Ein Handy für alle, die in der Caritas mitarbeiten
Ausgabe: 1999/01, Caritas
08.01.1999 - Altbischof Dr. Stecher
Von Bischof Reinhold StecherEs reicht in keiner Weise hin, wenn wir Caritas als gut geöltes Räderwerk der Humanität begreifen, so wichtig die Arbeit in den Pfarren, den Institutionen ist. Caritas – als Gesinnung und Organisation – braucht eine Wurzel, die in große Tiefe reicht, dorthin, wo auch Trockenheiten die Grundwasserströme nicht versiegen lassen. Die Caritas darf nicht nur Brunnen im Sahel bohren, sie muß auch immer wieder die Tiefenbrunnen ihrer Existenz erschließen.Und so müssen wir zum Urgrund aller Offenbarung vorstoßen. Es ist sehr schwer, das in einem Begriff zusammenzufassen, weil man von diesen Dingen kaum mehr reden kann. Aber der Gedanke, der alles verbindet, was wir im Glaubensbekenntnis aussprechen, ist der sich verschenkende Gott. Selbst die Tiefen der Dreifaltigkeit sind ein unendliches, ewiges Sich-Verschenken. Der sich verschenkende Gott offenbart sich in der Schöpfung, im Universum, in der Evolution, in der verschwenderischen Fülle der Natur. Der verschenkende Gott verdichtet sich in seiner Liebesgeschichte mit den Menschen, in der Geschichte des Heils, in der Offenbarung. Die Wahrheit des sich verschenkenden Gottes konzentriert sich noch einmal im Kreuz, explodiert in der Auferstehung, bebt durch die letzte Geste eines Sakramentes. Der sich verschenkende Gott ist der Urgrund der Caritas, ihr letzter Sinn-Horizont, vor dem alles im Alltag sich abspielt, manchmal im Licht und manchmal als Schattenriß. Ich möchte alle, die in der Caritas mitarbeiten, mit einem Gerät ausstatten, das mir sonst nicht sehr sympathisch ist, einem Handy. Aber dieses Handy hat eine einzige Nummer, bei der nie ein Besetztzeichen ertönt. Das Handy dessen, der in der Caritas aktiv ist, ist die Verbindung zu diesem unfaßbaren Gott, dessen Wesen es ist, sich zu verschenken. Eine Caritas, die nicht mehr betet, ist wie ein Tiefenbrunnen ohne Pumpe. Da kommt nichts mehr herauf. „Gott ist die Liebe“ heißt es bei Johannes. Und damit hat die Caritas ihr unendliches Logo.Aber diese Verankerung aller Aktivitäten im Unendlichen birgt noch mehr als eine visionäre Tiefendimension. Die Verbundenheit unseres Tuns mit dem sich verschenkenden Gott eröffnet uns eine unglaubliche Sicherheit. Was immer wir beginnen – ein anderer war schon vorher da. Ob es um den alten Sandler geht, um den drogenabhängigen Jugendlichen, die Alleinstehende mit dem zerbrochenen Leben, den Versuch einer Hilfe im Kosovo, um Häuser in Bangladesh, die Betreuung des Alzheimerkranken, die mühsame Sorge für Menschen, die durch alle Netze fallen und für die „man“ nicht viel übrig hat, all diese Initiativen, die aus sich heraus oftmals gar nicht viel Hoffnung bieten oder mit dem entmutigenden Image eines „Tropfens auf dem heißen Stein“ beginnen – all dieses tägliche Wursteln und Werken steht unter dem tröstenden Wissen: Ein anderer ist schon vor mir am Werk. Selbst die Menschen, die ich nur im Schattenriß der Tragik wahrnehme, haben ihre Aura vom leuchtenden Horizont der ewigen Liebe her. Vor diesem Horizont muß sich Caritas fragen: Welchen Stellenwert hat das Gebet in unserer Arbeit, greifen wir in gemeinsamen Runden zur Bibel? Es wäre keine vertane Zeit, sondern Gewinn – auch in der Aktion.Das geistliche Profil der CaritasDie Erdung in der Liebe des sich verschenkenden Gottes muß der Grundton jeder Caritasspiritualität sein, meint Bischof Stecher (siehe nebenstehenden Beitrag). Als weitere Charakteristika einer Caritasspiritualität nennt er:Eine besondere spirituelle Note der Caritas besteht darin, daß sie für eine realitätsgebundene Liebe stehen muß. Es geht bei ihr nicht um Abgehobenheit, sondern um das Konkrete. Und in den Forderungen, die aus den konkreten Nöten, Ängsten und Bedürfnissen der Menschen erwachsen, spricht Gott zu uns. Eine andere Seite der spirituellen Existenz der Caritas, die heute angesichts der Krisenerscheinungen in der Kirche eine brennende Aktualität hat, ist das Zeugnis der Glaubwürdigkeit des Christlichen in unserer Welt. Ein Blick in die Kirchengeschichte zeigt, auch in Zeiten tiefer Verirrungen und tragischen Verfalls hat der Strom der Caritas nie aufgehört zu fließen. Durch die Caritas wurde durch alle Dunkelheit hindurch der Geist Jesu sichtbar.Manchmal muß heute die Caritas auch eine spirituelle Aufgabe übernehmen, die schon im Ersten Testament bei den Propheten vorgezeichnet ist. Es gibt keinen Propheten, der mit seiner religiösen Botschaft nicht auch Gesellschaftskritik verbindet. Sie prangern immer wieder Ungerechtigkeiten an, weil wahre Gottesverehrung ohne diesen Dienst am Menschen nicht zu denken ist.Ein weiteres Element des geistlichen Lebens, das für alle Bereiche, aber besonders für die Caritas bedeutsam ist, ist die schöpferische Liebe. Die Caritas braucht kreative Einfälle, um rasch und effizient helfen zu können. In autoritären und bürokratischen Strukturen entsteht keine Kreativität, dazu ist offener Teamgeist notwendig, Kameradschaft und eine positive Grundhaltung statt Krankjammern und Selbstlähmung.