Der bedrängenden Situation der Christen im Nahen Osten – sie steht auch im Fokus der Weltgebetswoche für die Einheit der Christen (18. bis 25. Jänner) – widmet sich Christa Chorherr in ihrem neuen Buch. Sie sieht viele Ursachen dafür in der Geschichte begründet.
Ausgabe: 2014/04, Christen, Christenverfolgung, Chorherr, Islam
21.01.2014 - Interview: Susanne Huber
Im Schatten des Halbmonds. Christenverfolgung in islamischen Ländern, so heißt Ihr neuestes Werk. Warum dieses Thema? Christa Chorherr: Es herrscht in diesen Staaten ein anderes Glaubensverständnis als in Europa. Ich möchte aufzeigen, dass Menschen, die sich in muslimischen Ländern wie Afghanistan, Iran, Saudi-Arabien, Somalia, Malediven, Jemen, Irak, Usbekistan, Syrien, Ägypten oder Pakistan zu ihrer christlichen Religion bekennen, riskieren, verfolgt zu werden, ja getötet zu werden. Geschätzte 100 Millionen Menschen in über 50 Ländern werden derzeit bedrängt, diskriminiert und verfolgt, weil sie sich zum christlichen Glauben bekennen.
Sie gehen auch darauf ein, dass viele Gebiete, die heute islamisch sind, ursprünglich christliches Territorium waren ... Christa Chorherr: Die Ursprünge des Christentums liegen im Vorderen Orient. Die erste christliche Gemeinde um Paulus, Barnabas und Petrus hat sich in der St.-Petrus-Grotte in der Nähe der Stadt Antiochia, heute Antakya im Süden der Türkei an der Grenze zu Syrien, versammelt. Christlicher Glaube wurde von den Aposteln und ihren Nachfolgern im Nahen und Mittleren Osten und bis nach China und Nordafrika verbreitet. Zu Beginn des 7. Jahrhunderts war der größte Teil des Orients und Nordafrikas christianisiert. Alte Kirchen z. B. in Tunesien zeugen davon. Mit der Mailänder Vereinbarung 313 gewährte Kaiser Konstantin Religionsfreiheit und machte das Christentum zur wichtigsten Religion im Römischen Reich. Dass sich dann die Kirchen gespalten, gegeneinander intrigiert, gekämpft und sich den Feinden angeschlossen haben ist eine traurige Geschichte. All das hat es den Muslimen leichter gemacht, in den 30er Jahren des 7. Jahrhunderts aufzubrechen, um ein islamisches Reich zu gründen.
Wann haben die Diskriminierungen gegenüber nichtislamischen Minderheiten begonnen? Christa Chorherr: Da muss ich ausholen. Die Entstehung des Koran, der heiligen Schrift des Islam, ist über eine längere Periode erfolgt – von 610 bis 632. In den ersten Suren, die der Prophet Mohammed verfasst hatte, als er in Mekka lebte, werden Juden und Christen noch wertgeschätzt. Als Mohammed 622 nach Medina auswanderte, war er dort nicht mehr nur Religionsstifter, sondern auch Feldherr und Oberhaupt der neuen muslimischen Gemeinde Medinas. Die Suren, die dort entstanden sind, waren weitaus kritischer Juden und Christen gegenüber als jene von Mekka.
Welche Auswirkungen hatte das? Christa Chorherr: Sie wurden zu Bürgern zweiter Klasse, durften ihren Glauben zwar behalten, mussten aber eine Steuer entrichten; ihre Ländereien, Dörfer und Häuser wurden beschlagnahmt; gläubigen Muslimen wurde empfohlen, den Umgang mit Juden und Christen zu vermeiden. Verträge wurden ausgehandelt, in denen die Christen ihre Unterwerfung unterschrieben haben. Diese Verträge zielten darauf ab, die christliche Religion zum Verschwinden zu bringen. Um all den Benachteiligungen zu entkommen, sind viele Christen zum Islam konvertiert. Als Mohammed 632 starb, hatte er fast die gesamte Arabische Halbinsel islamisiert.
Sie schreiben, die eigentliche Verfolgung und Vertreibung von Christen in islamischen Ländern hat im Ersten Weltkrieg begonnen ... Christa Chorherr: Es hat zwar immer kleinere Vertreibungen von Christen gegeben, aber die großen Verfolgungen haben meines Erachtens im Ersten Weltkrieg begonnen. Das damalige sterbende Osmanische Reich, das nach dem Ersten Weltkrieg zerfallen ist, hat 1915/1916 die Armenier, das älteste christliche Volk, aus der Türkei vertrieben – das ist vielen bekannt durch Franz Werfels Roman „Die 40 Tage des Musa Dagh“. Von Seiten der Großmächte ist damals wenig bis gar nichts geschehen zum Schutz der Christen.
