Wort zum Sonntag
Die kleine Katharina sitzt am Arm von Schwester Maria Pia und kritzelt auf ein Blatt Papier – so wie sie es bei der Gruppe Österreicher sieht, die das Kinderheim der „Dienerinnen vom Kinde Jesu“ in Sarajevo besuchen. Katharina, deren Mutter sich aus Krankheitsgründen nicht um sie zu kümmern vermag, kann bis zu ihrem 18. Lebensjahr bei den Schwestern aufwachsen. Aber wird sie dann im Land bleiben?
Die jährliche Auswanderung aus Bosnien dürfte im fünfstelligen Bereich liegen. „Wir mögen unser Vaterland. Aber kann man nur von Patriotismus alleine leben?“, schildert Tomo Kneževic, Direktor der landesweiten Caritas, die Situation vor allem junger Menschen. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, fünf Suppenküchen für sozial schwache Menschen gibt es alleine in Sarajevo. Doch gut 22 Jahre nach dem Bosnienkrieg (1992 bis Ende 1995) zwischen orthodoxen Serben, katholischen Kroaten und bosnischen Muslimen herrscht Stillstand. Die Politik ist nationalistisch geprägt, eine echte Aufarbeitung von Vertreibungen, Krieg und Völkermord fehlt.
Eben hat das Land einen EU-Fragenkatalog beantwortet, doch klar ist: Bis zu einer eventuellen EU-Mitgliedschaft ist der Weg weit. Der Hohe Repräsentant der internationalen Gemeinschaft in dem Balkanland, der Österreicher Valentin Inzko, würde einen frühen Kandidatenstatus Bosniens – bei einem dafür späten Beitritt – befürworten. Aber einerseits will Brüssel nicht Probleme aus einem weiteren Konfliktbereich importieren. Und anderseits ist die EU mit sich selbst beschäftigt. Obwohl Beobachter auf russische, türkische und arabische Einflussversuche in dem Land im EU-Vorhof verweisen, fehlt es an Interesse in Europa. Bosnien-Herzegowina ist ein Wartesaal – aber immer weniger Menschen wollen ohne Perspektive ausharren.
Bei Schwester Maria Pia aus dem Kinderheim in Sarajevo ist das anders: Ihre Eltern stammen aus Bosnien, doch sie selbst ist in Wien geboren worden und aufgewachsen, erzählt sie. Erst der Ordensbeitritt der Novizin, die sich derzeit auf die zeitliche Profess vorbereitet, brachte sie an die Wurzel ihrer Familie zurück. Ihre Hausoberin, Schwester Susanna, ist aus Sarajevo gebürtig. Sie erzählt, dass eine muslimische Mitschülerin ihre beste Freundin ist und dass die Muslime, die heute die Mehrheit der Bevölkerung Sarajevos stellen, den Schwestern mit Respekt begegnen.
Ein düsteres Bild vermittelt dagegen Franjo Komarica, der katholische Bischof von Banja Luka in der serbisch dominierten Teilrepublik „Republika Srpska“: Durch Krieg und Vertreibung habe seine Diözese über 90 Prozent ihrer Mitglieder verloren, sagt er und beklagt, dass eine sichere und dauerhafte Rückkehr nicht ermöglicht werde. Er macht auch die internationale Gemeinschaft verantwortlich: Kriegsverbrecher würden belohnt, Opfer bestraft, lautet Komaricas Sicht.
Dass die ethnischen Gruppen fast deckungsgleich mit den Religionsgruppen sind, hat während des Krieges zum Missbrauch der Religion geführt. Im Interreligiösen Rat, in dem neben Muslimen, Orthodoxen und Katholiken auch die kleine jüdische Gemeinschaft vertreten ist, wird heute der Dialog gepflogen. Wichtiger ist freilich der Alltag: In katholische Schulen und Kindergärten Sarajevos gehen auch muslimische Kinder. Im Jugendzentrum „Johannes Paul II.“ arbeitet auch eine orthodoxe Vertreterin mit. „Wenn ich zum Bäcker gehe, ist mir egal, ob ein Kroate, ein Serbe oder ein bosnischer Muslim mein Brot bäckt“, sagt eine Frau im beiläufigen Gespräch.
