Leitartikel von Matthäus Fellinger zur Amokfahrt in Graz.
Ausgabe: 2015/26, Fellinger, Leitartikel, Gott
23.06.2015 - Matthäus Fellinger
„Gott ist ein gerechter Richter, der das Gute belohnt und das Böse bestraft.“ So lautete die zweite der sechs „christlichen Grundwahrheiten“, die Kinder einst auswendig lernen mussten. Versuche, das Verständnis von Gott auf einfache Formeln zu bringen, sind problematisch, doch eine tiefe Erfahrung steckt hinter dieser Formulierung: Das mit dem Richten, das überlassen wir Menschen besser Gott, denn im Umgang mit dem Bösen stoßen Menschen an ihre Grenzen. Das so traurige Ereignis von Graz, das am Samstag drei Menschen das Leben kostete und viele verletzt an Leib und Seele zurückließ, ist nicht gutzumachen. Kein Richter könnte es. Wo Leben verletzt wird, liegt die eigentliche Richtergewalt bei dem, von dem das Leben kommt. Strafen oder freisprechen, Strenge oder Milde: immer bleibt ein Mangel im menschlichen Urteil, so notwendig dieses für ein Weiterleben auch ist. Gott ist der Richter. Das ist eine gute Botschaft, damit Menschen nicht an den Versuchungen zur Rache einerseits und an der Verharmlosung des Bösen anderseits scheitern. Es gibt einen. Sein Richten ist ein Heilen, für Opfer und wohl auch für Täter – sodass auch an den Orten der Tränen neu die Freude einkehren kann.