Die Zeiten, in denen Lebensmittel einfach nur satt machen mussten, sind vorbei. Heute sind sie von der Foodindustrie mit Zusatznutzen ausgestattet: Jogurts machen schlank, Zuckerl enthalten die notwendigen Vitamine, Tees sorgen für gute Laune. Produkte mit Benefit stürmen die Regale.
Funktionelle Lebensmittel, meist englisch „functional food“ genannt, sollen also dem gestressten Menschen jenen Nutzen bringen, den er mit normaler Nahrung angeblich nicht bekommt und den er vermeintlich dringend braucht. Zusätze – mit ebenfalls englischen, oft sogar unaussprechlichen Namen – versprechen Balance, Wohlbefinden, eine gute Figur und ausreichend Schlaf. Ganz nebenbei werden die Abwehrkräfte gestärkt, der Cholesterinspiegel gesenkt und sogar das Krebsrisiko reduziert. Ärzte mit sonorer Stimme oder gut gelaunte Freundinnen geben verlockende Empfehlungen ab und berichten von ihren Erfahrungen. Wie kann man dazu noch „nein“ sagen?
Nahrung oder Medizin
Brot mit Omega-3-Fettsäuren, Jogurt mit probiotischen Kulturen, Margarine mit Phytosterinen, Fitnessdrinks mit ACE – immer mehr Produkte im Supermarkt präsentieren sich nicht als Lebensmittel, sondern als Gesund-, Jung- und Fitmacher. Herbert trank es und sein Immunsystem wurde gestärkt, Barbara isst es und gelangt so wieder in ihren Rhythmus. Trotz kritischer Stimmen boomt die Branche der Hersteller von funktionellen Lebensmitteln.
Falsches Signal
Die Flut an Werbeslogans, die besagt, dass man sich nur mit bestimmten angereicherten Nahrungsmitteln gesund ernähren kann, ist vor allem für Kinder und Jugendliche problematisch. Ihnen wird suggeriert, dass „normales“ Essen nicht ausreichend sei. Eine Vielzahl an Nahrungsergänzungsmitteln, die im Handel frei erhältlich sind, tun ein Übriges.
Es geht auch ohne
Der menschliche Körper benötigt Nährstoffe in Form von Kohlehydraten, Fetten und Eiweißen, Vitaminen und Mineralien. Sie alle sind in herkömmlichen Lebensmitteln enthalten. Ernährt man sich also ausgewogen, muss man keinerlei Mangelerscheinungen befürchten. Vielmehr ist es so, dass die Extraportionen Vitamine oder Mineralstoffe vom Körper gar nicht benötigt und wieder ausgeschieden werden.
Der tägliche Apfel
Streng genommen sind viele herkömmliche Nahrungsmittel eigentlich auch funktionell. Man denke dabei nur an die britische Lebensweisheit „An apple a day keeps the doctor away“. Und im Prinzip gibt es für jedes funktionelle Produkt eine natürliche, meist günstigere Alternative: Die Vitamine in Gemüse und Obst haben den gleichen Effekt wie die sogenannten ACE-Getränke, die mit den Vitaminen C, E, Beta-Carotin – und dazu auch mit viel Zucker versetzt sind. Sauerrahm, Sauerkraut oder naturbelassenes Jogurt wirken auf die Verdauung genauso wie probiotische Jogurts und andere Lebensmittel, die mit speziellen Bakterienstämmen angereichert werden. Regelmäßiger Genuss von Fisch und Salatmarinaden mit Raps- oder Sojaöl versorgen den Körper problemlos mit den nötigen Omega-3-Fettsäuren. Das Kaufverhalten geht trotzdem weiter zu schnellen, aber nährstoffarmen Fertiggerichten und einem „gesunden Ausgleich“ durch Lebensmittel mit Zusatzstoffen.