Kinder, für die das Lachen keine Selbstverständlichkeit ist, haben mit der Idee der SOS-Kinderdörfer eine neue Chance bekommen. 50 Jahre sind die SOS-Kinderdörfer jetzt alt. Von Tirol ausgehend verbreitete sich die Idee über die Welt. Wir bringen eine Reportage aus Altmünster.
Es ist ein Dorf; ein Dorf im besten Sinn.
Hier werden Fremde von den Kindern noch artig gegrüßt; die Hektik unserer Zeit hat vielfach noch Pause, Kinder prägen das Geschehen. Die Rede ist von einem Kinderdorf, im Konkreten vom oö. SOS-Kinderdorf, dem Kinderdorf Altmünster. Es wurde 1955 gegründet und 1956 eröffnet. 77 Kinder haben ein Zuhause, das ihnen 14 Mütter in den Familien ermöglichen und 20 weitere Mitarbeiter/innen die Aufgaben im Dorf erfüllen. Eine vaterlose Dorfwelt, aber keine männerlose: Männliche Bezugspersonen sind wichtig. Daher trachtet SOS-Kinderdorf und der Leiter des Dorfes in Altmünster, Dr. Josef Lammer, außerhalb der Familien Männer als Mitarbeiter zu gewinnen. Das Um und Auf aber der von Hermann Gmeiner vor 50 Jahren gegründeten Kinderdorf-Idee sind die Mütter. Eine von ihnen ist Maria Popp-Hilger. Vor fünf Jahren gab sie ihren Bankberuf auf und wurde Kinderdorfmutter. Nach dem ersten Schnuppern brach sie noch in Tränen aus, und doch ließ sie die Kinderdorf-Aufgabe nicht mehr los. Und beim zweiten Anlauf wurde ihr klar: „Hier ist mein Platz!“ Sie stieg als Familienhelferin ein und hat nun eine eigene Familie mit sechs Kindern. Unter ihnen sind einige nicht nur Kinderdorf-Geschwister, sondern leibliche. Geschwister beisammen zu lassen, ist den Kinderdorf-Verantwortlichen ganz wichtig.
Das Kinderdorf-Konzept
Jedes Kind im SOS-Kinderdorf hat eine Mutter. Buben und Mädchen unterschiedlichen Alters wachsen gemeinsam auf. Jede SOS-Kinderdorf-Familie lebt in einem Einfamilienhaus. Im Dorf wird die Gemeinschaft gepflegt.
Ein offenes Dorf
Ziel: Selbständigkeit
In Österreich gibt es 9 SOS-Kinderdörfer, in deren 120 Familien leben 665 Kinder. Altmünster ist das ober-österreichische unter den Kinderdörfern.
„In den meisten Fällen“, erklärt Dr. Josef Lammer, der Leiter des Kinderdorfes Altmünster, „behalten die leiblichen Eltern für die Kinder im Kinderdorf die Obsorge.“ Das heißt, es liegt auch die gesetzliche Vertretung bei ihnen. Sie sind u. a. zuständig für Fragen des religiösen Bekenntnisses des Kindes und zur Unterschriftsleistung bei Ausbildungsverträgen. Das neue Jugendwohlfahrtsgesetz ist vom Geist getragen, daß Kinder solange wie möglich in der Herkunftsfamilie bleiben und, wenn möglich, bald wieder in sie rückgeführt werden. Aber es gibt auch den Bedarf an langfristigen Plätzen bei Ersatz-Familien. Die Kinderdörfer sind hier ein wichtiges ergänzendes Angebot, zumal österreichweit die Zahl der Pflege-Eltern abnimmt: In den letzten Jahren ist sie von 6.000 auf 4.500 gesunken. Rückführung – also die Wiedereingliederung eines Kindes in die Herkunftsfamilie – ist ein Thema, das unterschiedliche Emotionen weckt. Kinderdorfmutter Maria Popp-Hilger will sich erst intensiv damit auseinandersetzen, wenn sich die Frage stellt. Viele Kinder wollen beides, so schätzen es die Kinderdorf-Verantwortlichen aus ihrer Erfahrung ein: im Kinderdorf leben und die eigenen Eltern bei sich haben. Am Kinderdorf mögen sie die Sicherheit, die Verläßlichkeit, das Angebot. Und die eigenen Eltern, auch wenn sie harte Zeiten bei ihnen erlebten, sind die eigenen Eltern, zu denen das Kind eine besondere Beziehung hat. Am liebsten wäre es manchem Kind, die Kinderdorf-Mutti würde den leiblichen Vater heiraten. Viele leibliche Eltern halten zu ihren Kindern im Kinderdorf guten Kontakt. Schwierige Situationen gibt es auch, aber sie sind nicht das, was ein Kinderdorf ausmacht. Vielmehr prägt die Grundeinstellung. Wer mit Dr. Lammer durchs Dorf geht, in die Familien kommt, dort den Umgang mit den Kindern erlebt und sieht, wie offen die Kinder auf die Erwachsenen zugehen, versteht: Das Kind und seine Zukunft stehen im Zentrum. Wichtig ist auch, daß sich nicht alles im Dorf selbst abspielt. Bewußt werden Außenkontakte unterstützt. Zu Musik- oder Sportvereinen etwa gehen die Kinder hinaus. Umgekehrt ist das Dorf offen. Selbständigkeit ist auch ein Prinzip der Familienstruktur: Die Familien haben ihr eigenes Profil.