Ich habe die Leserinnen und Leser unserer Pfarrzeitung Anfang des Jahres dazu eingeladen, mit mir für die Osterserie Glaubenserfahrungen zu teilen.
Mein Aufruf hat eine Leserin zu einem sehr speziellen Zeitpunkt erreicht: knapp vor ihrem 62. Geburtstag, ein paar Monate vor dem Pensionsantritt. Sie erwähnt, sie sei unter sehr ungünstigen Bedingungen aufgewachsen, „die sich mit vielen hilfreichen Begegnungen und nicht zuletzt dem Geschenk des Glauben-Könnens/-Dürfens in ein gut lebbares Leben integrieren haben lassen“.
Und noch etwas war prägend: Durch das Erlernen von Instrumenten habe sich ihr schon in ihrer Kindheit ein Fenster geöffnet, das ihr nicht nur für ihr psychisches Überleben, sondern auch für ein hohes Maß an Lebensqualität einen Weg gewiesen habe.
Sie schreibt weiter: „Für mich ist Musik Nahrung, Lebensmittel, Spiritualität und Transzendenz, ein direkter Hinweis auf den guten Urgrund unseres Lebens, auf eine größere Geborgenheit als unsere Herkunftsfamilie. Ich habe im Singen eine der größten Freuden in meinem Leben gefunden und durch das Singen sehr intensive Erfahrungen von Gemeinschaft und Nähe und körperlicher Gesundheit gemacht.“
Für viele Menschen ist die Musik eine wichtige Lebensbegleiterin, auch für mich. Sie schenkt mir Momente, die mich ganz und gar im Zuhören aufgehen lassen. Alles um mich herum verblasst. Die Klangquellen, ob Abspielgerät oder Livemusikerinnen und -musiker in Kirche oder Konzertsaal: Ich bin ganz Ohr.
Wie ist es möglich, dass Menschen so Wunderbares hervorbringen? Als einer, der seit vielen Jahren Gesangsunterricht nimmt und – zwar mehr schlecht als recht, aber doch – Klavier spielt, weiß ich: Es ist nicht nur eine Frage der Technik und des Übens. Vielmehr hängt alles davon ab, wie durchlässig ich selber beim Singen und Spielen für die Musik bin. Ich mache die Musik weniger, als ich sie selber empfange wie eine Kraft, die nicht aus mir ist. Musik lässt sich nicht durch noch so verbissenen Eifer und harte Anstrengung produzieren.
Die Disziplinierung der Finger, des Atems – all das zielt darauf ab, diese Disziplinierung vergessen zu machen. Obwohl Musik von Menschen produziert wird, erleben wir sie in ihrer gelungenen Form als eine Art „Offenbarung“. Wir werden von etwas ergriffen, ohne dass wir es begreifen. Darf ich als glaubender Mensch davon ausgehen, dass beim Spielen wie beim Hören von Musik Göttliches auf uns einwirkt?
Die finnische Autorin Eeva-Liisa Manner erzählt in ihrem Roman „Das Mädchen auf der Himmelsbrücke“ von der neun Jahre alten Leena, die sich alleingelassen und unverstanden fühlt. Ihre Mutter ist nach der Geburt verstorben, der Vater schon vorher verschwunden, von ihrer Lehrerin wird sie sekkiert, von den Mitschülerinnen gemobbt. Allmählich ist sie „der Welt abhandengekommen“. Das Überschreiten der Himmelsbrücke führt sie per Zufall in eine Kirche. Dort kommt sie mit Orgelmusik von Johann Sebastian Bach in Berührung, gespielt vom blinden Filemon. Sie erfährt eine so starke Erschütterung, dass nichts mehr bleiben kann wie zuvor. „Die Musik war weder fröhlich noch traurig, sie war unerklärlich und dennoch selbstverständlich wie Wasser – ein Wasser, das so klar war wie der Himmel und unter dem es keinen Boden gab.“ Musik erschüttert, bewegt und ist heilsam.
