Barbara Nigsch war ein Jahr als „Missionarin auf Zeit“ in Bolivien
Ausgabe: 2002/33, Bolivien, Mission,
13.08.2002 - Barbara Nigsch
„Äußerer Reichtum bedeutet nicht gleichzeitig innerer Friede“, meint Barbara Nigsch. Die Vorarlberger Lehrerin trennte sich für ein Jahr von der Wohlstandsgesellschaft und teilte ihr Leben mit den Menschen in Arapata.
In meinem Kopf kreisten schon länger die Gedanken, mich von der Wohlstandsgesellschaft für eine Weile zu trennen. Ich wollte mit Menschen leben, denen im Leben etwas ganz anderes wichtig ist. Zufällig las ich einen Artikel über junge Menschen, die als „Missionar auf Zeit“ (MaZ) tätig waren. Da wusste ich: das möchte ich auch machen.
Die Vorbereitungsseminare der Steyler Missionsschwestern für die „Missionare auf Zeit“ waren für mich sehr wertvoll. Bereichernd erlebte ich die Gemeinschaft mit weiteren jungen Menschen, die das Gleiche vorhatten. Der Titel „Missionarin auf Zeit“ setzt hohe Erwartungen an junge Menschen und hat einen religiösen Charakter. Auch in Bolivien wurde es so verstanden: liebevoll nannten mich die Leute „Hermanita“ – Schwesterchen. Ich sah es nicht vordergründig als meine Aufgabe, Menschen den Glauben näher zu bringen. Vielmehr wollte ich einfach mit ihnen leben, von ihnen lernen und einen anderen Blickwinkel bekommen.
Wenn Träume wiederkehren
Viele nutzen das MaZ-Jahr zur Neuorientierung im Leben oder sie machen es aus Interesse, etwas Neues kennen zu lernen. Im weitesten Sinne ist es eine Berufung. Denn in jedem schlummert etwas, das wert ist, entdeckt und gelebt zu werden. Wenn dieselben Gedanken oder Träume immer wieder auftauchen, dann ist es Zeit, etwas zu unternehmen. Ich wusste, diesen Schritt muss ich tun, sonst würde ich später sicher das Gefühl haben, etwas versäumt zu haben.
Mut hat mir die positive Verstärkung durch meine Familie, Freunde und Bekannten gegeben. Mein Vorhaben löste bei vielen Bewunderung aus, weil sie diesen Schritt nicht wagen würden.Mit gemischten Gefühlen ging es los nach Bolivien: Einerseits ganz neugierig, was mich erwartet, andererseits Ängste, vieles zurückzulassen oder gar manches zu verlieren.
Einfach alles – alles einfach
Von La Paz ging es in den Einsatzort nach Arapata, ein Dorf mit 2000 Einwohnern. Ganz begeistert war ich von dem zwölf Quadratmeter kleinen Raum, der für meine MaZ-Kollegin Birgit und mich bestimmt war. Hier war alles untergebracht – Küche, Wohn- und Schlafzimmer – einfach alles und alles einfach. Unsere Aufgabe in dem abgelegenen Dorf bestand in der Kinderbetreuung. Eine Kindertagesstätte war eingerichtet worden, weil die Eltern täglich auf die Felder gehen, um Kokablätter zu pflücken. Doch diese werden nicht wie vermutet zu Rauschgift verarbeitet. Vielmehr werden sie als Tee verkauft oder, nach jahrhundertealter Tradition, zum Kauen bei der Arbeit. Das ist der Haupterwerb der meisten Familien. Wir betreuten den ganzen Tag 25 Kinder. Anfangs ging ich müder nach Hause als die Kinder. Sie sind sehr anhänglich und lieb. Was mir besonders in der ersten Zeit wichtig war, da die Erwachsenen ein wenig zurückhaltend reagierten. Schließlich waren wir die ersten Ausländerinnen in dem Dorf, und das war sicher auch für Arapata eine Umstellung.
Die Jugendarbeit war ein weiterer Tätigkeitsbereich. Wöchentlich trafen wir uns, feierten Feste, diskutierten oder gestalteten den Kreuzweg für die Kirche. Geschätzt habe ich die abendlichen Spaziergänge im Dorf, da sehr viele Leute vor ihren Häusern sitzen und miteinander plaudern. Ich setzte mich dazu. Es hat mir sehr viel bedeutet, dass Menschen Zeit haben. Man braucht sich nicht vorher anzumelden, wenn man auf Besuch kommen möchte. Sie sind einfach da.
Die Einstellung macht es
Das Jahr verging zu schnell. Der Abschied fiel mir sehr schwer, denn ich habe viele nette Menschen kennen gelernt. Vor allem die Kinder von der Tagesstätte sind mir sehr ans Herz gewachsen. Doch gleichzeitig freute ich mich auf zu Hause. Das Gewohnte und Vertraute für eine Zeit zu verlassen und in das Unbekannte einzutauchen, das hat mir viel Kraft in meinem Leben gegeben. Eine wichtige Erfahrung ist, dass es immer auf den Einzelnen ankommt, wie sehr sie/ er sich einlässt. Denn man kann sich überall auf der Erde wohl fühlen und glücklich sein – die Einstellung macht es möglich.