Wort zum Sonntag
Schwester Silke, wenn Ihre Schüler Sie fragen, was Auferstehung ist: Was sagen Sie dann?
Sr. Silke Mallmann: Auferstehung ist für mich die Wirklichkeit, die auf mich wartet, wenn ich das jetzige Leben beendet habe, und das Durchscheinen der Gegenwart Gottes im Alltag. Ich gehe darauf zu, ich hoffe darauf, ich sehne mich danach, gleichzeitig ist sie in Momentaufnahmen schon erlebbar und scheint immer wieder durch.
Wo zum Beispiel?
Sr. Silke: Nehmen wir den Unterricht gestern zwischen 15 und 16.45 Uhr. Alle sind müde, niemand hat Lust. Die Hälfte der Klasse sitzt vor mir, die andere Hälfte am Bildschirm zuhause. Alle sind frustriert durch die ganze Coronasituation. Wir hatten eine Referentin eingeladen, die kam nicht. Das Thema war heftig, es ging um Gewalterfahrungen. In dieser mühsamen Lage entwickelte sich etwas: Die Schülerinnen und Schüler schafften es, aufeinander zu hören, sogar über den Computer. Ich habe wenig vorgegeben, wir haben die Stunde gemeinsam gestaltet. Irgendwann habe ich gesagt: „Seid ihr euch eigentlich bewusst, dass ihr unheimlich engagiert bei der Sache seid und es zustandebringt, euch in der 9. und 10. Stunde noch dermaßen zu fokussieren?“ Sie schauten mich an und sagten: „Ja, aber das ist ja spannend!“ Es gab nicht mehr Lehrerin und Schüler, sondern eine Gruppe von Leuten, die sich gemeinsam intensiv mit etwas beschäftigten. Das war eine Auferstehungserfahrung. Wo aus einer anscheinend nicht funktionierenden Situation etwas erwächst. Da bricht etwas von dem auf, was im Menschen als göttlich angelegt ist, dieser göttliche Funke, der in jedem da ist! Es sind die Winzigkeiten im Alltag, wo Beziehung und Interesse entsteht, Freundschaft wächst. Wo sich Menschen zum je Größeren hin entwickeln. Da entstehen Pläne, Visionen und Toleranz für unterschiedliche Meinungen. Etwas, was hinweist auf eine bessere, neue Welt. Das ist Auferstehung.
Auferstehung mitten in zweifelhaften Umständen!
Sr. Silke: Ja, Auferstehung bricht in zweifelhaften Umständen auf. Wir dürfen die Welt nicht schwarz-weiß sehen oder nur das Katastrophale sehen. Gerade in dem, was kaputtgeht, wo Grenzen gespürt werden, wo Pläne vernichtet werden, selbst wenn es nur eine Schulstundenplanung ist – das sind Momente, wo etwas Neues aufkeimen kann!
Das passt zur Pandemie. Wie können wir kon-struktiv mit dieser negativen Zeit umgehen?
Sr. Silke: Dass Corona nicht einfach ist, ist klar. Dass wir alle darunter leiden und es gerne anders hätten, ist auch klar. Jetzt kann ich in diesem „Ich hätte es gerne anders“ stehenbleiben, oder ich kann sagen „Das ist jetzt so. Wir tun alles, um es zu ändern, aber es schafft auch neue Möglichkeiten.“ Also dieses ganz bewusste Hinschauen auf das, was in dieser Situation wächst. Wie gestalte ich Leben sinnvoll in Situationen, die meiner Kontrolle entzogen sind? Wie gehe ich mit dem Kontrollverlust um? Das ist ja, worunter wir so leiden. Die Schüler etwa sind jugendlich, aber zu sagen, das sind verlorene Jahre, ist verfrüht. Auch Jugendliche können sich fragen: „Wie kann ich mein Leben in dieser Situation sinnvoll gestalten? Wie finde ich trotzdem Möglichkeiten, Ideen und Visionen zu entfalten?“ Sie können sagen: „Ich lerne etwas auszuhalten, was schwer ist und was ich nicht direkt ändern kann.“ Ich glaube, das Aushalten muss wieder gelernt werden. Ich muss es selber lernen. Es ist ja nicht so, dass ich das alles locker-flockig aushalte. Etwas Schwieriges durchzustehen ohne zu verzweifeln – auch das sind Lernschritte Richtung Auferstehung.
In Ihrem Leben haben Sie einige Stationen durchgemacht, die nicht locker-flockig waren. Als Psychologin arbeiteten Sie an verschiedenen Orten in der Gewaltprävention oder -bewältigung.
Sr. Silke: Ich habe viel mit Menschen gearbeitet, die Grenzerfahrungen erlebt haben. Sei es in HIV-/Aids-Projekten in Afrika, in Flüchtlingslagern, in der Prostitution: Menschen waren existenziell betroffen, es ging ums Überleben. Wahrscheinlich bereitet das darauf vor, nachzufragen, wo in dieser schwierigen, scheinbar ausweglosen Situation noch der Funke Hoffnung ist, auf den man zugehen kann, die Auferstehung. Wo zeigt sich das Mitgehen Gottes in dieser Situation? Wo keimt im Elend neues Leben?
