Für viele Österreicher ist die Caritas eine Organisation, die sie schätzen und in die sie großes Vertrauen haben. Dabei gibt es immer mehr Leute, für die Caritas und Kirche zwei verschiedene Dinge sind. An dieser Einschätzung sei die Kirche nicht ganz unschuldig, weil Seelsorge und Caritas oft getrennt marschieren, sagte der Theologe Rolf Zerfaß bei der Österreichischen Pastoraltagung in Salzburg.Als Referentin für die Pfarrcaritas in der Diözese Linz ist Johanna Strasser-Lötsch an der Schnittstelle von organisierter Caritasarbeit und ehrenamtlicher Nächstenhilfe tätig, aber auch an der Schnittstelle von Seelsorge und Diakonie. Wir sprachen mit ihr über ihre Erfahrungen von Caritas vor Ort.Sie erzählten, daß Sie nach Treffen mit Pfarrcaritasmitarbeiter/innen oft beglückt nach Hause fahren. Warum?Strasser-Lötsch: Es ist für mich ein großes Geschenk zu sehen, wie hier Menschen aus eigenem Antrieb ganz konkret Jesusnachfolge im Dienst am Menschen leben. Das ist etwas, das nicht von oben organisiert oder angeordnet wird, sondern es wächst aus den Menschen selber. Sie sind es, die nicht wegschauen von Leid, von bedrückenden Lebenssituationen, von Armut, Einsamkeit und Gebrechlichkeit; sie sind es, die Ausgegrenzten und Vergessenen wieder einen Namen und ein Gesicht und damit ihre Würde geben; sie sind es, die auch dann noch zu ihren Mitmenschen stehen, wenn diese durch eigene Schuld in Not geraten.Wie ist dann der Befund von Professor Zerfaß zu verstehen, daß sich die Seelsorge erst allmählich nach jenen umzuschauen beginnt, die am Rande stehen?Strasser-Lötsch: Ich denke, daß diese Kritik von vielen unserer Pfarren, aber auch von den Diözesanleitungen als ernste Anfrage gesehen werden sollte. Denn auch dort, wo wir aktive Caritaskreise haben, ist das oftmals eine Art Biotop für ein paar sozial Engagierte, meist Frauen, deren Erfahrungen und deren Arbeit wenig auf das Leben der Gemeinde, auf ihr Feiern, Beten und Tun zurückwirkt. „Der Mensch ist der Weg der Kirche“ steht über dem Sozialhirtenbrief der österreichischen Bischöfe, aber welcher Pfarrgemeinderat frägt sich zu Beginn jeder Sitzung: Wie geht es den Menschen, wo gibt es Not in den verschiedensten Formen, wie sprechen wir Bedrückte in unserer Verkündigung an, wie öffnen wir unsere Räume und Veranstaltungen für Mühselige und Schwierige? Ich denke, daß Caritas oftmals eine, wenn auch geschätzte, Schublade ist, in der die Gemeinde das Kapitel Nächstenliebe ablagert – nach dem Prinzip: Wir finden es toll, daß ihr vom Caritasteam euch der Armen etc. annehmt, aber stört uns nicht zu sehr mit euren Problemen. Ich denke, daß es noch zu wenig im Bewußtsein ist, daß Caritas ein unverzichbarer Teil von Kirchesein ist und daher in all ihren Lebensvollzügen zum Ausdruck kommen müßte. Das, was man gemeinhin als Seelsorge bezeichnet – Verkündigung, Liturgie und Stiftung von Gemeinschaft – ist daher unbedingt um die Caritas, den Dienst an den Armen, Einsamen etc. als Gesamtanliegen der Gemeinde zu ergänzen. Nur so kann eine jesuanische Kirche ihrer Sendung in dieser Welt gerecht werden. Gibt es Beispiele, wo der Sauerteig der Caritas schon weit ins Pfarrleben eingesickert ist?Strasser-Lötsch: Ich denke, daß es dafür eine langsam wachsende Sensibilität gibt. Ich kenne Pfarren, wo Helfer/innen nicht alleinegelassen sind, sondern wo bei Notlagen viele Pfarrmitglieder sagen: wie können wir euch unterstützen. Ich kenne eine neue Stadtrandpfarre, wo unter Seelsorge nicht nur der Aufbau von Kinder- und Jugendgruppen, sondern auch die Sozialarbeit für junge Leute verstanden wird. Gemeinschaft wächstWas ändert sich in einer Pfarre, wo Caritas als wesentlicher Teil der Kirche gesehen wird?Strasser-Lötsch: Meine Erfahrung ist, daß sich die immer noch hierarchische Struktur auf Gemeinschaft hin verwandelt. Wer sich den Armen zuwendet, braucht viele Hände und Füße, viele, die bereit sind zum Zuhören und zum Gespräch; wo die Bedrängten und Notleidenden wichtig sind, sind auch jene beachtet, die helfen und begleiten. Es kommt nicht auf Stellung und Rang an, sondern auf das Tun. Dieses Bewußtsein, nur gemeinsam können wir Gemeinde Christi sein, gibt vor allem den Frauen, die vorwiegend an der Caritas-Front stehen, eine neue Bedeutung in unseren Gemeinden. Caritasarbeiter/innen machen den Strom der Liebe Gottes in dieser Welt sichtbar, sagte Bischof Stecher in Salzburg. Welche spirituelle Unterstützung bekommen sie dafür in den Pfarren?Strasser-Lötsch: Ich erlebe bei Zusammenkünften mit Pfarrcaritasmitarbeiter/innen oft, wie sehr sie einen spirituellen Beginn einer Veranstaltung wünschen und wie