, die mit ihrem Kind eine aktive Verbindung aufbauen möchte. Das ungeborene Kind erlebt sich wahrgenommen und geachtet. Auch der Vater kann mit einbezogen werden. Besonders hilfreich ist die Methode, wenn die Erinnerung an eine frühere Schwangerschaft belastet oder wenn die Beziehung zu den eigenen Eltern oder zum Kindesvater problematisch ist. Die Bindungsanalyse schafft einen sicheren Raum, um schwierige Erfahrungen zu verarbeiten.
Im Idealfall beginnt die Bindungsanalyse vor der 20. Schwangerschaftswoche. Im Mittelpunkt stehen die Begegnung und der innere Austausch mit dem ungeborenen Kind. In den letzten Wochen der Schwangerschaft beginnt die Mutter dann, sich von dieser Phase zu verabschieden. Das Baby wird auf den Übergang in die Außenwelt eingestimmt.
Seit den 1990er-Jahren entwickelten die Psychoanalytiker György Hidas und Jenö Raffai diese Methode der vorgeburtlichen Beziehungsförderung. Sie sind überzeugt, dass die Qualität der vorgeburtlichen Beziehung einen Einfluss auf die Entwicklung hat.
„aktion leben“ bietet für Beraterinnen, Hebammen oder Therapeutinnen eine Fortbildung in Bindungsanalyse an. Bindungsanalyse wird in Österreich auch „vorgeburtliche Beziehungsförderung“ genannt, um Missverständnisse zu vermeiden, da es sich nicht um Psychoanalyse handelt.
Beraterinnen, die Bindungsanalyse anbieten, finden sich auf
www.bindungsanalyse.or.at

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