Die Bettellobby Oberösterreich ist für die Abschaffung sämtlicher Bettelverbote. Ihr Sprecher Christian Diabl über die Bettelmafia, Flüchtlinge und willkürliche Strafen gegen Bettler.
Ausgabe: 2016/04, Bettellobby, betteln, Diabl
26.01.2016 - Interview: Paul Stütz
Wieso sind Sie gegen Bettelverbote? Christian Diabl: Die Bettellobby glaubt, dass Betteln ein Menschenrecht für Menschen in Not ist. Niemand bettelt freiwillig. Die Verschärfungen machen den Menschen das Leben schwieriger, bedeuten einen höheren Verwaltungsaufwand, sie ändern aber am Phänomen nichts. Sollte es im Zusammenhang mit Betteln tatsächlich zu Nötigung oder Menschenhandel kommen, sind dafür die entsprechenden Gesetze anzuwenden. Es braucht keine eigenen Bettelverbote.
Gewerbsmäßiges Betteln ist in Oberösterreich verboten. Was heißt das konkret? Diabl: Das ist ein gutes Beispiel für die Absurdität der ganzen Debatte. Nach dem Gesetz ist streng genommen wiederholtes Betteln gewerbsmäßig, also verboten. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Armutszustand mit einmaligem Betteln behoben werden kann. Wer aus Armut bettelt, keine andere Möglichkeit sieht, macht das gewerbsmäßig. Mit diesem Begriff kann ich jeden Bettler strafen, wenn ich will, und zwar jeden Tag.
Wie viele Bettler gibt es in Linz und woher kommen sie? Diabl: Es gibt Schätzungen, dass sich in Linz im Schnitt 100 Armutsreisende aufhalten, die meisten davon sind Bettler. Der Großteil der bettelnden Menschen kommt aus Kronstadt in Rumänien. 70 bis 80 Prozent der Bettler stammen aus dieser Stadt in Siebenbürgen. Die zweitgrößte Gruppe sind Bettler aus der Slowakei, von denen viele auch in Linz leben. Die Rumänen dagegen pendeln dagegen zwischen ihrer Heimat und Linz.
Die Anzeigen gegen Bettler sind in Linz seit der Einführung des Gesetzes gegen gewerbsmäßiges Betteln im Juli 2014 gestiegen. Ist das ein Anzeichen für ein größeres Bettelproblem? Diabl: Nur die Zahl der Anzeigen ist für mich kein Indiz für die Größe des Problems, sondern eher für den Umgang mit dem Problem. Wenn die Antwort der Politik und der Behörden auf bettelnde Menschen Gesetzesverschärfungen sind, müssen gar nicht mehr Leute betteln, um die Anzeigenzahl zu erhöhen.
Gibt es die Bettelmafia? Was ist aus Ihrer Sicht an diesem Schlagwort wirklich dran? Diabl: Mafia-Strukturen hinter den Bettlern sind nur ein Mythos, das gibt es in Österreich nicht. Das sagt auch die Polizei.
Was ist mit organisiertem Betteln? Diabl: Wenn die Bettler aus einem rumänischen Dorf anreisen, bilden sie natürlich Fahrgemeinschaften, geben sich Tipps, schauen, dass nicht alle zehn am Linzer Taubenmarkt sitzen. Die Organisierung immer automatisch mit kriminellen Handlungen in Verbindung zu bringen, ist eines der großen Missverständnisse in der Bettlerdebatte.
Was ist, wenn das erbettelte Geld einem Clanchef abgeliefert werden muss? Das ist doch nicht gut? Diabl: Da sind wir beim Mythos des guten, demütigen Bettlers. Das Bild stimmt nicht. Betteln ist immer schmutzig. Es behauptet kein Mensch, dass Bettler bessere Menschen sind.
Würde Oberösterreich bei der Abschaffung aller Verbote nicht von Bettlern überrannt? Diabl: Das Bettelverbot hat auch keine Auswirkung auf die Zahl der kommenden Armutsreisenden. Sie müssen länger und öfter betteln, weil ihnen ein Teil des erbettelten Geldes abgenommen wird oder sie Ersatzfreiheitsstrafen abbüßen müssen.
Also keine Obergrenzen für Bettler wie bei Flüchtlingen? Diabl: Grundrechte darf man weder bei Flüchtlingen noch bei Bettlern quantitativ einschränken.
Sie fordern andere Lösungsansätze im Umgang mit Bettlern. Wie sollen diese aussehen? Daibl: Die Fixierung auf Verbote verstellt den Blick auf andere Maßnahmen, die man eigentlich setzen sollte. Wir fordern die Bekämpfung der Armut und nicht die Bekämpfung der Armen. Es braucht flankierende soziale Maßnahmen, wie sie nach Verschärfung des Bettelverbotes im Jahr 2014, noch von der damaligen Soziallandesrätin Getraud Jahn, versprochen wurden. Es ist danach nie etwas passiert.
Wie kann man Bettlern helfen? Diabl: Eine der wichtigsten Maßnahmen wäre es, dass die Bettler Wohnmöglichkeiten bekommen und nicht, wie derzeit der Fall, in Abbruchhäusern oder Zelten schlafen müssen.
Meine Erfahrung in Linz ist: Die meisten Bettler sitzen sozusagen brav in der Straße in Linz. Aber nicht alle, es gibt durchaus auch aggressive Bettler In der Landstraße sitzen die klassischen stillen Bettler. Es gibt eine steigende Zahl von Bettlern, die in den Schanigärten oder am Bahnhof unterwegs sind, Leute ansprechen. Unter denen gibt es wiederum eine steigende Zahl, die das nicht nur dreist, sondern auch aggressiv machen. Das ist inakzeptabel. Da spielt übrigens auch die Flüchtlingsthematik mit rein.
Inwiefern? Die Willkommenskultur bekommen auch die anderen Notreisenden mit. Das führt vielfach zu Verständnislosigkeit, Zorn, weil sie anders behandelt werden als die Flüchtlinge. In der Hilfsszene denken viele, dass die Bettler im Gegensatz zu den Flüchtlingen keine „richtigen“ Armen sind. Diese Unterscheidung von Not hält jedoch einer näheren Betrachtung nicht stand.
Die Bettellobby bietet seit einem halben Jahr Beratung für die Bettler in Oberösterreich an? Was machen Sie konkret? Diabl: Die Rechtsberatung will zuerst einmal die Notreisenden über ihre Rechte und Pflichten in Österreich aufklären. Wir betreuen derzeit 50 Klienten, die bei uns um Hilfe angesucht haben. Manche Bettler haben bis zu 20 Strafmandate bekommen. Wenn sie sich gegen eine Strafe wehren wollen, helfen wir beim Ausfüllen der nötigen Formulare.
Konnten Sie schon erste Erfolge erzielen? Diabl: Meine Einschätzung ist, dass der Anteil der willkürlich ausgestellten Strafzettel gegen Bettler deutlich zurückgeht. Die Einsprüche beschäftigen Polizei und Stadtwache und haben die Hemmschwelle erhöht, die Bettler zu strafen.
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