Sie hatten andere Ziele ... Christa Chorherr: Engländer und Franzosen wollten ihre Kolonien retten und ihre Einflussgebiete ausdehnen. Der Weg nach Indien und der Weg zum Öl war wichtiger als die Interessen der kleinen Völker. Die Türkei war also ein wichtiger Partner, die Großmächte sahen in dem Land großes Potential für die Zukunft und niemand stoppte die Türken, als es um 1922/1923 erneut zu Vertreibungen und Zwangsumsiedlungen von Christen und nichttürkischen Ethnien kam. Hintergrund war ein unerhörter Türkisierungsschub. Im Osmanischen Reich sollten nur mehr Türken, nur mehr Muslime leben. So wurden z. B. die syrischen Christen aus der Pontus-Region vertrieben, wo sie seit römischer Zeit gelebt haben; und es wurden griechisch-orthodoxe Christen aus dem Gebiet um Izmir vertrieben. Das hatte zur Folge, dass fast das gesamte Christentum aus Kleinasien verschwand. Die Türkei, Nachfolgestaat des Osmanischen Reichs, hat bis heute nicht die Verantwortung für diese Gräueltaten übernommen.
Wo liegen die Ursachen für die Feindschaft gegenüber Christen? Christa Chorherr: Meines Erachtens ist auch das historisch bedingt. Es begann mit der Expedition Napoleons nach Ägypten und dem Einfluss des Westens in den arabischen Ländern. Schon vorher, aber verstärkt in dieser Zeit sind christliche Missionare in die islamischen Gebiete gekommen, die zwar dort ein nicht sehr glückliches Schicksal hatten, aber trotzdem mit viel Ausdauer, Mühen und Geld soziale Institutionen wie Schulen und Krankenhäuser aufgebaut haben. Sie legten Wert auf Bildung und waren den Muslimen auch auf anderen Gebieten wie der Technik und einer funktionierenden Verwaltung überlegen.
Und das schürte Feindschaft und Hass ... Christa Chorherr: Das war demütigend und die Muslime stellten sich die Frage, die in der Geschichte schon mehrmals gestellt wurde: Wieso lässt Allah das zu? Daraus wurde dann gefolgert – ich vereinfache – weil man sich vom Ur-Islam abgekehrt hatte. Also will man zurück zum Ur-Islam – zu einer extrem stark fundamentalistischen, islamistischen Strömung. Dazu gehören die Wahabiten, die Salafisten, die Muslimbrüder. Als Ursprung allen Übels sah man die Modernisierung der islamischen Welt nach westlichem bzw. christlichem Muster – keine Kopftücher, keine Schleier, westliches Gedankengut. Vermehrt kam auch die Frage, wie kommt der Westen dazu, sich in Belange islamischer Staaten einzumischen. Beispiele dafür sind der Irak- und der Afghanistankrieg. So staute sich ein Hass gegen den Westen auf und man hat die Christen als „fünfte Kolonne des Westens“ betrachtet.
Es werden aber nicht nur Christen verfolgt, sondern auch liberale Muslime ... Christa Chorherr: Ja natürlich. Dazu kommt auch der uralte Kampf Schiiten gegen Sunniten. Verfolgt wird immer der jeweils andere, der nicht der je eigenen radikalen islamistischen Strömung angehört.
Buchtipp: „Im Schatten des Halbmonds. Christenverfolgung in islamischen Ländern“, von Christa Chorherr. Styria Verlag 2013. Euro 24,99.
Zur Sache
Gewalt gegen Christen nimmt zu
Nach einer Erhebung des Hilfswerks „Open Doors“ gewinnt die Verfolgung von Christen in immer mehr Ländern, aber vor allem in Afrika, an Intensität. Die Spitzenposition auf der Länderliste, in denen Christen verfolgt werden, belegt seit zwölf Jahren allerdings Nordkorea, wie aus dem kürzlich veröffentlichten Weltverfolgungsindex (WVI) 2014 der Organisation hervorgeht. Hauptursache für die Verfolgung ist laut „Open Doors“ der „islamische Extremismus“ – in 36 der 50 im Index angeführten Staaten steht dieser hinter der Gewalt und Unterdrückung.
Neben Vorfällen von Gewalt sind für den WVI auch Bedingungen ausschlaggebend, die zur Verfolgung führen. Für den maßgeblichen Zeitraum von 1. November 2012 bis 31. Oktober 2013 hat der WVI so die größte Unterdrückung von Christen in Nordkorea, Afghanistan, den Malediven, Somalia und Saudi-Arabien festgestellt. Sehr schlimm sei die Situation auch in der Zentralafrikanischen Republik, in Syrien, Pakistan, Ägypten und im Irak.
Den größten Zuwachs an Gewalt gegen Christen hat die Organisation in den Ländern der Sahel-Zone wahrgenommen, wobei Somalia am stärksten betroffen sei. In vielen Landesteilen würden verschiedene muslimische Clans herrschen, die „Christen nicht dulden“, eine „radikale Form“ der Scharia durchsetzen und Konvertiten aus dem Islam „gnadenlos verfolgen und ermorden“. Die Kirche existiere „nur im Untergrund“. „Radikal verändert“ habe sich die Verfolgung auch in Syrien – von den Repressionen des totalitären Vorkriegs-Regimes hin zur offenen Gewalt durch islamistische Gruppierungen. Ins Land strömende und von „islamischen Staaten finanzierte Dschihadisten“ hätten christliche Städte wie Homs und Aleppo wie ausgestorben zurückgelassen.
Infos:www.opendoors.de