Von Amts wegen über Gott reden und eine lebendige Verbindung pflegen sind zwei Paar Schuhe. Gott hat im Alltag oft zu wenig Platz, immer schiebt sich etwas noch Wichtigeres dazwischen.
Wenn ich’s „gnädig“ (eilig) hab’ – wie man bei uns sagt – und ich mir keine langen Gebetszeiten nehmen kann, stellt sich schon die Frage: Wie geht das, zu beten im Getümmel des Alltags?
Vielleicht können wir in dieser Situation von Menschen lernen, die gerade Hals über Kopf verliebt sind. Da kann es noch so rundgehen, eine SMS zwischendurch geht sich immer aus. Das gilt auch für das Gebet.
Vorlagen für „Short Messages“, für kurze Mitteilungen, finden wir in der Bibel in Hülle und Fülle. Besonders im Buch der Psalmen. Psalm 139 zum Beispiel: „Von hinten und von vorne hältst du mich umfangen, hast auf mich deine Hand gelegt.“ Oder wenn es eng wird Psalm 4: „Du hast mir weiten Raum geschaffen in der Bedrängnis.“ Und wenn es kriselt Psalm 13: „Willst du mich für immer vergessen? Wie lange noch verbirgst du dein Angesicht vor mir?“ So viel Zeit muss sein. In kurzen Arbeitspausen, beim Warten auf den Bus und sogar während einer Autofahrt, wo SMS-Schreiben ansonsten wenig ratsam ist, kann man sich mit einem Psalm an Gott wenden. Einfach so und zwischendurch.
Madeleine Delbrêl hat in einer roten Hochburg von Paris gelebt. Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts. Sie hat mit den Kommunisten zusammengearbeitet und war den französischen Arbeiterpriestern verbunden. Ihre Notizen zum Gebet sind in einem schmalen Büchlein unter dem Titel „Gebet in einem weltlichen Leben“ veröffentlicht worden. Dort finden sich keine Klagen über Säkularisierung oder Glaubensverlust, sondern die nüchterne Feststellung: „Was das Gebet angeht, so ist unser Raum rationiert: das Fehlende müssen Bohrungen ersetzen.“ So wie im Salzbergbau.
Für die Salzgewinnung unter Tag mussten kilometerlange Stollen angelegt werden, in mehreren Stockwerken übereinander, sogenannten „Horizonten“. Die Alternative sind Bohrungen. Auf den Sulzbachfeldern in Ischl wird aus 300 bis 500 Metern Tiefe salzhaltiges Wasser zu Tage gefördert und im Sudhaus eingedampft. Wenn im Alltagsgetümmel auch wenig Raum bleibt für ein ausgedehntes Gebetsleben, so kann ich doch Gebetsschächte darin einrichten.
In konzentrierten Akten des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe in die Tiefe streben, bis zu der Stelle, wo man aus Gott schöpft, „großes Geheimnis, Quellgrund meines Lebens“, wie Bruder David Steindl-Rast sagt. Damit das Salz nicht seinen Geschmack verliert. „Ihr seid das Salz der Erde“ – das ist auch so ein Bibelwort, bei dem mir noch niemals langweilig geworden ist.
Joachim Wanke, Altbischof von Erfurt, spricht von „Situationsgebeten“. Man kann sie gut behalten. Sie graben sich ein und verlangen keine besonderen Gebetszeiten und -räume. Als Beispiel nennt er das Wort des blinden Bartimäus, mit dem er sich voll Erwartung Jesus zuwendet: „Herr, ich möchte sehen können!“
Diese Bitte hilft mir, wenn ich mich mit Kritik auseinandersetzen muss: Ich bitte um die Einsicht, eigene Fehler zu erkennen. Oder wenn ich Kritik übe, sensibilisiert mich diese Gebetsbitte dafür, dass es bei aller notwendigen Kritik auch Positives festzuhalten gibt. Auf meinem Schreibtisch liegt ein Stück Holz, ein von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Lebenshilfe sorgfältig bearbeiteter Holzsplitter. Vielleicht habe ja doch ich einen Balken im Auge und der andere nur einen Splitter. Auch zu dieser Einsicht kann mich das Gebetswort bringen: „Herr, ich möchte sehen können!“
Manche Gebete erinnern an vorweihnachtliche Wunschzettel. Alles dreht sich um die eigenen Bedürfnisse, Wünsche, Sehnsüchte. Aber so kann es ja wohl nicht gemeint sein! Käme Gott damit nicht in grobe Schwierigkeiten? Unsere Bauern beten für ihre Felder um Regen, die Fremdenverkehrswirtschaft um möglichst langanhaltende Schönwetterperioden. Welcher Bitte sollte Gott Folge leisten, auf wen soll er mehr hören? Etwa auf die, die ausdauernder, penetranter, andächtiger oder einfach zuerst gebetet haben?
Ein bedeutender Mystiker des 13. und 14. Jahrhunderts, Meister Eckhart, schreibt: „Die meisten Leute lieben Gott, wie man eine Kuh liebt, die liebst du wegen der Milch und des Käses und des eigenen Nutzens. So machen es alle die, die Gott lieben um äußeren Reichtums oder inneren Trostes willen. Die aber lieben Gott nicht recht, denn sie lieben ihren Eigennutz.“ Wie jeder Mensch möchte auch Gott um seiner selbst willen geliebt werden und nicht weil wir etwas von ihm haben können.
Im Gebet verharren. Da denke ich an „still werden“. Lauschen auf das, was Gott mir mitteilen will, und suchen nach dem, was ich ihm innerlich sagen möchte. Oder wie ich es neulich gelesen habe: „still auf dem Nest sitzen und Eier brüten“.
Psalm 23, Kapelle Maria an der Klamm
mit Christian Öhler
Wenn es um Glaubensfragen geht, dann will Christian Öhler, katholischer Stadtpfarrer von Bad Ischl, ganz konkret sein. Von der Woche zum Weißen Sonntag bis Pfingsten schreibt er zu diesem Thema eine siebenteilige Serie in der Kirchenzeitung.
Was ihn besonders bewegt, hat Pfarrer Öhler im Video-Interview verraten. Dabei spielen neben Glaubensfragen auch Natur- und Kunsterfahrungen eine Rolle: Beides bietet das Salzkammergut, insbesondere 2024, da die Region Kulturhauptstadt Europas ist.
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Christian Öhler
Stadtpfarrer von Bad IschL, Regionaldechant für das Traunviertel, Pfarrprovisor St. Wolfgang und Pfandl
Christian Öhler ist auf dem Bindermichl in Linz aufgewachsen. Als Kind und Jugendlicher engagierte er sich in der Pfarre Linz-St. Michael und studierte später Theologie in Linz und Frankfurt. 1985 wurde er zum Priester geweiht. Er prägte in Linz die Seelsorge in der Kirche in der Tuchfabrik, 2010 wechselte er nach Bad Ischl und vernetzt dort unentwegt Land, Leute und Kirche, besonders im Rahmen der Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut.