Als die Laien das Haupt erhoben - die Spuren der Waldenser
Ausgabe: 1998/40, Waldenser
29.09.1998 - Matthäus Fellinger
Sie waren Laien und sie predigten die Bibel in der Volkssprache. Viele mußten es mit dem Leben bezahlen: Die Waldenser.„Wir Waldenser freuen uns, ihre Ketzer zu sein“, meint Paolo Ricca. Der Waldenser-Professor aus Rom eröffnete am Donnerstag, 24. September im Museum Industrielle Arbeitswelt in Steyr eine dreitägige Tagung, in deren Mittelpunkt die Geschichte der Waldenser stand. Sie waren Laien und sie wollten leben wie die Apostel. So zogen sie ab dem 11. Jahrhundert als Wanderprediger von Lyon im heutigen Frankreich aus durch die Lande. Vom Atlantik bis nach Polen gab es Waldenser. Auch Frauen predigten„Der Laie, der bisher Objekt einer klerikalen Kirche war, begann sein Haupt zu erheben und das Wort zu ergreifen“, meint Paolo Ricca. Auch Frauen konnten bei den Waldensern in den ersten hundert Jahren predigen. Auf eine bischöfliche Predigterlaubnis legten die Waldenser dabei keinen Wert, sie predigten auch nicht in Kirchenräumen, sondern draußen auf den Straßen. In der Anfangszeit hätten die Waldenser ihre Mission durchaus innerhalb der damaligen Kirche gelebt. Der Gründer Petrus Waldes hatte zunächst das Wohlwollen oder zumindest die Duldung des Bischofs von Lyon, betonte der Berliner Historiker Kurt-Victor Selge. Später kam es zum Bruch, Waldes widersetzte sich einem Predigtverbot und wurde exkommuniziert, was auf seine Anhänger freilich nur wenig Eindruck machte. Die „Armen von Lyon“, wie sie auch genannt wurden, wurden mit den Jahrzehnten dennoch aus der Kirche hinausgedrängt, sie wurden, so Selge, zu „Ketzern wider Willen“. Als innerkirchliche Armutsbewegung konnten sich hingegen die franziskanischen Minoriten etablieren. Peter Segl, Historiker in Bayreuth, hat die Geschichte der Waldenser in Österreich erforscht. Hier gab es eine ganze Reihe von Niederlassungen, vor allem im Raum Steyr. Das Bummerlhaus am Stadtplatz war einst eine Waldenserschule. Tod am ScheiterhaufenIn Österreich wurden freilich am Ende des 14. Jahrhunderts die Waldenser mit besonderer Härte verfolgt. Im Stift Gleink hatte der Cölestinermönch Petrus Zwicker als Inquisitor sein „Hauptquartier“ genommen. Zahlreiche Waldenser wurden von ihm wegen Ketzerei zum Tod verurteilt und dem weltlichen Gericht übergeben. Die Ketzer wurden auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Bewegende Zeugnisse über die Glaubenstreue dieser Menschen sind überliefert.Paola Ricca verweist auf die zentrale Stellung, die die Bibel für Glauben und Leben der Waldenser gehabt hat. Der Gründer Valdes hat die Bibel in die Volkssprache übersetzen lassen. Erstmals haben die Waldenser auch die Gewissensfreiheit betont. Die Waldenser, so Kurt-Victor Selge, könnten zu einem „Rückbau von Traditionswucherungen kirchlicher Frömmigkeit“ beitragen. Im 12. Jahrhundert hätte die Kirche diese Erneuerungschance nicht genutzt. Heute wäre sie auf der Suche danach.