Eine Theologin erzählt über Momente, an denen sie nach Worten ringt
Ausgabe: 2001/22, Von Gottes Hand berührt, Theologie, Christine Drechsler, Gasten, Seelsorgerin, Gefängnis, Justizanstalt,
29.05.2001 - Kirchenzeitung der Diözese Linz
Mag. Christine Drexler ist Seelsorgerin in der Justizanstalt Garsten. Wie lässt sich an einem Ort wie diesem von Gott sprechen?
Gleich an meinem ersten Arbeitstag in der Justizanstalt Garsten wurde ich zur „Multikulti-Gruppe“ eingeladen – einer in englischer Sprache geführten Gesprächsrunde mit Teilnehmern verschiedenster Nationalitäten –, für deren Begleitung ich in Hinkunft mitverantwortlich sein würde: Nachdem wir schon einige Zeit über verschiedene philosophische, tagespolitische und persönliche Themen gesprochen hatten, kam unvermittelt die Frage, ob ich an Gott glaube und was ich über Gott denke.
Der Fragende hatte den Überraschungseffekt auf seiner Seite – und ich rang nach Worten! Nicht nur weil ich in jahrelangem Theologiestudium gelernt habe, die Dinge sehr differenziert zu sehen und eine solche Frage nicht in drei Sätzen, will sagen hoffnungslos verkürzt abzuhandeln ist, sondern vor allem auch, weil ich mich in einer Fremdsprache, die ich nur mangelhaft beherrsche, nicht hinter schönen und geschliffenen Formulierungen verstecken kann. Aber ich wollte mich nicht vor einer Antwort drücken und so brachte ich dann gerade mal drei Sätze hervor: Ja, ich glaube an Gott. Ich glaube, dass Gott nicht nur mit jenen Menschen ist, deren Weg in geraden und schönen Bahnen verläuft, sondern dass Gott sich (vor allem) auch dort finden lässt, wo Menschen auf mühsamen Umwegen ihr Leben zu bewältigen versuchen. Und: Dieser Gott, der in Jesus Christus Mensch geworden ist, ist mir sympathisch!
Wenn Sie mich fragen, worin ich meine Berufung sehe, so liegt meine Antwort in dieser Begebenheit. Ich verstehe mich als Theologin im unmittelbaren Sinn des Wortes: eine, der es die Mühe wert ist, von Gott zu sprechen. Ich finde, dass ich eine recht ausgeprägte Sensibilität für Menschen habe, insbesondere für die Zusammenhänge, in denen sie leben und handeln, und dass es mir auch gelingt, zu erahnen, was sich hinter der Fassade bzw. unter der Oberfläche verbirgt. Im Studium habe ich versucht, nicht nur theologisches Wissen anzusammeln, sondern vor allem, mir die Fähigkeit zu erwerben, selbständig Theologie zu treiben, also kompetent und verantwortbar von Gott zu sprechen. Und von Hannah Arendt, einer jüdischen Philosophin, habe ich gelernt, die Dinge manchmal aus einer unkonventionellen Perspektive zu betrachten, selbst wenn man/frau dabei Gefahr läuft, sich hin und wieder zu irren oder Unverständnis zu ernten.
Daraus ist eine Leidenschaft geworden, gerade dort Spuren von Lebendigkeit zu entdecken und zur Sprache zu bringen, wo man es am wenigsten erwarten würde, und dabei dem, was ich von der Botschaft des Evangeliums verstanden habe, treu zu bleiben. Das ist nicht so harmlos, wie es sich anhört: Es bedeutet, mich dort hinein zu begeben, wo Menschen ihr alltägliches Leben verbringen. Dazu gehört es, Konflikte um des Lebens willen anzuzetteln und auszutragen. Letztendlich heißt es auch, im Sterben und durch den Tod hindurch die Hoffnung nicht zu verlieren.
Es kostet mich Mut, dafür einzustehen, was ich denke und glaube. Es erfordert Phantasie und einen wachen, liebevollen Blick, um in einer Welt wie dem Gefängnis Zeichen des Lebens und der Hoffnung zu entdecken. Aber ich habe erlebt, wie am Schluss eines Gottesdienstes im Gefängnis ein Teilnehmer aufspringt und zu afrikanischer Trommelmusik zu tanzen beginnt ... und dafür zahlt es sich aus.
Kommentar:
Was drinnen steckt
Das Stadion ist ausverkauft. Ein herrliches Spiel! Aber so wie jetzt am Platz spielen die Stars nicht alle Tage. Im Spiel sind sie nur gut, wenn sie auch im Alltag das Ihre dazu tun. Das heißt: Training ohne Beifallsstürme. Eine Lebensweise, bei der man sich vieles abspart.Mit der Berufung ist es ähnlich. Was jemand vor Leuten verkündet, muss durch das Leben im Alltag gedeckt sein. Die Grundzüge des Evangeliums nehmen Gestalt in einem Menschen an. Er setzt sich dem harten Training aus – und lässt sich von der Freude und der Begeisterung anstecken, die im Evangelium möglich wird. Im unmittelbaren Umgang mit den Menchen – am Krankenbett, in der Begegnung mit Gefangenen, bei Gottesdienst – wird es spürbar. Aber zum Ausdruck kann nur kommen, was drinnen steckt.
Konkret:
Geistliche Berufe
Unter Federführung des neu ernannten Bischofs von Kärnten, Dr. Alois Schwarz, hat eine Projektgruppe im Auftrag der Bischofskonferenz die Broschüre „Geistliche Berufe in Österreich“ herausgegeben. Der Impuls dazu kam aus der Delegiertenversammlung zum „Dialog für Österreich“. Für das angekündigte „Jahr der Berufung 2002“ bringt es Impulse. „Geistliche Berufe in Österreich“, erhältlich im Öst. Pastoralinstitut, Stephansplatz 3/3, 1010 Wien, Tel. 01/51 5 52-37 51.