Wo erlebten Sie das Mitgehen Gottes?
Sr. Silke: Ich denke an die Kinderstation im Krankenhaus in Südafrika. Wir hatten dort ein Zimmer mit 20 Betten, die Kinder waren eineinhalb bis elf Jahre alt. Da wurde ein etwa siebenjähriges Kind mit offenem Schädelbruch nach einem Verkehrsunfall eingeliefert. Es lebte noch, aber es war klar, da war nichts mehr zu machen. Ich setzte mich neben dieses Kind, andere Kinder setzten sich dazu. Plötzlich fragte eine etwa Gleichaltrige: „Stirbt der?“ Ich war kurz sprachlos und fragte zurück: „Was glaubst denn du?“ „Ja, ich glaube, der stirbt.“ Ich sagte: „Ich denke auch. Es gibt manche Verletzungen, die man nicht überlebt.“ Und dann hat sich zwischen diesen Kindern und mir ein Gespräch entwickelt über die Frage, was ist, wenn man stirbt. Das eine oder andere Kind ging weg, kam wieder. Sicher fünf, sechs Kinder saßen da, während das eine Kind dann wirklich starb. Es war so klar, dass es möglich war, darüber zu reden. Ich habe damals wahnsinnig viel gelernt. Ich habe gelernt, dass es zumutbar ist für Kinder und auch für Erwachsene. Dass man Zeit braucht und gewisse Schritte miteinander bewältigen kann. Es war ein gemeinsames Lernen über das Leben.
Auch Sie haben eine lebensgefährliche Krankheit.
Sr. Silke: Ja, die Diagnose Krebs bekommt jeder Vierte von uns. Ich habe meine Erfahrungen damit aufgeschrieben, ursprünglich nur für Freunde und Bekannte. Es sind nämlich so viele Dinge passiert in dieser Zeit, wo die Auferstehung durchleuchtete. Das wollte ich mit meinem Freundeskreis teilen. Dass der Herder Verlag es wirklich veröffentlicht hat, ist mir eher passiert. Das Buch heißt „Goldfäden“, der Titel kommt vom Jesuiten Alfred Delp. Er schickte aus der Haft vor seiner Hinrichtung Adventmeditationen. Da schrieb er, dass in Zeiten tiefster Erschütterung Goldfäden erscheinen, die Himmel und Erde miteinander verbinden und eine Ahnung von dem geben, was für uns vorbereitet ist. In meinem Krankheitsverlauf zeigten sich immer wieder Goldfäden. Dort, wo mir die Kontrolle genommen wurde, wo ich nichts mehr machen konnte, wo die Lebenserwartung auf ein paar Monate festgelegt wurde und es von einer Komplikation in die nächste holperte, ist, wie Mediziner sagten, eine Verbesserung eingetreten, die größer war als medizinisch machbar gewesen wäre. Für mich selbst war diese Zeit schwierig, ich möchte sie aber nicht missen. Sie ist auch nicht vorbei. Ich habe ein Rezidiv, es geht also weiter, es ist nicht die super Heilung, und alles ist gut. Sondern es ist diese Erfahrung, dass einem in diesem Gebrochensein und dem Ausgeliefertsein Kräfte zuwachsen können, die einen in eine neue Form von Leben tragen. Auch in eine große Dankbarkeit. In ein Staunen über die Gegenwart Gottes und darüber, dass alles Gnade ist.
Wie sieht diese neue Form des Lebens aus?
Sr. Silke: Man lebt intensiver mit einem Ablaufdatum. Ich erlebe so Minimomente wie diese Schulstunde gestern unheimlich bewusst. Ich lebe in der Erwartung dessen, was kommt. Der Tod ist weniger das Problem als das Sterben. Das Sterben beginnt nicht da, wo ich liege und meinen letzten Japser mache, sondern das Sterben beginnt täglich im Leben eines jeden Menschen, wo er Dinge loslassen muss. Von daher ist Corona eine Sterbe-Erfahrung. Es gehen manche Dinge im Moment nicht. Deshalb wehren wir uns dagegen, anstatt mit dem zu leben, was noch geht! Und das gut zu leben und das neu zu leben, was da Spannendes kommt! «
Sr. Silke-Andrea Mallmann CPS (geboren 1968) stammt aus dem Rheinland und lebt als Missionsschwester vom Kostbaren Blut im Kloster Wernberg in Kärnten. Als Psychologin engagiert sie sich für Migranten und Opfer von Menschenhandel. Acht Jahre wirkte sie in Projekten für Aids-Kranke in Südafrika. An einer Schule der Caritas unterrichtet sie Sozialmanagement.
Goldfäden zwischen Himmel und Erde, Glauben in dunklen Stunden. Schwester Silke-Andrea Mallmann, Verlag Herder, 240 Seiten, Euro 22,70.
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