Nach dem Tod eines Menschen verändern sich auch die Räume, in denen er gelebt hat. Sie sind ein guter Ort zum Nachdenken – über das Leben an sich. Ein Unter Uns von Christine Grüll.
Ausgabe: 2015/42, Tod
14.10.2015 - Christine Grüll
Zwei mir liebe Verwandte sind vor einigen Monaten gestorben. Es wird Zeit, die Wohnung aufzugeben. Bevor wir mit dem Ausräumen beginnen, wollen wir uns vor Ort einen Plan dafür machen. Leise und mit einer Scheu gehen wir durch die Räume. Der Abreißkalender in der Küche zeigt immer noch den Monat Mai an. Auf dem Bett im Schlafzimmer liegen T-Shirt und Hose, als hätte sie gerade jemand ausgezogen. Die Zimmerpflanzen sind vertrocknet. Die Stereoanlage strahlt förmlich vor Stille. Im Badezimmer räumen wir die Schubladen aus. In meiner Hand bleibt eine kleine Plastikdose mit Lidschattenpulver zurück. Ist das alles, was von einem Leben übrig bleibt?, sage ich traurig. Nach einer Weile schütteln wir alle den Kopf. Das alles, Möbel, Kleidung, Bilder und die moderne Kaffeemaschine, sind nur ein Rahmen, in dem wir uns ein Leben lang bewegen. Was bleibt, das sind die Geschichten. Wie die, die unser verstorbener Verwandter auf Familienfesten so gerne erzählt hat. Bis der blaue Lidschatten seiner Frau vor lauter Lachen ganz schön verschmiert war.