In einem Interview sagen Sie selbst, dass „Lehre mit Matura“ hart sei, aber den Lehrlingen etwas fürs ganze Leben bringe. Was genau?
Martin Tanzer: Die Frage lautet: „Wo geht’s hin im Leben?“ Mit der „Lehre mit Matura“ hat man wesentlich mehr Wahlmöglichkeiten für die Zukunft. Mit der Matura kann sich eine Tür öffnen, die ohne diese Prüfung nicht aufgeht. Ob die jungen Damen und Herren die Matura jemals brauchen, wird sich in ihrem Leben erst herausstellen. Aber ich habe auch einen Beruf erlernt und ihn jahrelang mit Leidenschaft ausgeübt. Dann bin ich gefragt worden, ob ich Berufsschullehrer werden möchte. Ohne Matura wäre das nicht möglich gewesen. Früher musste man sich zwischen Schule oder Lehre entscheiden. Die Lücke dazwischen haben wir schließen können.
Hat „Lehre mit Matura“ Vorteile gegenüber der Matura in einer weiterführenden Schule?
Tanzer: Da geht es immer um die Persönlichkeit. Die einen sind eher praktisch veranlagt, wollen aber auch die Möglichkeit der Reifeprüfung nutzen. Die anderen wollen zuerst die Matura absolvieren und dann die Praxis. Natürlich haben Damen und Herren, die von einer Lehre kommen, im praktischen Bereich Vorteile. Aber es ist eine große Herausforderung für Lehrlinge. Sie dürfen – ich sage „dürfen“ und nicht „müssen“, denn es ist ja freiwillig – zusätzlich Stunden aufwenden und Kurse besuchen. Sie haben schon einiges zu leisten bis zum Abschluss. Die andere Seite ist, dass sie Geld verdienen und von den Eltern unabhängiger sind.
Lehrlinge werden abgeschoben. Können wir es uns leisten, auf lernwillige Menschen zu verzichten?
Tanzer: Ich glaube, dass man hier kurzsichtig handelt. Der Arbeitsmarkt sucht massiv Fachkräfte und schenkt möglicherweise Potenzial her, auf dem man für die Zukunft aufbauen könnte. Aber die Lehrausbildung von Flüchtlingen ist eine komplexere Geschichte. Wie gehen wir zum Beispiel mit ihnen nach der Lehre um? Da müsste man ein ordentliches Gesamtpaket schnüren.
Welche Rückmeldungen von Lehrlingen, die die Matura geschafft haben, erfreuen Sie?
Tanzer: Es gibt jedes Jahr eine Ehrung für die Absolventen. Wenn man sieht, dass sie sich für die Zukunft Möglichkeiten geschaffen haben, freut man sich, weil man hier mitgeholfen hat. «
Zur Sache
„Ich habe die Schule abgebrochen, weil sie mich nicht mehr interessiert hat und ich Geld verdienen wollte. Im Nachhinein habe ich erkannt, dass die Matura nicht schlecht wäre. Die Linz AG hat uns Lehrlinge darauf hingewiesen, dass es die ,Lehre mit Matura‘ gibt. Ich habe mich mit einigen anderen Lehrlingen – mittlerweile bin ich ausgelernt – dafür entschieden, weil ich gerne studieren möchte. Der Kurs findet einmal pro Woche abends im Wirtschaftsförderungsinstitut statt. Er dauert vier Stunden. Ich mache jedes Jahr ein Fach, zurzeit den Fachbereich ‚Betriebswirtschaftslehre/Rechnungswesen‘. Dann kommt Deutsch. Englisch und Mathematik habe ich schon. Die Belastung ist sicher da, aber es ist zu schaffen.“
Lehrlinge mit einem gültigen Lehrvertrag können im Rahmen der „Lehre mit Matura“ kostenfrei Prüfungen in vier Fächern ablegen: in Deutsch, einer lebenden Fremdsprache, Mathematik und einem Fachbereich aus dem Lehrberuf. Drei der vier Teilprüfungen können bereits vor der Lehrabschlussprüfung abgelegt werden, die letzte Prüfung nach Vollendung des 19. Lebensjahres. Die Berufsreifeprüfung in Verbindung mit einem erfolgreichen Lehrabschluss berechtigt zum Besuch von Kollegs und Akademien, von Fachhochschulstudiengängen, Hochschulen und Universitäten und bietet Zugang zum gehobenen Dienst im öffentlichen Bereich. Info-Abende werden regelmäßig angeboten.
Tel. 0732 70 71-689 05, www.lehremitmatura-ooe.at
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