Wenn NS-Geschichte auf einmal mit meiner Familie zu tun hätte
Projekttage in Theresienstadt
Ausgabe: 1998/45, Theresienstadt
03.11.1998 - Kirchenzeitung der Diözese Linz
Mag. Angelika Schmid besuchte mit ihrer Schulklasse das ehemalige Ghetto Tehresienstadt.Was war Ihre Motivation, diese Gedenkstättenfahrt mit ihrer Klasse zu organisieren?Es war mir ein großes Anliegen, die Thematik „Holocaust“ nicht nur im Unterricht zu behandeln, sondern auch einen authentischen Ort zu besuchen. Im Rahmen des Religionsunterrichts habe ich versucht, den Schülern die wichtigsten Informationen über Judentum mitzugeben. Mit dem Holocaust haben wir uns vor allem anhand verschiedener Texte beschäftigt. Bei der Vorbereitung ging es mir um die Vermittlung von Fakten.Wie waren die Reaktionen?Unfaßbarkeit, Betroffenheit, Fragen wie etwa: Warum haben sich die Leute nicht gewehrt?, Warum war das überhaupt möglich? Angst, aber auch Neugier. Eine intensivere Diskussion war mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht so wichtig. Ich wollte den Schülern einfach Zeit lassen zum Erfassen der Texte, zum Verdauen und auch zum Akzeptieren.Zeit lassen zum Akzeptieren. – meinen Sie damit das Akzeptieren des Holocausts als Teil österreichischer Geschichte?Ich glaube vor der Gedenkstättenfahrt sahen sie den Holocaust eher als deutsches Phänomen. Auch in der Vorbereitung war die österreichische Rolle beim Holocaust kein Thema für die Schüler. Als wir Texte von der Reichskristallnacht in Innsbruck und in Ehrwald lasen – erstere war übrigens eine der brutalsten im Deutschen Reich – konnten die Schüler das ganz schwer akzeptieren.Das heißt, die Schüler beschäftigen sich mit dem Holocaust, haben aber Probleme, dieses Kapitel der Geschichte auf Österreich zu beziehen?Genau. Sie lassen sich Informationen geben, solange diese abstrakt bleiben. Es fällt ihnen irrsinnig schwer zu sehen, daß es mit der eigenen Familiengeschichte zusammenhängen könnte bzw. daß Vernichtung von Menschen so leicht machbar ist in der . . . ich möchte jetzt absichtlich sagen „Heimat“. Manche Schüler wollten es genau wissen und haben angefangen, nachzuforschen. Sie haben Ihre Großeltern und Eltern gefragt. Die meisten Antworten lauteten: „Do wisse mir nix“. Wie würden Sie die Zeit mit den Schülern in Theresienstadt beurteilen? Es war eine angenehme Atmosphäre, großes Interesse der Schüler, ein interessantes Programm und ausgezeichnete Betreuung.Aber ich habe mich sowohl im Vorfeld als auch in Theresienstadt gefragt, ob ich die Verantwortung übernehmen kann, die Schüler damit zu konfrontieren. Haben sie die Kraft damit umzugehen? Wir haben in nächtelangen Gesprächen versucht, das Gehörte und Gesehene aufzuarbeiten. Welche Erwartungen hatten Sie an die Gedenkstättenfahrt?Die Schüler sind sensibler, was Vergangenheit und gegenwärtige Strömungen betrifft. Das aktuelle politische Geschehen, Stammtischgespräche oder ausländerfeindliche Bemerkungen werden nicht mehr so leicht kommentarlos entgegengenommen. Mit dem Besuch der Gedenkstätte Theresienstadt bin ich diesem Ziel einen Schritt näher gekommen.Interview: Andrä Stigger/brInformationen zu Gedenkstättenfahrten erhalten Sie bei Verein Gedenkdienst, Treitlstr. 3, 1040 Wien,Tel. 01/581 04 90, oder Pamatnik Terezín, Jugendbegegnungsstätte z. Hd. René Wintereder, CZ-411 55 Terezín, Tel. 00420/416/78 21 42.