Die Bibel erzählt im ersten Buch Samuel die Geschichte vom Hirtenjungen und späteren König David. Er spielt die Leier so gut, dass seine Musik den König Saul von seinen Depressionen befreit, die immer wieder von ihm Besitz ergreifen. Das und die Psalmen, die ihm zugeschrieben werden, hat ihm einen Ehrenplatz in der Nähe vieler Kirchenorgeln eingebracht. Auch über der „großen Ischlerin“, wie unsere Kaiser-Jubiläums-Orgel mit ihren 4155 Pfeifen und 60 Registern liebevoll genannt wird.
Obwohl die Geschlechtergerechtigkeit im 19. Jahrhundert noch kein Thema war, haben die Nazarenermaler in schöner Symmetrie auf der gegenüberliegenden Seite die hl. Cäcilia als Patronin der Kirchenmusik an die Decke gemalt.
Am Dachboden haben wir das „Fernwerk“: Es wird von der Orgel auf der Empore aus gespielt und ist mit ihr über einen Schalltrichter verbunden. Für die Besucher:innen klingt es, als käme die Musik vom Himmel. Wenn es mit sphärischen Klängen von oben in den Kirchenraum hineintönt, dann eröffnet uns das allen schon sehr exklusive Erlebnisse: ansprechend und berührend, religiös und heilig. Das leuchtet unmittelbar ein, auch im Sinne von: Bei dieser Musik, da komme ich in Kontakt mit etwas, das ist nicht von dieser Welt – da geht mir ein Licht auf.
Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass in Zugehörigkeit das Gehör steckt?
Die Ohren machen den Anfang. Im Mutterleib erwacht unser Gehör als allererster Sinn im fünften Schwangerschaftsmonat und erlischt, ertaubt erst 24 Stunden nach unserem Tod, was medizinische Forschungen bezeugen. Wir Menschen fangen mit den Ohren an und hören mit ihnen auf, mit den Ohren gehören wir der Welt an. Mit ihnen kommen, treten, gehen wir mit anderen in Verbindung. Es ist das Unsichtbare, das Hörbare, das uns Zugehörigkeit erfahren lässt.
Norbert Trawöger, künstlerischer Leiter der oö. KulturEXPO „Anton Bruckner 2024“
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Musik kann wie eine Offenbarung sein. „Als glaubender Mensch darf ich davon ausgehen, dass sowohl beim Spielen als auch beim Hören Göttliches auf uns einwirkt“, meint Pfarrer Christian Öhler.
mit Christian Öhler
Wenn es um Glaubensfragen geht, dann will Christian Öhler, katholischer Stadtpfarrer von Bad Ischl, ganz konkret sein. Von der Woche zum Weißen Sonntag bis Pfingsten schreibt er zu diesem Thema eine siebenteilige Serie in der Kirchenzeitung.
Was ihn besonders bewegt, hat Pfarrer Öhler im Video-Interview verraten. Dabei spielen neben Glaubensfragen auch Natur- und Kunsterfahrungen eine Rolle: Beides bietet das Salzkammergut, insbesondere 2024, da die Region Kulturhauptstadt Europas ist.
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Christian Öhler
Stadtpfarrer von Bad IschL, Regionaldechant für das Traunviertel, Pfarrprovisor St. Wolfgang und Pfandl
Christian Öhler ist auf dem Bindermichl in Linz aufgewachsen. Als Kind und Jugendlicher engagierte er sich in der Pfarre Linz-St. Michael und studierte später Theologie in Linz und Frankfurt. 1985 wurde er zum Priester geweiht. Er prägte in Linz die Seelsorge in der Kirche in der Tuchfabrik, 2010 wechselte er nach Bad Ischl und vernetzt dort unentwegt Land, Leute und Kirche, besonders im Rahmen der Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut.