Prozeß der Aussöhnung und neue Wege der Verständigung gehen
Ausgabe: 1999/02, Serie 1
14.01.1999 - Dr. Markus Himmelbauer,
Weltweit begehen die Kirchen von 18. bis 25. Jänner die „Woche der Einheit der Christen“. Vor aller Verschiedenheit der Kirchen untereinander steht aber das allen gemeinsame Fundament: Der 17. Jänner als „Tag des Judentums“ soll die jüdische Wurzel christlichen Glaubens bewußt machen.Der christlich-jüdische Dialog ist das elementare Thema für die Identität der Kirchen. Wer Psalmen betet, betet jüdische Gebete. Christinnen und Christen haben keinen beliebigen, sondern diesen bestimmten Wurzelgrund. Gott hat es gefallen, Israel zuerst und bleibend anzusprechen. Namen und Worte wie Abraham, Sarah, Hagar, Mose, Miriam, Jerusalem, Gerechtigkeit, Frieden, Reich Gottes, Messias sind nicht auswechselbar. Doch diese unverwechselbaren Identitäten stehen nicht für sich allein: Von Anfang an hat die Offenbarung Gottes an Israel einen weiten Horizont: Das biblische Verständnis von Schöpfung und Vollendung der Welt ist auf alle Menschen ausgerichtet.Bibel ist nicht teilbarAb 2000 soll der „Tag des Judentums“ auch in Österreich begangen werden. Der Ökumenische Rat der Kirchen greift dabei eine Anregung der 2. Europäischen Ökumenischen Versammlung 1997 in Graz auf. Das christliche Bekenntnis soll verstärkt aus seiner jüdischen Quelle verstanden werden. Oft wird auf diesen Ursprung vergessen, manchmal wird er bewußt abgelehnt.Im Jahr 144 trafen die Christinnen und Christen von Rom eine folgenschwere Entscheidung: Sie schlossen Markion aus ihrer Gemeinde aus. Er hatte eine „rein christliche“ Bibel zusammengestellt: In ihr fehlte das Alte Testament, er „reinigte“ auch das Neue Testament von allen – wie er meinte – jüdischen Elementen. Für Markion war der Gott der Juden ein böser Gott. Er vertrat eine strikte Trennung von „jüdischem Gesetz“ und „Evangelium“.Die Tragweite dieser Exkommunikation kann nicht überschätzt werden. Die Kirche sagte ja zum Alten Testament und betonte dessen Einheit mit dem Neuen Testament. Diese Verbindung unterscheidet das Verhältnis von Christentum und Judentum gänzlich von den Beziehungen zu anderen Religionen: Israel ist der „Ältere Bruder“, die „Wurzel“ aus der die „Zweige“ des Christentums wachsen, von der es getragen und genährt wird. Die besondere Beziehung von Kirche und Synagoge wächst aber auch aus der jahrhundertelangen unheilvollen Geschichte. Die Rollen waren klar verteilt: Christen waren die Täter, welche Juden ausgegrenzt, verfolgt und vernichtet haben. Es ist eine beschämende Erkenntnis, daß es der Katastrophe der Schoa bedurfte, um einen tiefgreifenden christlich-jüdischen Verständigungsprozeß in Gang zu bringen. Ein gemeinsamer GottZwei Punkte müssen wir uns in diesem Prozeß der Aussöhnung in Erinnerung behalten: Wir beschäftigen uns dabei vordringlich mit der Erneuerung der eigenen, christlichen Identität. Sie soll ihr Selbstbewußtsein nicht mehr in der Entwertung ihrer Wurzeln finden. Und wir müssen uns bewußt sein, daß zwischen Judentum und Christentum ein ungleiches Verhältnis besteht. Das Judentum kommt in seinem Selbstverständnis ohne Bezug auf das Christentum aus, das Christentum jedoch lebt aus der Quelle des Judentums. Ziel ist eine tragfähige Basis, auf der Menschen beider Religionen einander im Bekenntnis des Glaubens an den gemeinsamen Gott aus ihren jeweiligen Traditionen unterstützen.Leiter des Christlich-Jüdischen Informationszentrums, Wien.