Stellungnahme von Prof. Singer zum Artikel von Prof. Haag
Ausgabe: 1998/43, Haag, Singer
20.10.1998 - Kirchenzeitung der Diözese Linz
In der Linzer Kirchenzeitung vom 1. Oktober äußert Prof. Herbert Haag (geb.1915) die Meinung, Christus habe keine Kirche gegründet. Die Äußerung hat zurecht Kritik provoziert. Es ist genauer zuzusehen.Jesus von Nazaret brauchte keine Kirche von Grund auf zu stiften, weil schon eine da war: Israel, das heilige Volk Gottes (Ex 19,6), durch einen Bund seinem Gott gehörig. In dieses Volk wurde Jesus hineingeboren, in ihm lebte er und starb er. Sein Wirken bestand nicht darin, es aufzulösen, wie man einen Verein auflöst, oder ohne Bindung an Israel eine neue Religion zu gründen, sondern es in seiner äußeren und inneren Zerrissenheit neu zu sammeln, es nicht weniger, sondern noch radikaler zum Volk Gottes zu machen. Der „geliebte Sohn“ bot seinem Volk diese zukunftsträchtige Segensherrschaft Gottes an und realisierte sie in Wort und Tat.Das Angebot wird mit der Ausstoßung Jesu aus seinem Volk nicht zurückgenommen, sondern kommt jetzt allen Völkern zugute. Der österliche Christus sammelt durch seinen pfingstlichen Geist noch dichter das Volk Gottes als seinen Leib und als Tempel des Heiligen Geistes. Der alte Ölbaum hat neue Zweige (Röm 11, 13-24). Die Heiligen Schriften des ersten Israel mit den Psalmen als Gebetbuch sind auch die der Kirche. Die hl. Edith Stein nimmt Abschied von ihrer jüdischen Mutter, nicht aber von Israel. Die geschenkte und gelebte Gemeinschaft mit Gott und untereinander ist der nämliche unwandelbare Kern der Kirche des Alten und Neuen Bundes. Ein Messias ohne messianisches Volk ist ein Unding.Wie das Sein Jahwes ist auch das Sein Jesu ohne Mitsein anderer undenkbar; indem Jesus Freunde um sich sammelt, will er Kirche. Und dies nicht nur am Anfang. Ein Hochgebet läßt uns zu Gott beten:„Gepriesen sei dein Sohn, der immer mit uns auf dem Weg ist und uns um sich versammelt zum Mahl der Liebe.” „Alle Tage bis zum Ende der Welt“ ist Jesus Christus bei der Gemeinschaft seiner Taufenden und Getauften (Mt 28,16-20).Gleiche Würde aller GläubigenEine weitere Meinung Haags stieß zurecht auf Kritik: Die Kirche sei eine Zwei-Stände-Kirche geworden; dies durch Ämter, die von der Kirche und nicht von Christus stammen. Wiederum ist genauer zuzusehen. Daß es in der Kirche Christen erster und zweiter Klasse gebe, wurde vom Konzil, biblisch gut beraten, eindeutig zurückgewiesen. Das Konzil scheint in Theorie und Praxis zunehmend das „unbekannte Wesen“ zu werden. Die Kirchenkonstitution sagt, daß in der Kirche aufgrund der einen Wiedergeburt in Christus eine wahre Gleichheit waltet, was die Würde und die allen Gläubigen gemeinsame Tätigkeit im Aufbau des Leibes Christi betrifft (Art.32). Das wichtigste und darum höchste Sakrament in der Kirche ist nicht das sechste, sondern das erste.Die biblisch bezeugte Handauflegung stellt einen Getauften nicht über das gemeinsame Priestertum der anderen, sondern macht ihn zu dessen Diener. Der Inhaber des Petrusamtes nennt sich „Diener der Diener Gottes“. „Für euch bin ich Bischof, mit euch bin ich Christ“, sagt Augustinus. Die Kirche ist von der Eucharistie her, ihrem ständigem Quellort, eine Tischgemeinschaft. Ihr ist, bildlich gesprochen, von den Tischdienern der Tisch zu decken: der Tisch des Wortes und des Brotes, um zu einem Glauben zu befähigen, der als Agape ins Werk gesetzt wird (Gal 5,6). Das „unauslöschliche Merkmal“ macht nicht zu einem Christen erster Klasse und die anderen zu Christen zweiter Klasse; es will sagen, daß der Herr in seiner Treue die Bestimmung zu solchem Dienst nie mehr zurücknimmt. Ein Bundespräsident ist deswegen, weil er Bundespräsident ist, noch kein besserer Österreicher.Christus schuf das „Amt der Zwölf“Es stimmt nicht, daß es die Kirche ist, die alle Ämter geschaffen hat. Das von Jesus Christus selbst ihr eingestiftete Amt ist das Amt der Zwölf. Sie haben sich nicht selbst nach ihrem eigenen Belieben beauftragt. Vielmehr ist es Jesus, der die Zwölf, die er selber wollte, „schuf“ (Mk 3,13f). Diese Sendung ist das Quellamt vielgestaltiger Teilhabe „bis zum Ende der Welt“. Deren Ausfaltung in drei Stufen durch Handauflegung (Episkopat, Presbyterat, Diakonat) geschah in jenem für alle Zukunft maßgeblichem Stadium der Kirche, in der inspiriert die Heiligen Schriften des neuen Testamentes verfaßt wurden. Die Kirche hat über diese Grundstruktur keine Verfügungsmacht. Sie kann sie als Geschenk nur annehmen.Zur SacheMit Bedauern mußten wir zur Kenntnis nehmen, daß Prof. Herbert Haags Thesen, die wir im Vorfeld einer Vortragsreihe in der Kirchenzeitung veröffentlicht hatten, viele Irritationen ausgelöst haben. Sie waren als Diskussionsbeitrag gemeint. Bischofsvikar Prof. Dr. Johannes Singer hat sich bereit erklärt, die anstehenden Fragen – hat Jesus die Kirche gründen wollen und gehen die kirchlichen Ämter auf Jesus zurück – im nebenstehenden Beitrag zu beleuchten. Prof. Haags Thesen sind übrigens auch in seiner Schweizer Heimat nicht unwidersprochen geblieben. So hat sein Bischof Dr. Kurt Koch gemeint, die Kirche hätte zwar vom Neuen Testament her eine größere Freiheit in der konkreten Ausgestaltung ihrer Ämter. „Aber wenn, wie Haag es will, die gesamte Ämterstruktur der Kirche ins völlige Belieben der jeweiligen Zeit und der entsprechenden Gemeindebedürfnisse gestellt und damit jede Beziehung der heutigen Ämter zu den apostolischen Ursprüngen der Kirche abgeschnitten wird: Wie soll dann das Amt heute seine Hauptaufgabe, für die Treue zum Evangelium und zum apostolischen Ursprung der Kirche zu bürgen, überhaupt noch wahrnehmen können?“ Redaktion