Eltern und Lehrer erleben täglich, dass die autoritäre Erziehung ausgedient hat und die antiautoritäre keine Alternative ist. Was bleibt, ist die Überforderung. Der Psychologe Haim Omer zeigt in einem weltweit beachteten Konzept einen Weg aus der Sackgasse.
Die alte Autorität gründete auf Distanz. Zwischen Eltern und Kinder gab es einen Abstand, ein Oben und Unten, das es ermöglichte das Verhalten der Kinder zu kontrollieren. Eine gelungene Erziehung wurde im Gehorsam sichtbar. Diese Idee von Erziehung wird gesellschaftlich nicht mehr getragen und funktioniert daher nicht mehr. Aus der Distanz muss Präsenz werden, erklärt Omer: „Die Präsenz ist die wichtigste Quelle der neuen Autorität, wenn sie wachsame Sorge ist.“ Wachsame Sorge gibt Raum zum Experimentieren und greift ein, wenn Notwendigkeit besteht. Das Kind erfährt, dass die Eltern da sind und bei ihm bleiben – ob es dem Kind nun angenehm ist oder nicht. So lassen sich zum Beispiel die Eltern, wenn es um wichtige Fragen geht, nicht von ihrem Kind aus dem Zimmer weisen. Sie bleiben präsent aus Verantwortung, um Probleme zu klären. Omer hat dafür das Instrument des „Sit-ins“, des Sitzstreiks der Eltern entwickelt.
Calcium für das Rückgrat
Die neue Autorität gesteht sich ein, dass sie ein Kind nicht kontrollieren kann, nicht die Gedanken, die Gefühle noch die Handlungen. „Wir als Eltern können uns aber selbst kontrollieren“, so Omer. Die Selbstkontrolle besteht darin, dass Eltern ihren Pflichten nachkommen. Was Eltern am Verhalten ihrer Kinder nicht dulden können, bringen sie beharrlich, entschlossen und respektvoll zur Sprache – das ist Pflicht der Eltern. Omer hat aber auch keine Angst von den Pflichten der Kinder zu sprechen: „Die Erfahrung, dass es keine Alternative gibt, dass dieses und jenes Pflicht ist, ist wie Calcium für das Rückgrat der Kinder. Das lässt sie aufrecht gehen und ihr Selbstbewusstsein wachsen.“ Die alte Autorität war in einer vorgegebenen Hierarchie verankert, war niemandem Rechenschaft schuldig und immun gegen Kritik. Heute ist die Autorität in kein Gesamtgefüge mehr eingeordnet. Eltern und Lehrer agieren deshalb als „Einzelkämpfer“ und fühlen sich isoliert. Omer rät konkret das Ping Pong Spiel zwischen Eltern und Lehrern zu beenden und aufzuhören sich gegenseitig Schuld zuzuschieben, wenn Kinder schwierig sind. Er plädiert für Eltern-Lehrer-Bündnisse. Seine Erfahrung zeigt die enorme Wirkung dieser Verbundenheit. Resümierend sagt Omer: „Unsere Herausforderung besteht darin, eine Autorität zu entwickeln, die zu den Werten unserer freien Gesellschaft passt.“
Zur Sache
Das Eisen kalt schmieden
„Und bist du nicht willig, so brauch ich ... Geduld“ – mehr als 700 Lehrer/innen hatten sich zu einem Studientag mit diesem Thema an der Pädagogischen Hochschule der Diözese (PH) für 28. November angemeldet. Der Umgang mit schwierigen Schüler/innen brennt den Lehrkräften unter den Nägeln. Das traditionelle Konzept, wo Autorität gleichbedeutend mit Dominanz und erzwungenem Gehorsam war, hat zu Recht ausgededient, doch sind Lehrer/innen zunehmend mehr mit Aggression und Verweigerung in der Klasse konfrontiert. Der Psychologe Haim Omer hat als Antwort auf die bedrängende Situation das Konzept der Neuen Autorität entwickelt. Das Beratungszentrum an der PH und das Institut für Neue Autorität beraten in diesem Sinn seit drei Jahren Lehrer/innen – 100 oö. Schulen haben sie erreicht. Das Konzept ist erstaunlich einfach, entsprechend groß ist der Erfolg. Eine Handlungsanweisung besteht im Ausstieg aus der Alternative „Sieg oder Niederlage“: „Nicht besiegen, sondern beharren und dranbleiben.“ Die Stärke und Geduld aufbringen, den Konflikt abkühlen zu lassen, empfiehlt Haim Omer: „Schmiede das Eisen, wenn es kalt ist.“