Auf unerhört provokante Weise spricht Jesus zu seinen Zuhörern. Alle werden sagen müssen: das darf doch nicht wahr sein! Sie werden sich nur entscheiden können zwischen Ablehnung oder Begeisterung. Das Gleichnis, das er dazu verwendet, hat drei Teile: Im ersten Teil steht der jüngere Sohn im Mittelpunkt. Ein Jugendlicher, der alles vom Leben haben will: Abenteuer, Feste, Sex und Rausch. Ein klassischer Vertreter der Konsumgesellschaft, der sagt: alles will ich haben, und zwar gleich! Am Ende der rauschenden Festwochen, bei der Erkenntnis „Ich steh an der Bar und ich hab’ kein Geld“, als er nicht nur Schweine hütet, sondern sich selber schon wie ein solches vorkommt, denkt er an seinen einzigen Reichtum: seinen Vater! Du bist wieder da!Im zweiten Teil ist der Vater der Hauptdarsteller. Und überhaupt dreht sich die ganze Rede Jesu um ihn. Der hier gezeigte Vater zeigt sein väterliches und mütterliches Wesen, er schämt sich seiner Gefühle nicht. Für orientalische Menschen fast undenkbar, daß ein Familienvorsteher, ein Patriarch, zu laufen beginnt; ein Mann ging höchstens ein wenig schneller, wenn’s pressierte. Als der schuldiggewordene junge Mann heimkommt, schlägt, die mütterliche, emotionale Seite des Vaters durch. Sein väterliches, sachliches Denken hätte verlangt zu fragen: Wo warst du so lange? Wo ist das Geld? . . . Keine Fragen, keine Anklagen. Der schmutzige Kerl wird umarmt und geküßt, trotz seines Gestanks. Das neue Kleid ist ein Zeichen seiner unveränderten Würde als Sohn. Der Siegelring gab ihm wieder alle Vollmacht (ab sofort konnte er wieder Geld bei der Bank abheben). Sklaven gingen barfuß, er aber bekommt Schuhe für die Füße und wird wieder als Sohn und Erbe eingesetzt. So ist Gott, sagt Jesus den mit offenem Mund dastehenden Zuhörern. Vergeßt alle Gottesbilder, die ihr euch bisher gemacht habt. Dies ist das einzige, authentische Got-tesbild, das nicht verdunkelt oder verzerrt werden darf gemäß dem ersten Gebot „Du sollst dir kein falsches Bild von Gott machen“ (Ex 20, 4). Denn er, der am Herzen des Vaters ruht, hat uns Kunde gebracht (vgl. Joh 1, 17). Im dritten Teil werden die Menschen betrachtet, die sich als gerecht und anständig bezeichnen und dabei leicht andere gnadenlos be- oder verurteilen. Der ältere Sohn hat nichts Unrechtes getan, nicht seine Rechte als Sohn hat er genutzt. Er hatte offenbar auch keine Beziehung zu seinem Vater. Und der ältere Sohn vermiest das Fest. Harte Menschen sind eigentlich verlorene Söhne und Töchter. „Dein Bruder war tot“ kann heißen, du bist noch immer tot, wenn du nicht vergeben kannst. Die andere GerechtigkeitDer ältere Sohn hält den Vater für ungerecht. Gottes Gerechtigkeit wird vermutlich um vielfaches anders sein, als wir es gewohnt sind. Gott richtet nicht im Sinne von Strafen, sondern von aufrichten und ausrichten, was krumm und verbogen war. Dieses Gleichnis ist auch der selige Ausblick auf unser irdisches Ende: An der Schwelle steht der Vater, der uns Heimkehrenden entgegenläuft, umarmt, küßt und ein Fest veranstalten läßt.