dankbar sie sind, wenn ich am Schluß ein Segensgebet für sie und ihre Arbeit spreche. Ich weiß aber auch, daß sie in vielen Pfarren für ihr Tun, das ich so etwas wie eine „Sendung“ nennen möchte, wenig spirituelle Unterstützung bekommen. Ich glaube, daß sich viele diesen Zuspruch wünschen würden, daß ihr Tun Glaubensvollzug ist, ein Gehen in den Fußstapfen Jesu. Deshalb fände ich es sehr schön, wenn etwa jene Frauen und Männer, die die Haussammlung manchen, nicht nur einen Zettel in die Hand gedrückt bekämen, sondern wirklich gesendet werden, in einer eigenen Feier oder beim Gemeindegottesdienst. Oder wenn beim Elisabethfest die Caritasmitarbeiter/innen namentlich genannt, bedankt und gesegnet würden. Das würde nicht nur ihre Arbeit mehr in den Blick der Gemeinde rücken, sondern auch die Tatsache, daß durch Caritas hier mitten unter uns ein Stück des Gottesreiches Wirklichkeit werden kann. Vom Helfenwollen zum HelfenkönnenHelfen will gelernt sein, sagt ein Sprichwort. Wie kommt Pfarrcaritas an die Not heran, die oft versteckt ist. Und was dürfen sich HelferInnen zutrauen?„Helfen ist sicherlich leichter, wenn die Not augenscheinlich ist, wenn einer Familie ein großes Unglück zustößt oder wenn plötzlich Flüchtlinge vor der Tür stehen“, sagt Johanna Strasser-Lötsch. „Schwieriger ist das, wo die Not leise ist, die Probleme verschämt versteckt werden, ob das nun Arbeitslosigkeit ist, psychische Leiden, Alkoholprobleme oder Familienkrisen. „Um diese Not zu entdecken, muß man, zumindest in größeren Pfarren, die nötigen Antennen organisieren.“ Als gute Möglichkeiten nennt Strasser-Lötsch eine Sprengelsystem mit Caritasleuten in den verschiedenen Wohnbezirken, einen guten Draht zur Gemeinde und zu den Sozialhilfeeinrichtungen und eine regelmäßige Informationsarbeit über die Hilfsmöglichkeiten im Pfarrblatt oder Gemeindebrief. Auf die Frage, ob Nichtfachleute bei schwierigen psychischen Problemen oder rechtlich verzwickten Notlagen überhaupt helfen können, meint Strasser-Lötsch. „ Ich staune oft, was Frauen, die mit beiden Beinen im Leben stehen, zuwege bringen. Neben dem Sammeln und der üblichen Nachbarschaftshilfe kann Pfarrcaritas fast immer auch dort helfen, wo es auf die Beziehungsebene ankommt. Wenn es gelingt, zu einer oder einem Hilfsbedürftigen eine Vertrauensbasis aufzubauen, ist meist schon das wichtigste geschehen. Diese Schiene ist oft auch die Voraussetzung dafür, daß jemand bereit ist, professionelle Hilfe, etwa durch eine Beratungsstelle, anzunehmen.“Sie habe aber auch die Erfahrung gemacht, sagt Strasser Lötsch, daß dort, „wo intensiv an der sozialen Front gearbeitet wird, auch der Wunsch nach Weiterbildung steigt. Das geht vom Erfahrungsaustausch im eigenen Kreis bis zu Fortbildungsveranstaltungen.“ Die Diözesancaritasstellen seien bemüht, dort Angebote zu machen, wo Nachfrage ist. Die einen wollen eine Hilfestellung für Krankenbesuche, andere Informationen über öffentliche und private Beratungsstellen und Hilfseinrichtungen oder eine praktikable Checkliste, wie bei finanziellen Notlagen vorzugehen ist. Gefragt sind auch Angebote über Möglichkeiten und Grenzen des Helfens. Was Pfarrcaritas tut und kann . . .Begegnung ermöglichen r Besuche bei alten, einsamen und kranken Menschen – zu Hause, im Heim, im Spitalr Krankengottesdienster Mitfahrgelegenheit zu Gottesdiensten etc. anbietenr Entlastungsdienste für pflegende Angehöriger Flüchtlingsbetreuungr Aufgabenhilfe für Flüchtlings- und Gastarbeiterkinderr Begleitung von Trauerndenr Schaffung von behindertengerechten Räumlichkeitenr Beschäftigungsangebote für ObdachloseZur Stelle sein, wenn der Hut brenntr Hilfe bei Wohnungsbeschaffung für Bedürftige r Begleitung bei Ämtergängenr Finanzielle Unterstützung bei besonderen Belastungen (Reparaturen, Krankheit etc.)r Vergabe von zinsenlosen Kreditenr Kleider- und Gebrauchsgütersammlungen in Katastrophenfällenr Unterstützung für ausländische Partnerpfarrenr Durchführung von Caritas-Sammlungenr Angebot von regelmäßigen Beratungszeitenr Vermitteln von Menschen in Not an professionelle öffentliche oder private Hilfsstellenr Geldbeschaffung durch Flohmärkte, Selbstbesteuerung etc.Aufmerksam machenr Gestalten von Gottesdiensten bzw. von Fürbitten zu sozialen Themenr Pfarrblattartikel (Bekanntmachen von Hilfsangeboten, Aufrufe zur Mithilfe u. ä.)r Beteiligung der Pfarrbevölkerung an größeren Aktionenr Präsenz im Pfarrgemeinderat (Einbringen der Notfälle, der Erfahrungen, des Anliegens Caritas)r Schaukästengestaltung, Info- und Verkaufsständer Sammeln und Informierenr Einladung von diözesanen Predigern/Referenten zu Caritas-Themen