24.09.1998 - Kirchenzeitung der Diözese Linz, Franz Benezeder
Die Vorstellungen über Homosexualität in Kirche und Gesellschaft beruhen auf viel Unkenntnis. Die Aussagen der Bibel über homosexuelle Handlungen helfen da auch nicht viel weiter.Die wenigen Stellen, die Aussagen über homosexuelle Praktiken machen, verurteilen diese eindeutig. Bei der Bewertung dieser Aussagen ist aber Sorgfalt geboten. Es ist zu fragen, in welchem Textzusammenhang sie stehen und welchen kulturellen Hintergrund sie haben. Interessant ist, daß in der Bibel nichts über die Homosexualität der Frau zu finden ist, was vielleicht mit der Geringschätzung der Frau und ihrer Sexualität zu tun hat. Wir finden im Alten Testament einige Hinweise auf kultische (Tempel-)Prostitution nicht nur von Frauen, sondern auch von Männern, von der sich die Bibel scharf abgrenzt (1 Kön 14, 24). Nicht ganz sicher ist der kultische Bezug in Lev 20, 13, wo es im Rahmen von verbotenen sexuellen Praktiken heißt: „Schläft einer mit einem Mann, wie man mit einer Frau schläft, dann haben sie eine Greueltat begangen; beide werden mit dem Tod bestraft.“ Das Heiligkeitsgesetz im Buch Levitikus kennt zahlreiche Verbote und Gebote. Die meisten dieser Moral-, Reinheits-, Opfer- und Kultgebote sind für uns nicht mehr verbindlich, da sie für ein gelingendes Zusammenleben der Menschen nicht mehr von Bedeutung sind. Der Grundsatz des Heiligkeitsgesetzes „Seid heilig, denn ich, der Herr, euer Gott, bin heilig.“(Lev 19, 2) gilt weiter.Diese Heiligkeit äußert sich in scharfer Abgrenzung von den Praktiken der Umwelt, die offensichtlich homosexuelle Handlungen kannte. Das Verhalten der Umwelt gilt als heidnisches Verhalten und wird als solches abgelehnt. Ein Kriterium für die Ablehnung war sicher auch, daß Sexualität in einer Gesellschaft, für die Nachkommenschaft Überleben bedeutete, der Fortpflanzung diente. In anderen Bibelstellen, die sich auf homosexuelle Handlungen beziehen, geht es meist um heterosexuelle Männer, die durch homosexuelle Handlungen andere Männer erniedrigen wollen (Gen 19, 4-11), oder die homosexuelle Ersatzbefriedigung suchen, indem sie männliche Prostituierte kaufen (vgl. die paulinischen Lasterkataloge in 1 Kor 6,9; Röm 1,18-28 stellt homosexuelle Handlungen von Heterosexuellen als Folge der Abkehr von Gott dar). In der Bibel wird vieles angesprochen, was uns heute mehr oder weniger fremd ist, sicher ist aber, daß in keinem Fall gleichgeschlechtliche Partnerschaft und Liebe angesprochen ist. Gleichgeschlechtliche Orientierung als Veranlagung, wie sie heute wissenschaftlich weitgehend unbestritten ist, ist für die Bibel kein Thema. Homosexuelle Veranlagung bedeutet, daß die betroffenen Menschen diese nicht frei gewählt haben und sich auch nicht aus freien Stücken davon distanzieren können.Wie zu vielen anderen Fragen der Gegenwart läßt uns die Bibel auch hier mit konkreten Handlungsanweisungen im Stich. Sie gibt aber mit verschiedenen Aussagen richtungsweisend zu denken: i Die homosexuelle Veranlagung gehört zum Geschöpfsein der Betroffenen und macht ihr Wesen aus. Sie als widernatürlich, pervers und krankhaft zu bezeichnen bedeutet eine tiefe Verletzung der betroffenen Menschen und macht ihnen das Leben schwer. Homosexuell orientierte Menschen sind nicht weniger Geschöpfe Gottes und nicht weniger geliebt von Gott. Die Ächtung von Homosexualität zwingt viele zur Verleugnung ihres wahren Wesens. Ihre massiven Ängste führen zu einem starken Leidensdruck, der bis zum Selbstmord führen kann. Und das, obwohl die biblische Botschaft ein Evangelium vom Leben in Fülle verkündet!i Verachtung von Homosexualität läßt sich nicht mit dem Geist des Evangeliums Jesu Christi vereinbaren. Maßstab für die Bewertung von gleichgeschlechtlicher Orientierung kann nur das Liebesgebot der Bibel sein, die befreiende und bejahende Liebe Gottes, wie sie uns in Jesu Handeln konkret begegnet. i Jesus schenkt den Menschen vorurteilsfrei Zuwendung, er stellt sich eindeutig auf die Seite der Ausgegrenzten. Die Achtung, die er ihnen entgegenbrachte, hat den Menschen geholfen, ihre Selbstzweifel abzulegen und ihre Würde vor Gott zu erkennen. Die Kirche ist im Sinne Jesu gefordert, sich von den – oft leidvollen – Lebenssituationen der homosexuellen Menschen betreffen zu lassen und die Erkenntnisse der Humanwissenschaften und der Anthropologie in die Bewertung der Homosexualität einzubeziehen. Eine Kirche, die sich dem Evangelium verpflichtet weiß, ist gerufen, gegen jegliche Diskriminierung aufzutreten und den Menschen zu ihrer Selbstannahme Hilfe zu geben; denn nur so kann sie ihnen wirklich Heimat sein.