Die Unterscheidung zwischen „sky“ (der über uns sichtbare Himmel) und „heaven“ (der Himmel Gottes, das Paradies) in der englischen Sprache ist hilfreich, wenn wir von „Himmelfahrt“ im Blick auf Jesus oder von der „Aufnahme in den Himmel“ im Blick auf seine Mutter sprechen.
Meine Kusine Elisabeth hat mir in Reaktion auf einen meiner Beiträge den schönen Satz gemailt: „In der Weite des Himmels spüre ich manchmal die zur Umarmung ausgebreiteten Arme Gottes.“ Sie schlägt damit eine Brücke vom Himmel über uns zu Gott jenseits von Raum und Zeit. Er oder auch „die Ewige“ (Bibel in gerechter Sprache) ist uns unendlich fern und zugleich – und darum weiß auch der Islam – „näher als unsere Halsschlagader“ (Sure Kâf, 50:16).
„Auferstehen ist unser Glaube, Wiedersehen unsere Hoffnung, Gedenken unsere Liebe“, lesen wir auf einer Mauer am Waldfriedhof im Ischler Ortsteil Pfandl. Sehen wir uns im Himmel wieder? Ist das überhaupt wünschenswert?
Solange Menschen einander wie in einer U-Bahn-Station zur Stoßzeit begegnen, jeder mit sichselber beschäftigt, zugestöpselt, ein flüchtiger Blick vielleicht ins Gesicht des einen oder der anderen, ist das Nimmerwiedersehen Alltag. Oder mit einem nostalgischen Blick auf die Flipperautomaten, die mich als Jugendlicher fasziniert haben: Menschen rollen Kontakte wie Flipperkugeln.
Der Tod ist vergleichbar mit dem im Spiel vorgesehenen Ende. Die Kugel geht verloren und alle Spielelemente werden außer Kraft gesetzt – ein „Tilt“ ertönt. Das heißt soviel wie Ende, Aus und Tschüss. – Wenn du an jemandem schuldig geworden bist, bewahrt dich das Nimmerwiedersehen vor einer Auseinandersetzung, die dich im direkten Gegenüber mit deiner Verantwortung konfrontieren würde. „Mi siagst nimma“ kann in verschiedenen Tonlagen ausgesprochen werden.
Der Tod stellt uns keine Fragen und vor ihm müssen wir auch keine Rechenschaft ablegen. Erst die Aussicht auf ein Wiedersehen setzt die Fragezeichen in unseren Lebenstext. Was ist gelungen? Wo sind wir aneinander schuldig geworden? Gibt es Versöhnung? Kann aus Fragmenten ein Ganzes werden, eine runde Sache? Gibt es in unseren Beziehungen etwas, was bleibt und über den Tod hinaus gültig ist?
Wenn das Leben gelingt und die Liebe nicht nur kurzzeitig aufblitzt, sondern als eine intensive Bejahung erlebt wird, wird der Tod zur großen Infragestellung all dessen, was uns lieb und wertvoll ist.
Als Priester habe ich schon viele Menschen mit der festen Hoffnung sterben gesehen, dass es ein Wiedersehen – in welcher Form auch immer – gibt.
Und im Übrigen zeigt sich ein interessantes Phänomen. Wenn in Umfragen nach dem Glauben an die Auferstehung gefragt wird, sagen drei von zehn Befragten: „Mit dem Tod ist alles aus.“ Aber mit dem Tod von geliebten Menschen konfrontiert, wählen Angehörige zur Verabschiedung ein Lied von Andreas Gabalier mit dem Titel „Amoi sehn ma uns wieder“ oder – und das trifft dann auch meinen Musikgeschmack – „Nur zu Besuch“ von den „Toten Hosen“. Wie neulich beim Begräbnis für den 31-jährig verstorbenen Raphael. Es war einer seiner Lieblingssongs: „Und ich verspreche dir. Wir haben irgendwann wieder jede Menge Zeit. Dann werden wir uns wiedersehen. Du kannst dich ja kümmern, wenn du willst, dass die Sonne an diesem Tag auch auf mein Grab scheint, dass die Sonne scheint, dass sie wieder scheint.“
Solche Hoffnungen werden nicht enttäuscht. Das weiß ich aus dem Evangelium, aus dem Zeugnis von Menschen, die in diesem Vertrauen ihr Leben übergeben haben, und so sagt es mir auch mein Herz.
In jeder heiligen Messe sprechen wir aus, was war, was ist und was wir für die Zukunft erhoffen. Es ist das Geheimnis unseres Glaubens: „Deinen Tod, o Herr, verkünden wir und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit“.
Ich feiere mit Jugendlichen im Freien, unter einem strahlend blauen Himmel. Ich breche das eucharistische Brot in Stücke. Ja, ich reiße es in Stücke. Es ist gutes, frisches Fladenbrot, gebacken vom hiesigen Bäcker. Jesus hat sich für die Leute zerrissen, wie man sagt, wenn jemand alles für andere gibt. Sich selbst gibt.
Wer zerreißt sich für euch?, frage ich. „Meine Eltern“, sagt einer spontan. „Meine Freundin ist immer zur Stelle, wenn ich sie brauche“, sagt eine andere. So wächst Vertrauen und schließlich ein Bewusstsein dafür, dass der Tod nicht das Ende unserer Beziehungen ist.
„Öffnet das Tor und lasst alle herein,
die mich sterben sehen wollen.
Sterben ist keine Schande,
Schande bringt nur ein schlechtes Leben.
Es mag jeder an meinem Tod schauen,
was er in seinem Eigenen zu erwarten
und zu befürchten hat.“
Das waren laut Überlieferung die letzten Worte des hl. Wolfgang (924–994)
Ich wandere in Gedanken durch die Landschaft meiner Beziehungen und frage mich: Was erwarte und was befürchte ich „sub specie aeternitatis“, im Licht der Ewigkeit betrachtet? Wie sehe ich auf mein Leben, wenn mit dem Tod nicht alles zu Ende ist?
mit Christian Öhler
Wenn es um Glaubensfragen geht, dann will Christian Öhler, katholischer Stadtpfarrer von Bad Ischl, ganz konkret sein. Von der Woche zum Weißen Sonntag bis Pfingsten schreibt er zu diesem Thema eine siebenteilige Serie in der Kirchenzeitung.
Was ihn besonders bewegt, hat Pfarrer Öhler im Video-Interview verraten. Dabei spielen neben Glaubensfragen auch Natur- und Kunsterfahrungen eine Rolle: Beides bietet das Salzkammergut, insbesondere 2024, da die Region Kulturhauptstadt Europas ist.
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Christian Öhler
Stadtpfarrer von Bad IschL, Regionaldechant für das Traunviertel, Pfarrprovisor St. Wolfgang und Pfandl
Christian Öhler ist auf dem Bindermichl in Linz aufgewachsen. Als Kind und Jugendlicher engagierte er sich in der Pfarre Linz-St. Michael und studierte später Theologie in Linz und Frankfurt. 1985 wurde er zum Priester geweiht. Er prägte in Linz die Seelsorge in der Kirche in der Tuchfabrik, 2010 wechselte er nach Bad Ischl und vernetzt dort unentwegt Land, Leute und Kirche, besonders im Rahmen der Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut.