Menschen, vor deren Begegnung viele Angst haben – ursprünglich auch sie selbst. Sie finden sich in Maria Hausers Büchern immer wieder. Ihr neues Buch „Alles Blut ist rot“ bringt Lebensbilder HIV-positiver Menschen.
Sie müssen Handschuhe anziehen! Die junge Ordinationshilfe schaut die Patientin konsterniert an. Sonja meint, sie sei nicht verstanden worden und wiederholt deshalb ihre Aufforderung: Sie müssen Handschuhe anziehen! Die Schwester lächelt: Ich nehme Ihnen doch bloß Blut ab. Sie hat es schon öfters erlebt, hauptsächlich bei weiblichen Patienten, dass sie ihre Kompetenz anzweifeln, nur deshalb, weil sie noch jung ist. Haben Sie Angst, ich könnte Sie infizieren? Nein, sagt Sonja, Sie nicht mich, aber ich Sie. Ich bin nämlich HIV-positiv . Sonja sieht, wie sich das Gesicht der Schwester in zartes Rosa hüllt. Hübsch sieht sie aus in ihrer Verlegenheit. Sie zieht sehr rasch ihre Handschuhe an. Entschuldigen Sie! Es ist ihr richtig peinlich. (...)Ist doch schon gut, sagt Sonja. Sie sind neu hier? – Die junge Schwester kann es nicht fassen: Sie sehen überhaupt nicht aus wie eine HIV-Trägerin. Sonja ist ein Bündel an Vitalität. Ihre Anwesenheit füllt mit Leichtigkeit einen ganzen Raum aus. Und so eine Frau soll HIV-positiv sein? Sonja hat das Bedürfnis, die Schwester zu beruhigen: So etwas erlebe ich öfters. Neulich habe ich meinen Zahnarzt an die Handschuhe erinnern müssen, obwohl der weiß, dass ich positiv bin.Diese Frau hat ganz einfach den Spieß umgedreht, denkt die Schwester. Sie versteckt sich nicht.
Maria Hauser, Alles Blut ist rot.Edition Sandkorn 1999, 184 Seiten, S 248,–