Die Straßenzeitung „Kupfermuckn“ ist eine der neun KIZ-Solidaritätspreis-träger 98. Was mit den 15.000 S Preisgeld geschehen soll, darüber gibt es noch Diskussionen. Eines ist sicher: Das Geld wird für die Zeitung verwendet um die „Stimme der sozialen Randgruppen“ zu verstärken.14 Menschen – darunter ein Kleinkind – und ein Hund drängen sich um den Tisch. Niemand will sich ein Wort entgehen lassen. Das Klischee einer Redaktionssitzung wird hier gelebt: Der Raum ist voller Rauch. Etliche Kaffeetassen am Tisch lassen kaum Platz für Notizblöcke. Die drei Aschenbecher quellen über, einige einsame, halbgerauchte Zigaretten qualmen langsam vor sich hin. Während der heißen Diskussion vergessen die Redaktionsmitglieder der „Kupfermuckn“ ihre Glimmstengel.Themen für die Zeitung liegen auf der Straße: Die Obdachlosen erzählen von ihren eigenen Erfahrungen, Beobachtungen und Problemen. Jeden Mittwochnachmittag diskutieren die Mitarbeiter ihre Vorschläge und versuchen die Themen allgemeiner zu beleuchten und für die Leser verständlich aufzubereiten.Der erst zwei Monate alte Beagle Charly winselt und versucht auf den Schoß seines Frauchens zu springen. Für kurze Zeit verstummt das Gespräch, alle blicken zu dem jammernden Hundebaby. Doch sie lassen sich nicht lange ablenken, schließlich wollen sie schnell zu einem Ergebnis kommen – kein leichtes Unterfangen bei den unterschiedlichen Charakteren und Lebensgeschichten: Enttäuschungen, Heimaufenthalt und eine abgebrochene Berufsausbildung gehören fast immer dazu.Abenteuer Leben Auch Abenteurer sind unter ihnen: Der Weltenbummler Manfred zog als Straßenmaler umher, Walter hatte als freiberuflicher Fotograf kein Glück im Leben. Seinen Drang nach Freiheit kann der Idealist Georg kaum bezwingen. Freimütig gibt er zu: „Ich schlafe im Freien auf Beton.“ Trotz der Verschiedenheit der „Kupfermuckn“-Redakteure wird Toleranz groß geschrieben. Jede Meinung zählt und wird akzeptiert. Nur selten müssen die Sozialarbeiter Streit schlichten. Dem Zusammenhalt dient eine Gewißheit: Alle möchten sich wieder in die Gesellschaft einfügen, das Leben auf der Straße aber nie vergessen. Den ersten Schritt haben sie bereits getan: Mit ihrem Verdienst können sie sich ein bißchen „Luxus“ leisten.Seit zweieinhalb Jahren erscheint die „Kupfermuckn“, die Straßenzeitung der ARGE für Obdachlose und soziale Randgruppen. Zirka zehn Obdachlose bzw. Menschen, die die ersten Schritte aus der Wohnungslosigkeit schon geschafft haben, arbeiten an der – 20 S teuren – Zeitung. Zwei Zivildiener, Sozialarbeiter und freiwillige Helfer unterstützen sie dabei. Das Redaktionsteam hat alle Hände voll zu tun: Vier bis fünfmal im Jahr erscheint die „Kupfermuckn“. Von der Recherche bis zu zum Layout erledigen die Mitarbeiter alles selbst. Zirka 15 VerkäuferInnen – ebenfalls Obdachlose – verkaufen die 4.000 Exemplare dann in Linz auf der Straße. 10 S pro verkaufter Zeitung ist er Lohn für ihre Arbeit.Außenseiter und soziale Randgruppen sind nicht die einzige Zielgruppe des Blattes. Auch das Echo der restlichen Bevölkerung ist positiv. Zahlreiche Leserbriefe flattern ins Büro der ARGE, und auch die Nachfrage steigt kontinuierlich. „Wir überlegen sogar die Auflage von 4.000 Stück auf 6.000 zu erhöhen“, erzählt Kurt Rohrhofer, Organisator und ehrenamtlicher Helfer.Dieses Jahr gibt es eine Neuerung: Die „Kupfermuckn“ kann auch abonniert werden (Adresse: Marienstr. 