Wort zum Sonntag
Im Laufe der Jahre hat sie einen umfangreichen Erfahrungsschatz im Bereich Leiten gesammelt, den sie in ihrem Buch „Die neue Kunst des Leitens. Wie Menschen sich entfalten können.“ zusammengetragen hat. Hierarchischen Strukturen kann sie nichts abgewinnen, „Entscheidungen müssen gemeinschaftlich von allen getragen werden“, sagt die deutsche Benediktinerin.
Auf dem Cover Ihres Buches „Die neue Kunst des Leitens.“ steht auch „Top-down war gestern.“ Meinen Sie damit eine nicht mehr angebrachte hierarchische Struktur von oben nach unten, wie sie u. a. in der katholischen Kirche vorherrscht – mit dem Papst an der Spitze und den Gläubigen auf unterster Ebene?
Sr. Emmanuela Kohlhaas: Genau, jede Form von Gehorsamsverständnis, das auf Dominanz beruht. Diese hierarchisch bestimmende Struktur bringt man vom Evangelium her nicht zusammen mit Stellen, wo Jesus sagt: „Wer der Erste sein will, soll der Letzte von allen und der Diener aller sein.“ Der Benediktinerorden ist ein Zusammenschluss selbstständiger Einheiten. Geleitet werden sie bei den Frauen von der so genannten Moderatorin, bei den Männern vom Abtprimas. Das sind geistliche Leitungspersönlichkeiten ohne Macht. Ich bin davon überzeugt, dass ein echter spiritueller Gehorsam zu tun hat mit Achtsamkeit, mit Hören, mit Antwortgeben auf das, was jeden Augenblick geschieht.
Als Priorin haben Sie von 2010 bis Juli 2022 die Benediktinerinnengemeinschaft in Köln geleitet. Dazu wurden Sie, wie auch Ihre Vorgängerinnen, demokratisch gewählt ...
Sr. Emmanuela: Das ist bei uns völlig normal. Wenn Menschen das hören, sind sie oft erstaunt darüber, dass bei uns Pflicht ist, was bei Bischöfen unvorstellbar ist. Doch dieses hierarchische Machtverständnis der katholischen Kirche ist in bestimmten historischen Phasen gewachsen. In der frühen Kirche war das anders. Auch Papst Franziskus schreibt im Vorbereitungspapier für die Weltsynode, dass es in der Kirche beides gibt, das Vertikale – von oben nach unten – und das Horizontale – auf einer Ebene. Letzteres spielte in der Frühzeit der Kirche eine stärkere Rolle.
Und im Benediktinerorden, der in der Spätantike entstanden ist, also in einer Zeit noch vor diesen hierarchischen Strukturen, herrschten damals demokratische Verhältnisse. In unserer Regel steht u. a., wenn es um Entscheidungen geht, müssen alle gehört und zum Rat gerufen werden – mit folgender Begründung: weil Gott oft einem Jüngeren eingibt, was das Bessere ist. Die Wahl unserer Ordensleitung hat dort ihre Wurzeln und so steht es auch im Kirchenrecht.
Ich nehme an, Sie könnten sich auch einen Priester oder einen Bischof ohne Machtbefugnisse vorstellen, oder?
Sr. Emmanuela: Ja. Wenn ich mich frage, wie Jesus sich Priestertum vorgestellt hat, wenn es je in seinem Horizont war, dann glaube ich nicht, dass aus seiner Perspektive die Kombination von Priestertum mit Macht grundlegend ist. Ich denke, es gibt ganz viele Fragen zu stellen. Ich würde nicht behaupten, ich hätte irgendeine Idee, wie es gehen kann, aber ich glaube sehr stark, dass die Suchbewegung gesund ist.
Ich halte den Weg, den der Papst eröffnet hat im Dialog miteinander, für den einzig möglichen, auch wenn der richtig lange dauern wird. Wichtig ist, dass man bereit ist, so lange zu ringen, zu streiten, zu reden, und – bitte nicht zu vergessen – auch zu beten, bis eine Lösung gefunden ist. Wir haben als Ordensgemeinschaft die Erfahrung gemacht, je wichtiger das Thema, desto notwendiger ist der Konsens, also Zusammenhalt und Einigung. Entscheidungen müssen von allen mitgetragen werden. Auch das dauert manchmal lange, weil man ab und zu ein Thema ruhen lassen muss, wenn im Augenblick keine Lösung gefunden wurde. Das ist ein Verständnis von Gemeinschaft, das nicht von oben nach unten funktioniert, sondern im Sinne: Ihr alle seid Brüder und Schwestern.
Was halten Sie unter diesem Blickwinkel davon, Frauen zu Priesterinnen zu weihen?
Sr. Emmanuela: Ich bin sehr für Geschlechtergerechtigkeit, aber ich denke, wir retten die Kirche nicht, indem wir morgen Frauen zu Priesterinnen weihen und sie in dasselbe alte System zwingen. Ich glaube, es sollten tiefere Lösungen gefunden werden. Rollen und Mechanismen müssen sich verändern.
Was macht die neue Kunst des Leitens aus? Was braucht es, um erfolgreich zu leiten, damit Menschen sich entfalten können?
Sr. Emmanuela: Ich habe versucht in dem Buch meinen Weg zu beschreiben und meine Erfahrungen ins Wort zu bringen. Es ist also ein Erzählen des eigenen Lernprozesses. Und da gibt es natürlich viele Aspekte und kein einfaches Rezept. Damit Leiten gelingt, muss man aktiv etwas tun. Es bedarf Begleitung, Schulung und Reflexion, um so leiten zu können, dass die Gruppe sich wohl fühlt, die Menschen dabei bleiben und motiviert werden. So habe ich mich auf den Weg gemacht und bin dabei an bestimmten Themen- und Problemfeldern vorbeigekommen – z. B. des Findens meiner Rolle oder des Umgangs mit Altlasten und Spannungen in der Gruppe. Es geht darum, wie sorge ich dafür, zu deeskalieren, wie sorge ich dafür, dass Wertschätzung im Raum ist, wie sorge ich dafür, dass Transparenz funktioniert. Im Buch habe ich auch versucht zu beschreiben, welche Schlüssel und Aha-Erlebnisse ich für mich entdeckt habe, wo ich das Gefühl hatte, es ist nach vorne gegangen und wir haben eine Lösung gefunden.
Haben Sie Beispiele für solche Aha-Erlebnisse?
Sr. Emmanuela: Es waren oft schlichte Sätze, die mir weitergeholfen haben. Etwa: Wenn du eine unangenehme Botschaft hast, versuche sie nicht in rosarotes Papier einzupacken, sondern sorge dafür, dass du sie klar, ruhig und nüchtern ins Wort bringst. Oder: Die Grenze ziehen, da wo sie ist. Oder: Ein Problem kann ich nur lösen, wo es ist. Das sind Lebensweisheiten, die erst einmal banal klingen, sie sind es in der Praxis aber nicht.
Sind neben Wertschätzung und Transparenz für Sie auch Gelassenheit und Humor solche Schlüssel?
Sr. Emmanuela: Natürlich. Gelassenheit – die will wachsen. Und Humor braucht es unbedingt. Gerade über sich selber lachen zu können ist ein ganz wichtiger Schlüssel. Ich glaube auch, dass gewisse, eben genannte Grundaspekte, die im Thema Leitung auftauchen, überall gleich sind – ob in einer Firma, in einer Praxis, in der Schule, in der Familie, in Jugendgruppen, im Chor, im Kaninchenzüchterverein, im Fußballclub, in der Politik oder in der Kirche.
In Ihrem Buch schreiben Sie, die Kirchenkrise ist eine Leitungskrise. Können Sie das näher erläutern?
Sr. Emmanuela: In den Gemeinden, in den engagierten Gruppen läuft es ja gut. Problematisch ist die oberste Leitungsebene. Wenn man sich die letzten Jahre anschaut mit Missbrauchskrise und Vertuschungen wird offensichtlich, dass eine immer größere Spannung entsteht. Es gibt viele Bischöfe, die sich sehr bemühen, es ist auch der Synodale Prozess auf den Weg gekommen, aber man merkt, dass die Skepsis dieser Ebene gegenüber gewaltig groß ist, auch von innen. Wenn in einem Schrank des früheren Kölner Erzbischofs und Kardinals Joachim Meisner ein Aktenordner stand mit dem Titel „Brüder im Nebel“, wo geheime Unterlagen angelegt, Missbrauchsfälle vertuscht und Täter geschützt wurden, ist das ein wunderbares Bild für die Problematik. Vertuschung ist ein Leitungsproblem.
Welche neuen Wege wünschen Sie sich für die katholische Kirche?
Sr. Emmanuela: Der Kirche wünsche ich ein schlichtes Zurück zum Evangelium und Zurück zu den Quellen – mit Mut, Salz der Erde und Sauerteig zu sein und Zeugnis zu geben von der Kraft, die das Leben trägt. Wir haben einen unglaublichen Schatz, sowohl in der Heiligen Schrift wie in der Tradition der Kirche, der dem Leben dient, der beim Leben hilft. Ich liebe das Bild bei Jesaja 43,2: „Wenn du durchs Wasser schreitest, bin ich bei dir, wenn durch Ströme, dann reißen sie dich nicht fort. Wenn du durchs Feuer gehst, wirst du nicht versengt, keine Flamme wird dich verbrennen.“ Dieses Bild hat auch Mozart in der „Zauberflöte“ verwendet. Die Heilige Schrift ist voller Sätze, die das Leben unterstützen und den Ausweg aus schweren Situationen weisen, bis hin zu der Situation von Leben und Tod. Das sind großartige existentielle Antworten. Da möchte ich die Menschen ermutigen: Schaut, woraus ihr leben wollt. Ich glaube, der beste Bischof kann unser Leben nicht tragen. Das kann nur der lebendige Gott und mein Glaube. «
- Buchtipp: Emmanuela Kohlhaas „Die neue Kunst des Leitens. Wie Menschen sich entfalten können. Top-Down war gestern.“, Herder Verlag, 2022, Euro 20,60.
Zur Person
Sr. Emmanuela Kohlhaas (60) ist seit 40 Jahren Benediktinerin. Von 2010 bis Juli 2022 war sie Priorin der Benediktinerinnengemeinschaft in Köln. Seit kurzem betreut sie die Klosterneugründung der Benediktinerinnen in Düsseldorf-Angermund. Die deutsche Ordensfrau studierte Musikwissenschaft, Psychologie, Vergleichende Religionswissenschaften und absolvierte den Masterstudiengang „Beratung in der Arbeitswelt. Coaching, Mediation, Supervision und Organisationsberatung“.
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Birgit Kubik, 268. Turmeremitin, berichtet von ihren Erfahrungen in der Türmerstube im Mariendom Linz. >>
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