Politik. Doch das sind Hauptstadt-Eindrücke. Wie es anderswo aussieht, bleibt offen. Beobachter sagen, dass jede Gruppe dort die Zusammenarbeit auf ihre Fahnen schreibt, wo sie selbst in der Minderheit ist. Ein schlechtes Zeugnis wird in Gesprächen der Politik ausgestellt, die an einer Entwicklung eines gemeinsamen Staatsbewusstseins wenig Interesse zeigt. Trotz eines Gerichtsentscheids kann man nicht einfach als Staatsbürger zur Wahl antreten, sondern muss sich als Kroate, Serbe oder Muslim deklarieren.
Die vierjährige Katharina am Arm von Schwester Maria Pia weiß von all dem noch nichts, als sie im Kinderheim den Besuchern zum Abschied winkt. An ihrem 18. Geburtstag wird der Krieg knapp vier Jahrzehnte vorbei sein. Ob ihr Bosnien-Herzegowina dann eine Zukunft bieten kann? «
Die 3,5 Millionen Einwohner von Bosnien-Herzegowina teilen sich in die Entitäten „Föderation Bosnien und Herzegowina“ (etwa zwei Drittel der Bevölkerung) und die „Republika Srpska“ (rund ein Drittel der Bevölkerung). Etwa 50 Prozent der Menschen sind bosnische Muslime (Bosniaken), 30 Prozent Serbisch-Orthodoxe (Serben) und etwa 15 Prozent Katholiken (Kroaten). Das durchschnittliche Nettoeinkommen liegt bei knapp 450 Euro pro Monat, die offizielle Arbeitslosenquote bei über 40 Prozent.
Während Österreichs Bischöfe bei ihrem Besuch in Bosnien-Herzegowina an die Verantwortungsträger für einen gerechten Frieden appellierten, erreichten auch innenpolitische Fragen ihre Frühjahrskonferenz.
Sarajevo sei ein mahnendes Beispiel für die Notwendigkeit des interreligiösen Dialoges, stellten die Bischöfe nach ihren Begegnungen fest. Denn sie hatten sich nicht nur mit den bosnischen Bischöfen und der Staatsspitze, sondern gemeinsam mit Gastgeber Kardinal Vinko Puljic auch mit führenden Vertretern des bosnischen Islam, der serbisch-orthodoxen Kirche und der jüdischen Gemeinde getroffen. Für die Hilfe aus Österreich – durch die Caritas, Diözesanpartnerschaften und „Nachbar in Not“ – erlebten sie Dankbarkeit. Die gemeinsame Zeit mit Bosnien in der Monarchie (1878–1918) ist auch präsent. Ein weiteres Thema der Konferenz war auch die Jugendsynode im Oktober in Rom.
Eingeholt wurden die Bischöfe unterdessen von der kritischen Stellungnahme der Caritas-Direktoren zur Sozialpolitik der österreichischen Regierung. Darauf angesprochen lobte Kardinal Christoph Schönborn den Willen der Regierung zur Vermeidung neuer Schulden als Dienst an künftigen Generationen. Überraschend war seine Aussage, die ÖVP-Regierung habe 1970 ein schuldenfreies Land an die (SPÖ-)Nachfolgeregierung übergeben. Einsparungen würden Opfer erfordern. Es sei aber richtig, dass die Caritas auf die Situation der Ärmsten hinweise.
Kritik an den Aussagen des Kardinals kam von Arbeiterkammerpräsident Rudolf Kaske: „Ich schätze Kardinal Schönborn“, er solle aber nicht den „Kardinalfehler“ begehen, dass sich die Kirche zum Sprachrohr der Regierung macht. Nach Wien heimgekommen ergänzte Schönborn seine Aussagen dahingehend, dass er von Opfern gesprochen habe, zu denen „die Gesellschaft und nicht die Armen“ aufgerufen sei. „Auf dem Rücken der Ärmsten zu sparen, ist unsozial und ungerecht.“ Einen Konflikt mit der Caritas stellte der Vorsitzende der Bischofskonferenz in Abrede. «
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