Alle unter einem Dach.Maria Neustift beschreitet beim Pfarrheimbau richtungsweisenden Weg
Ausgabe: 2000/42, Maria Neustift
17.10.2000 - Matthäus Fellinger
Seit Sonntag hat die Pfarre Neustift ein neues Heim. Mehr noch: Als „Haus der Dorfgemeinschaft“ steht es allen Einrichtungen und Gruppen offen.
Ein abgewohnter Pfarrhof, ein sanierungsbedürftiges Pfarrheim an ungünstiger Stelle. „Sanieren oder neu bauen“, war ursprünglich die Frage. Die Antwort, die man darauf gefunden hat, sieht man nun neben einem freistehenden, schön adaptierten alten Pfarrhof. Ein modernes Gebäude, das nicht nur für kirchliche Veranstaltungen und Gruppen da sein soll. Auch die Gemeinde hat sich mitbeteiligt, die Parteien und die vielen Vereine des Ortes haben mitgemacht. Ein „Haus der Dorfgemeinschaft“ ist entstanden. Die Hälfte der Projektkosten kommt aus einer Förderung der Europäischen Union, denn das Projekt wurde als sogenanntes „5B-Projekt“ eingereicht. Es soll – so eine der Zielsetzungen – mithelfen, die landwirtschaftliche Kleinstruktur im wunderschön am Eingang des Reichraminger Hintergebirges gelegenen Wallfahrtsort zu sichern. Zu essen wird man im neuen Haus nur Produkte von heimischen Bauern bekommen. Und Kaffee soll es aus „fairem Handel“ geben. Geheizt wird mit Hackgut aus der eigenen Gemeinde.
„Was wir bauen, ist ein Vorgriff auf eine Zeit, in der die Leute ihre Zukunft selber in die Hand nehmen“, meint Pfarrer Mag. Franz Wimmer. Das hat sich bei einer Dorfbefragung als eine der Hauptsorgen der Bevölkerung herausgestellt: dass es mit der Landwirtschaft den Bach hinuntergehen könnte. Die Pfarre nimmt sich solcher Sorgen an. Mit dem gemeinsamen Haus hat Neustift nicht nur ein geistiges Austausch- und Bildungszentrum bekommen, sondern ein Gesellschaftszentrum. Der Schweiß von 4000 Robotstunden sollte sich gelohnt haben. Ein mühsames Verhandeln von Verträgen mit allen Beteiligten an der „Interessensgemeinschaft Haus der Dorfgemeinschaft“ war nötig. Und die Förderungstöpfe der EU ergießen sich auch nicht von selber. PGR-Obmann Franz Haider weiß ein Lied davon zu singen.
Steckbrief
„Himmlische Gnaden“ erhofften sich schon im 15. Jahrhundert Gläubige von der Marienstatue. Das Meisterwerk gotischer Kunst wurde in der 1493 geweihten Kirche aufgestellt. Schon seit 1124 war hier ein Vorgängerbau. Später – 1690 – wurde die Gnadenstatue in einen barocken Altar eingefügt. Nicht nur auf Grund von schweren Sturmschäden, sondern auch wegen des Ansturms der Leute auf den Wallfahrtsort musste die Kirche Ende des 19. Jahrhunderts großteils neu gebaut und vergrößert werden. Vor allem im Mai/Juni und im September/Oktober suchen viele Wallfahrer aus ganz Österreich, vorwiegend aber aus der Umgebung, Maria Neustift auf. Die Pfarre zählt rund 1.800 Katholiken, sie reicht über die Gemeinde- und Landesgrenze hinaus nach Niederösterreich. Trotz der herrlichen Landschaft setzen die Leute hier ihre Hoffnungen nicht so sehr auf den Tourismus. Die Gemeinde hat eine Erhebung durchgeführt. Neben dem Erhalten der Landwirtschaft wurde auch der Wunsch betont, im Alter hier bleiben zu können. Hoch bewertet wurde in dieser Befragung die Pfarre, die viel zum Leben in der Gemeinde beitrage.
Die Pfarre macht sich zukunftsfit
Prof. Fritz Muliar kommt – diesen Donnerstag, 19. Oktober, 20 Uhr. Und „Mahaleo“, die Spitzenband aus Madagaskar spielt auf – am Samstag, 21. Oktober, 20 Uhr. Das am Sonntag eröffnete Haus der Dorfgemeinschaft beginnt mit attraktiven Höhepunkten.
Heidemarie Hofer strahlt, wenn sie an die neue Bücherei denkt. Ein Raum des Gesprächs soll sie werden, ein Treffpunkt, in dem man nicht nur Bücher ausleihen kann. „Lettera et cetera“ hat das Team als Leitmotiv der Bücherei gewählt. Auch an Abenden soll die Bücherei offen stehen – für Jugendliche beispielsweise, die sich ins Internet einklinken wollen.
Nach der Idee der „Weltläden“ werden Produkte aus fairem Handel angeboten. Es sollen im Lauf der Zeit Gäste aus aller Welt ins Haus der Dorfgemeinschaft kommen, um so Kontakte zu knüpfen und zu festigen. Eine „Weißrussland-Ecke“verdeutlicht eine schon bestehende Verbindung. Lebendig sind in Neustift auch kirchlich gewachsene traditionelle Strukturen. Für die Katholische Frauenbewegung bedeutet der beliebte jährliche Adventmarkt einen Höhepunkt. Die Leiterin Maria Stubauer weiß es zu schätzen, wie bei Veranstaltungen immer viele mithelfen. Bei der Ortsbefragung der Gemeinde hat die KFB besonders gut abgeschnitten. Als Mesnerin in einem Wallfahrtsort hat sie über ihre Frauen-Aufgabe hinaus noch viel zu tun.
Erich Gelbenegger ist KMB-Obmann aus Überzeugung – aus christlicher. Tagsüber stellt er bei BMW in Steyr Maschinen ein, in der Männerarbeit geht es ums Einstellen der Lebenslinie. Wenn sie gebraucht werden, sind sie auch da, sagt er. Höhepunkt bei den Männern ist der jährliche Familien-Wandertag im Juli mit einer Andacht und einem anschließenden Familienfest.
Eine pfarrliche Familienbergwoche lässt jedes Jahr rund 50 Leute Gemeinschaft in intensiver Form erleben. Seit zwei Jahren gibt es in Maria Neustift wieder eine Jugendgruppe. Zwei Jugendliche aus einer früheren Jugendgruppe haben die Initiative ergriffen. Es geht um gemeinsame Freizeitgestaltung, die inhaltliche Arbeit ist schwieriger. Immerhin ein Plus bei der immer schwieriger werdenen Jugendarbeit.
Monika Wagner ist Dekanatsjugendleiterin. Neustifter Jugendliche gehen nicht gerne hinaus aus der eigenen Pfarre, um auch bei Dekanatsveranstaltungen mitzumachen, bedauert sie ein wenig. Die neuen Jugend- und Jungscharräume im Haus der Dorfgemeinschaft sollten die Atmosphäre bieten, in der sich Gemeinschaft entwickeln kann. Aufgesplittert auf vier Hauptschulen und die verschiedenen Schulen in steyr kommen sie untertags wenig zusammen. Pfarrer Wimmer hofft, dass von den sehr aktiven Ministranten und Ministrantinnen oder aus der Jungschar „neue“ Jugendliche nachrücken.
Pfarrsplitter
Naturnaher Glaube
Die schöne Landschaft ist zusätzlich geprägt durch viele Erinnerungszeichen des Glaubens. Die Marterl und Kapellen sind in die Gestaltung des Glaubenslebens vor allem im Mai und Oktober eingebunden.
Weltkirche
Aus Maria Neustift stammt P. Alois Blasl. Seit 40 Jahren ist er Seelsorger in Papua-Neuguinea. Nach Maria Neustift wiederum kommt regelmäßig der in Rom studierende und aus Nigeria stammende Thomas Adamu als Gastpriester. Die Leute verstehen ihn schon als „echten Neustifter“.
Zum Schmunzeln
Dass zahlreiche Männer in Maria Neustift mit Zweitnamen „Maria“ heißen, geht auf den intensiven Wunsch des früheren Pfarrers zurück. Da wollten dann viele nicht Nein sagen. Und heute nehmen es die Betroffenen schmunzelnd zur Kenntnis. Überproportional vertreten ist auch der Name Franz, vom Bürgermeister bis zum Pfarrer tragen viele diesen Namen.
Wallfahrerpfarre
Nach Maria Neustift kommen nicht nur viele Wallfahrer. Sie begeben sich auch selbst gerne auf Pilgerschaft. Zu Fuß führt eine Wallfahrt jährlich nach Mariazell. Zwei Tage lang sind sie dabei unterwegs. Näher liegt der Sonntagsberg. Vier Stunden zu Fuß sind es aber immerhin auch. Schließlich führt noch eine traditionelle Wallfahrt in das nahe gelegene Konradsheim.