Wie gelingt es, über Schatten zu springen?
Barbara Wild: Zunächst geht es darum, den Schatten wahrzunehmen und dann muss man sich so leicht machen, dass man springen kann – um in dem Bild zu bleiben. Da kommt für mich der Humor ins Spiel. Mit dem Wahrnehmen meine ich das, was wir in der Psychotherapie tun, aber auch das, was bei den Salzburger Hochschulwochen getan wird: sich mit der Angst beschäftigen, sie von unterschiedlichen Seiten beleuchten und sich fragen, woher kommt die Angst; und es geht auch darum, auszuloten, ist das reine Angst oder stecken vielleicht auch Gefühle wie Ärger, Neid, Verunsicherung oder Abgrenzungsbedürfnis dahinter.
Das gilt es freizuschaufeln, dahinterzublicken, um der Angst oder den Unstimmigkeiten in sich auf die Schliche zu kommen?
Wild: Genau. Es ist wichtig, sich den Ängsten anzunähern und sie anzuschauen. Ganz oft stellt sich dann heraus, dass man gar nicht so viel Angst haben müsste. Die Geschichte „Jim Knopf und die wilde 13“ von Michael Ende macht das deutlich. Da gibt es den Scheinriesen, den sieht man aus der Ferne, der sieht riesengroß aus und man hat schreckliche Angst vor ihm. Aber er ist total einsam, weil alle Leute immer vor ihm weglaufen. Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer nähern sich ihm und stellen fest, dass der „Riese“, je näher man ihm kommt, immer kleiner wird, bis er ganz normal aussieht und freundlich ist. So ähnlich ist das mit Ängsten auch oft. Das sind Scheinriesen, die wirken erst einmal sehr bedrohlich und groß; und je genauer man hinschaut, desto mehr sieht man Aspekte, die man bewältigen kann. Ein Aspekt hat vielleicht mit Kindheitserlebnissen zu tun, aber inzwischen ist man erwachsen und kann damit umgehen, sich anders äußern, sich verteidigen; oder man nimmt Kontakt auf mit Leute, die einem unterstützen.
Die Angst also nicht verdrängen, sondern sich mit ihr auseinandersetzen ...
Wild: Ja, ich halte nichts davon, sie wegzuschieben. Angst ist ja eine wichtige Emotion, die wir nicht völlig ausschalten können und auch nicht ausschalten sollten, weil sie uns hilft, Gefahren abzuschätzen. Primär ist Angst erst einmal gut, sie ist ein Signal, so ähnlich wie Schmerzen. Problematisch wird es, wenn die Angst dauerhaft oder zu groß ist und uns im Alltagsleben einschränkt.
Wie gelingt es Ihnen in Therapiesitzungen den Ängsten mit Humor zu begegnen?
Wild: Zunächst wird die Angst thematisiert und wenn es gut läuft, kann man im Gespräch dann gemeinsam darüber lachen, dass man Angst gehabt hat – vor Spinnen, vor engen Räumen, vor anderen Leuten, davor, für dumm, für hässlich, für unfreundlich, für unsympathisch gehalten zu werden. Mit Humor kann es besser gelingen, Ängste, Ärger oder Stress zu entschärfen. Patienten, die sich tatsächlich ihren Ängsten stellen, merken dann, es ist gar nicht so schlimm, wie sie vorher dachten und können hinterher auf einmal Witze über ihre Ängste machen. Wenn einem das gelingt, dann hat Humor etwas Genussvolles, denn es ist ja angenehm, wenn man jemanden zum Lachen bringt.
Und was ist Humor?
Wild: Es gibt ganz viele Definitionen. Für mich ist Humor eine Fähigkeit, die persönlichkeitsbedingt, aber auch zustandsabhängig ist. Diese Fähigkeit ist dadurch charakterisiert, dass man auch Ängste, Konflikte oder Ärger mit einer gewissen heiteren Distanz und Gelassenheit betrachten und den negativen Seiten des Lebens etwas Positives abgewinnen kann. Er hilft, mit schwierigen Lebenssituationen zurechtzukommen. Wenn man es aus der Perspektive des Humors betrachtet, fällt es dann leichter, über Schatten zu springen. Und diese Sichtweise kann man anderen Menschen vermitteln.
Humor kann man also lernen ...
Wild: Ja, wir bieten in unserer Klinik auch ein Humortraining an. Das erfolgt spielerisch in der Gruppe. Anhand verschiedener Übungen wird beispielsweise versucht, immer wieder andere Formulierungen oder Wortassoziationen zu finden, die witzig sind, weil sie oft eine doppelte Bedeutung haben. Es gibt simple Witzmechanismen, wenn man etwas mehrfach wiederholt, dann wird es irgendwann ein Running-Gag. Lässt man sich darauf ein, fördert das nicht nur den Humor, sondern auch die Kreativität und Spontanität. Ich denke, es ist auch gut, im Alltagsleben nach Witzigem Ausschau zu halten.
Sich das vor Augen zu führen, ist eine gute Strategie, wenn es gerade schwer ist ...
Wild: Ja, es macht Spaß, sich selber oder andere zu erheitern. Das tut gut. Was die Angst betrifft, so geht es auch darum, eine andere Perspektive darauf zu gewinnen. Das ist anstrengend, aber es lohnt sich natürlich, wenn man nicht mehr so viele Ängste hat. Dann ist man auch freier in seinen Möglichkeiten. Denkt man in eine andere Richtung, kommen auch neue Lösungsmöglichkeiten hoch, wie ich mit Angst, Ärger oder Stress besser umgehen kann. Und wenn man zusätzlich noch über die Angst spaßen kann, ist das ein Extra-Bonus, würde ich sagen.
Wie wirkt sich das heilsame Lachen aus?
Wild: Es verbessert ein Stückchen die Stimmung. Für einen kurzen Zeitraum fühlt man sich lockerer. Lachen ist ja oft eine Gemeinschaftssache. Das ist auch ein Grund, warum das in der Gruppe viel besser funktioniert. Die, die mitlachen, die auch darüber lachen können, geben einem das Gefühl, ich bin nicht allein, die anderen sehen das auch so, sie können mitempfinden, wie es mir geht, wir lachen gemeinsam, wir sind auf einer Wellenlänge, es gibt ein Gemeinschaftsgefühl.
Wie reagieren die Leute auf das Humortraining?
Wild: Ein Teil der Patienten findet es gut und will das, die anderen – ich würde sagen 70 Prozent – sind erst einmal distanziert, die müssen wir überzeugen. Am Anfang sagen sie, um Gottes Willen, das kann ich im Moment nicht, mir ist das Lachen vergangen. Und dann sage ich, sie müssen auch nicht lachen, kommen sie einfach mit dazu, gucken sie es sich an. Im Laufe der Zeit wacht dann bei den Leuten wieder etwas auf und am Ende bin ich oft ganz erstaunt, wer da wie intensiv mitmacht.
Salzburger Hochschulwochen
Die „Salzburger Hochschulwochen“ (30. Juli bis 5. August 2018) beschäftigen sich heuer mit dem Thema „Angst?“. Rund 700 Theologen, Wissenschaftler, Philosophen und Ärzte nehmen aktuell an der Großen Aula der Universität Salzburg daran teil. Höhepunkt der Hochschulwochen ist u. a. die Verleihung des „Theologischen Preises“, der am 1. August an den deutschen Soziologen und Sozialphilosophen Hans Joas ging.
www.salzburger-hochschulwochen.at
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