11, 4020 Linz). Ein Abonnement für fünf Ausgaben kostet 100, ein Förderabo 200 S. „Das Angebot richtet sich aber hauptsächlich an Nicht-Linzer. Die Kupfermuckn soll weiterhin eine Straßenzeitung bleiben“, betont Rohrhofer. Spontane Fragen an den BischofEin etwas anderes Interview der Kupfermuckn„Wenn sie die Wahl hätten, würden sie wieder Bischof werden?“ Ungewöhnliche und ungewohnt persönliche Fragen stellen vier Redaktionsmitglieder der „Kupfermuckn“ Bischof Maximilian Aichern. Das Interview zeichnet aus, was die gesamte Zeitung so besonders macht. Die Redakteure gehen die Themen anders an. Wo sonst findet man Artikel wie „Wo sind öffentliche WC-Anlagen?“ oder „Verpflegung, Wärmestuben und medizinische Betreuung in Linz“. Wo sonst wird der Bischof mit dem Manager eines großen Betriebes verglichen?Die Unsicherheit der ersten Minuten verschwindet schnell. Das Projekt der Obdachlosenzeitung hat etwas Wichtiges erreicht: Die Mitarbeiter treten selbstbewußt auf. Durch die Veröffentlichung ihrer Artikel und das positive Echo der Bevölkerung erfahren sie eine – früher nie gekannte – Selbstbestätigung. Lieblingsfarbe?Abwechselnd stellen die vier ihre Fragen. Zwar hat jeder einen Zettel mit geplanten Fragen vor sich liegen – doch der ist schnell vergessen. Spontan und ohne zu Zögern richten Petra, Manfred und Georg ihre Worte an Bischof Aichern. Es geht ihnen nicht um Weltpolitik und Konflikte zwischen den Bischöfen. Die Besucher wollen Antworten auf Grundsätzliches und stellen Fragen zur Menschenwürde. Interessant sind für die „Kupfermuckn“-Redakteure einfache Dinge – etwa die Lieblingsfarbe des Bischofs – ebenso wie seine Meinung zur Abtreibungspille Mifegyne. Auch für persönliche Fragen der Journalisten bleibt Zeit. Wer weiß, wann man die nächste Möglichkeit dazu bekommt? Keine KonkurrenzKonkurrenzdenken ist ihnen fremd. Sie treten als Gemeinschaft auf: Jeder fragt wozu er Lust hat und schreibt über Themen, die ihn bewegen. Für die Mitarbeiter ist die Zeitung kein Pflicht-Arbeitsplatz. Die „Kupfermuckn“ ist „ihre Zeitung und die Stimme für ihre soziale Schicht“, eine willkommene Abwechslung zum – großteils eintönigen – Rest der Woche. Ein Leben ohne die „Kupfermuckn“ können sich die meisten nicht vorstellen. Das Engagement ist rießengroß, jede Woche werden neue und ehrgeizige Ideen geboren. Ihr nächster Vorstoß: Auch in anderen Städten mit Straßenverkäufern präsent sein. Beiträge aus der KupfermucknBeiträge aus der „Kupfermuckn“SozialMein Vater geht für uns einbrechen.Meine Mutter geht für uns im Kaufhaus stehlen.Meine Schwester geht für uns auf den Strich.Ich sitze für meine Familie im Knast.Wir gehen füreinander durch dick und dünn,wir Asozialen. Ohne Angabe des AutorsWann i so nachdenk’, dann kummt ma des ReanWas soll i tuan, i bin arbeitslos,hab mei Hakn verlorn und hab a ka Moos.Drei Jahr hab i glernt für mein Beruf, doch mit der Zeit bin i worn a Bsuff.Hab alls laßn wie’s warund hab mi net plagt,und hab alles verlorn was i hab ghabt.Dann hab i mi bessert und wieder gfreut auf mei Lebn,und ma hat mir a wieda Arbeit gebn.A Zeit lang is gangen, doch hat’s net lang dauert,dann hab i mi g’fühlt als wie eingemauert.Allweil desselbe, des Einerlei, is denn des alles auf des i mi g’freu?Aba ja es is wahr, i was des ja a, de anderen dann’s selbe und es geht a.Aba bi i de andern? – I kann’s net erklärn, und wann i so nachdenk, dann kummt ma des Rean.So guat was ma gangen, wann i het wolln,i het heut a Haus, und da Guldn tat rolln.Doch was hilft des Redn, und was hilft des Rean,irgendwann wird’s a für mi wieder besser wearn. ToniKurz ein SpruchJeder Vogel hat sein Heim, aber viele haben keines.